Virus-Experten Rupp und Fickenscher: So geht es 2021 mit Corona weiter

Der Kieler Virologe Professor Helmut Fickenscher hält den Impfstart für gelungen, rechnet vor Ostern aber eher nicht mit wesentlichen Corona-Lockerungen. Steigende Temperaturen, sinkende Coronazahlen: „Lockerungen wird es erst geben können, wenn es deutlich wärmer wird, weil erst dann die Corona-Fallzahlen deutlich sinken werden.“ Die aktuell häufige Aussage, dass man mit Impfbeginn Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren könne, „ist zu optimistisch“, sagt Fickenscher. In Kiel hatte zuletzt CDU-Ministerpräsident Daniel Günther erklärt, dass man mit Impfbeginn „Schritt für Schritt“ zur Normalität zurückkehren könne. Auch der Lübecker UKSH-Virologe Jan Rupp hält eine Diskussion über einzelne Lockerungen oder ob es für Geimpfte schon Sonderrechte geben sollte in den kommenden Wochen für „völlig fehl am Platze“. Die Impfung helfe der Gesellschaft nur, wenn möglichst viele Personen und Bevölkerungsgruppen sich impfen lassen, „und das wird noch bis in den Sommer hinein andauern“. Weiter Abstand halten und Kontakte reduzieren: Bis dahin werde es für das Virus noch zu einfach sein, auf Personen zu treffen, die bislang nicht infiziert wurden oder geimpft sind, sagt Rupp. Und damit werde es weiterhin erst mal nicht ohne Einhaltung der Abstands-, Hygiene- und Lüftungsregeln sowie Kontaktbeschränkungen gehen. Damit niedrige Fallzahlen wetterunabhängig erreicht werden können, müssten auch Fickenschers Einschätzung nach mehr als 60 Prozent der Bürger geimpft sein. Er halte das für möglich, aber auch für noch offen, ob es bis zum Spätherbst zu erreichen sei. So hoch sei schon jetzt etwa die Quote der Impfbereiten. Fickenscher: Viele sind Skeptiker, keine Impfgegner: Zwar gebe es noch viele Impfskeptiker, sagt Fickenscher. Bei etwas ganz Neuem skeptisch zu sein, sei aber normal. „Das heißt: Man fühlt sich noch nicht ausreichend informiert.“ Die Skeptiker ließen sich durch gute Aufklärungsarbeit noch überzeugen. Die Zahl der echten Impfgegner hingegen sei gering. Er selber rate jedem zur Impfung – ausgenommen vielleicht starken Allergikern – und werde sich auch selber gern impfen lassen, sobald es ihm laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission zustehe. Auch Rupp ist, was die Impfbereitschaft angeht, optimistisch. Er glaube, dass „ein Großteil der Bevölkerung die Vorteile erkennt und wie wichtig die Impfungen sind auf dem Weg zurück in ein Leben ohne Lockdown“. Wie bei allen neuen Entwicklungen in der Medizin gebe es aber am Anfang große Sicherheitsbedenken. Rupp: Vertrauen in die Impfung schaffen: Wichtig sei daher jetzt, dass die Bevölkerung das nötige Vertrauen in die Impfungen bekomme, sagt Rupp. Und dazu brauche es eine anhaltend hohe Qualität des Impfstoffs und „vernünftige und gut dokumentierte Abläufe bei den Impfungen“. Das sei wichtig, bei allem Verständnis für den Ruf nach mehr und schnelleren Impfungen. Es müssten eben auch alle erforderlichen Studienphasen zur Sicherheit und Effektivität durchlaufen und von den Behörden überprüft werden können. Der begrenzende Faktor bei allen Überlegungen sei vielmehr die Versorgung mit Impfstoff, sagt Fickenscher. Er selber sei positiv überrascht, dass überhaupt so schnell ein Impfstoff habe entwickelt werden können. Die Frage sei nun, wann weitere Hersteller eine Zulassung bekommen und wann die Produktion hochgefahren werden könne. Experten hoffen auf Impfung in Hausarztpraxen: Im Moment spräche tatsächlich einiges dafür, dass es in diesem Jahr noch nicht zu schaffen sei, alle zu impfen, die das wollen, sagt Fickenscher. Andererseits würden von den Herstellern derzeit große Anstrengungen unternommen. Komme im Frühjahr ein Impfstoff auf den Markt, der weniger Kühlung brauche und in Hausarztpraxen verimpft werden kann, wäre das Ziel sofort wesentlich realistischer zu erreichen. Übersicht für Schleswig-Holstein: Wie stark verbreitet sich die Corona-Erkrankung? Übersicht für Deutschland: Die Gesamtentwicklung, alle Hotspots und Reisewarnungen Diese beiden Artikel sind kostenlos für alle lesbar, die nachfolgenden regionalen Analysen sind LN-Plus-Lesern vorbehalten. Testen Sie jetzt kostenlos LN+! Interaktive Karte: Wo sind die Corona-Hotspots in Schleswig-Holstein? Analyse: Gibt es mehr Corona-Infektionen, weil auch mehr getestet wird? Belegung der Krankenhäuser mit Corona: Wie viele Intensivbetten in Schleswig-Holstein sind frei? Wie viele Menschen wurden bisher in SH gegen Corona geimpft? Mehr aus Ihrer Region: Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Lübeck Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Ostholstein Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Segeberg Zahlen und Fakten zum Coronavirus im Kreis Herzogtum Lauenburg Zahlen und Fakten zum Coronavirus in Stormarn Auch Rupp erhofft sich eine solche Dezentralisierung der Impfung über Haus- und niedergelassene Ärzte, „aber das wird noch einige Zeit dauern“. Ob die Corona-Beschränkungen für Geimpfte vorzeitig gelockert werden können, hält auch Fickenscher noch nicht für ausgemacht. Man müsste erst Erfahrungen sammeln, ob sie das Virus wirklich nicht mehr weiterverbreiten können. Dazu gebe es bislang noch keine Daten. Unklar sei auch, wie lange der Impfschutz insbesondere bei Senioren anhalte. „Bislang wurde er nur bei Menschen bis 55 Jahren erprobt.“ Fickenscher: Schulen sollten im Online-Modus bleiben: Dass auch Kinder in hoher Zahl das Virus weitertragen können, habe sich hingegen in der zweiten Coronawelle gezeigt. Schulen werden daher wohl noch länger im Online-Modus unterrichten müssen, schätzt der Kieler Virologe. Für Präsenzunterricht müssten die Corona-Fallzahlen erst insgesamt deutlich sinken – eben zu Ostern vielleicht. Kita-Betreuung in kleinen, getrennten Gruppen werde es allerdings geben müssen, weil sonst das Arbeitsleben nicht funktioniere. Die Urlaubssaison 2021 hingegen sieht Fickenscher nicht optimistisch. Im Mai werde man sicher versuchen, den eingebrochenen Tourismus in Teilen wieder zum Leben zu erwecken. Der Massentourismus im Sommer 2020, etwa in Richtung Kroatien und Türkei, habe sich hingegen „nicht bewährt“. Mit dem Beginn der Reisewelle 2020 habe Deutschland seinen beachtlichen Vorsprung in der Coronabekämpfung verspielt. Eine Maskenpflicht in jeder Grippesaison? Ganz generell sollte die Politik auch für die Zukunft darüber nachdenken, ob man die Maskenpflicht nicht zum Beispiel auch in Zeiten von Grippewellen gezielt anordnet, schlägt der Virologe vor. Sie habe sich jetzt ja als sehr effektives Mittel im Kampf gegen die Ausbreitung auch anderer Krankheiten erwiesen. Die jährliche Corona-Impfung dürfte mittelfristig zum Standardrepertoire der Hausärzte werden. Das neue Coronavirus werde sich dann voraussichtlich längerfristig in die Reihe jener anderen Coronaviren einreihen, die immer mal wieder vor allem Kinder befallen, aber nur noch in sehr seltenen Ausnahmefällen zu schweren Krankheitsverläufen mit Lungenentzündung führen, sagt Helmut Fickenscher. Wird die jährliche Corona-Impfung bald Standard? „Coronaviren sind ja nicht neu als Infektionserreger von Atemwegsinfektionen, bislang vor allem bei Kindern“, sagt Jan Rupp. SARS-CoV-2 habe sich aber extrem gut an den menschlichen Organismus angepasst und habe von Natur aus gute Bedingungen, sich weiterzuentwickeln. Er selber habe dabei weniger die Sorge vor einer vermehrten Ansteckungsfähigkeit des Erregers, etwa durch die neuesten Mutationen in Großbritannien und Südafrika, sagt Rupp. „Aber es ist gut denkbar, dass auch in den kommenden Jahren saisonale Impfungen erforderlich werden, so wie wir es für Risikogruppen mit der Grippeschutzimpfung jährlich praktizieren.“ Von Wolfram Hammer