Verschärfter Lockdown: Schleswig-Holstein hat Bedenken

Die Corona-Pandemie hält Deutschland weiter in Atem. Offenbar, weil eine noch ansteckendere Virus-Mutation auch nach Deutschland zu kommen droht, wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten nun schon am kommenden Dienstag, 19. Januar, erneut über die Pandemie-Lage beraten. Die Kanzlerin, so scheint es, setzt bereits auf eine nochmals deutlichere Verschärfung des Lockdowns. Im Norden kommt das nicht bei allen gut an. Berlin fordert weitere Kontaktreduzierung: Man brauche weitere Kontaktreduzierungen, wo immer möglich, kündigte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin an. Und es müsse viel mehr aus dem Homeoffice gearbeitet werden. Kommt also die Homeoffice-Pflicht? Drohen überall Ausgangssperren wie jetzt schon in Bayern? Wird der ÖPNV eingestellt? Der Präsident des Unternehmensverbandes (UV) Nord, Uli Wachholtz, ist skeptisch: „Es gibt aktuell keinen vernünftigen Grund für weitere, die Wirtschaft einschränkende Maßnahmen.“ Die Unternehmen würden seit März 2020 sehr aktiv daran arbeiten, Infektionen in den Betrieben zu unterbinden. „Wie jüngste Erhebungen zeigen, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion in anderen Bereichen des Lebens viel höher“, sagt der UV-Nord-Präsident. Lesen Sie auch Verlängerter Lockdown: Das bedeuten die neuen Regeln für Schleswig-Holstein Friseure im Lockdown: Kunden fragen nach illegalen Hausbesuchen Mit #supportyourlocal durch den Lockdown – so melden sich Geschäfte an „Nach fast einem Jahr unter Corona-Bedingungen ist nicht erwiesen, dass Büros, Fabriken, Läden oder Restaurants zur massenhaften Verbreitung des Virus beitragen“, sagt auch Friederike Kühn, Präses der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck. Daher erwarte man von der Politik Außenmaß bei weiteren Beschränkungen. „Ein harter Lockdown würde die Unternehmen unverschuldet in Existenznot bringen.“ DGB warnt vor Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: „Sollte es zu weiteren Einschränkungen der Wirtschaft kommen, drohen auch erhebliche Konsequenzen für Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Auch das muss man im Blick haben“, warnt ebenso der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Nord, Uwe Polkaehn. Auf jeden Fall müssten die Wirtschaftshilfen genau, zuverlässig und verbindlich in den Betrieben und Unternehmen ankommen. „Es kann nicht sein, dass die Unternehmen wochenlang auf die zugesagten Hilfen warten müssen.“ Das Potenzial für Homeoffice sollte allerdings tatsächlich besser ausgeschöpft werden, fordert Polkaehn. Da sei aber vor allem „in den Verwaltungen noch Luft nach oben“. „Mobiles Arbeiten wurde dort eingeführt, wo es möglich ist und wo es Infektionen verhindert“, sagt auch Unternehmer-Präsident Uli Wachholtz. Weitere Regelungen und Pflichten ohne konkreten Anlass drohten die Wirtschaft komplett abzuwürgen, „mit verheerenden Auswirkungen nicht nur für den Arbeitsmarkt“. CDU: Verschärfung akut nicht notwendig: Sollten der Bundesregierung „neue und weitergehende Erkenntnisse über die Gefahr der Virusmutation vorliegen“, könnte ein schnelles Handeln erforderlich werden, urteilt hingegen der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Tobias Koch. Weitere Schritte müssten allerdings gut überlegt und begründet sein. Denn insgesamt gelte es, den maximalen Schutz der Bevölkerung mit der notwendigen Akzeptanz für die auferlegten Einschränkungen in Einklang zu bringen. Angesichts der Corona-Lage in Schleswig-Holstein bestehe jedenfalls „keine akute Notwendigkeit, über eine weitere Verschärfung des bestehenden Lockdown zu beraten“. SPD und FDP fordern Sondersitzung des Landtags: SPD und FDP fordern derweil eine Sondersitzung des Landtags, um zeitnah über die Verabredungen zu entscheiden, die Kanzlerin und Ministerpräsident am 19. Januar möglicherweise treffen. Sollte eine Beteiligung des Parlaments vorher nicht möglich sein, müsse eine Zustimmung des Landes notfalls unter dem Vorbehalt eines Beschlusses im Landtag erfolgen, sagt SPD-Oppositionsführer Ralf Stegner. Dass in Berlin vorab offenbar aus CDU-Kreisen um die Kanzlerin wieder tagelang über Verschärfungen geraunt wurde, ärgert Stegner. „Es ist niemandem geholfen, wenn Verantwortungstragende sich in Spekulationen ergehen oder verklausulierte Ankündigungen machen.“ Alle politischen Entscheidungen müssen auf soliden Fakten basieren und dürfen keine Halbwertszeit von drei Tagen haben. FDP: Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Blick verlieren: FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sieht es ähnlich. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für Corona-Maßnahmen dürfe nicht durch permanente Durchstechereien aus parteiinternen Gremien aufs Spiel gesetzt werden, sagt Vogt. Und: Die Verhältnismäßigkeit und Nebenwirkungen der Maßnahmen dürften nicht aus dem Blick geraten. „Insbesondere junge Familien stoßen irgendwann an ihre Belastungsgrenzen“, sagt der FDP-Politiker. Dabei würden die Coronazahlen in Schleswig-Holstein sinken, obwohl die verschärften Maßnahmen seit Montag noch gar nicht greifen würden. Stegner und Vogt für mehr Tempo beim Impfen: In jedem Fall müsse die Bundesregierung die Öffentlichkeit schnellstmöglich an ihren Erkenntnissen zu den Virus-Mutationen teilhaben lassen, fordert Vogt. „Wenn es da jetzt neue Erkenntnisse gibt, die uns vor ernsthafte Probleme stellen, muss gegenüber den Ländern und den Bürgerinnen und Bürgern mit offenen Karten gespielt werden.“ Außerdem fordern Vogt und Stegner unisono mehr Tempo beim Impfen. Bei den Grünen hält man das Vorziehen der Konferenz von Kanzlerin und Ministerpräsidenten für sinnvoll. „Angesichts der derzeitigen Entwicklung werden wir auch beraten müssen, ob eine Verlängerung der Maßnahmen über den Januar hinaus und vielleicht sogar eine Verschärfung notwendig sein wird“, sagt Fraktionschefin Eka von Kalben. Sie fordert etwa auch ein Recht auf Homeoffice, damit die Kontakte bei der Arbeit und im öffentlichen Nahverkehr weiter reduziert werden. „Reine Appelle reichen hier nicht mehr aus.“ Grüne wollen Lockdown verschärfen: Die Zahl der Plätze in Bussen und Bahnen wollen die Grünen zudem reduzieren, wo immer möglich eine Pflicht zur Platzreservierung einführen. Letztes Mittel könne auch ein völliges Einstellen des ÖPNV sein. Ausgangssperren müssten auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Außerdem müsse es Umsonst-FFP2-Masken für Bedürftige und Corona-Schnelltests für zu Hause geben, so von Kalben. Gleichzeitig solle es einen Stufenplan für den Wiederausstieg aus den Maßnahmen geben, fordert die Grüne. „Die Menschen müssen wissen, dass es ein Zurück in ein aktives Leben geben wird.“ Auch Günther fordert einen Lockerungs-Stufenplan: CDU-Ministerpräsident Daniel Günther will bei der Konferenz mit der Bundeskanzlerin am Dienstag darauf drängen, dass nicht nur über weitere Verschärfungen gesprochen, sondern sich auch auf einen Plan für die Zeit nach dem Lockdown in den Monaten Februar, März und April verständigt wird. „Ein solcher konkreter und verbindlicher Stufenplan muss den Menschen eine Perspektive aufzeigen, welche Öffnungsmöglichkeiten sich auf der Grundlage der Entwicklung des jeweiligen Infektionsgeschehens ergeben“, sagt der Ministerpräsident. Der Stufenplan müsse auf jeden Fall bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz vorliegen, sagt Günther. Die Nachrichten über eine mögliche Ausbreitung einer mutierten Form des Coronavirus sehe man derweil mit Sorge. Am Montag soll es dazu eine Expertenanhörung im Bund geben. „Darauf wird die Landesregierung ihre weitere Meinungsbildung aufbauen.“ Von Wolfram Hammer