Vorfahren-Suche: LN-Reporterin lässt Abstammung per DNA-Test bestimmen

Acht Wochen Warterei liegen hinter mir, als endlich die erlösende E-Mail in mein Postfach flattert. Ein leises „Pling“ verrät mir, dass sie da ist. Als ich den Betreff lese, kann ich es kaum erwarten sie zu öffnen. „Die Ergebnisse Ihres DNA-Tests sind da“, steht dort schwarz auf weiß. Schon etwas aufgeregt klicke ich auf einen grünen Button. Der leitet mich direkt zur Internetseite von Ancestry weiter. Verrät Spucke in einem Röhrchen mehr über meine Ahnen? Während sich die Seite aufbaut, grüble ich darüber, was mich wohl gleich erwarten wird. Werde ich nun die Wahrheit über meine genetische Herkunft erfahren? Das hat mir zumindest das Unternehmen Ancestry versprochen. Zwei Monate ist das her. Damals habe ich eine Speichelprobe von mir genommen und dorthin geschickt. Mit einem etwas mulmigen Gefühl brachte ich den kleinen Karton mit der irischen Adresse und dem angeblichen Schlüssel zu meinen Wurzeln im Inneren zur Post. „Bringe jetzt Licht in das Leben deiner Vorfahren“, stand auf der Verpackung des DNA-Test-Sets. Kann das wirklich funktionieren? Kann mir ein bisschen Spucke in einem Röhrchen mehr über meine Vorfahren verraten als meine direkten Verwandten? Von Familienmitgliedern weiß ich, dass einige meiner Ahnen aus dem Gebiet des heutigen Polens sowie aus Russland und Lettland stammen. Abgesehen von Erzählungen hatte ich dafür bisher aber keine Belege. Mein Abstammungs-Mix: Russland und die baltischen Staaten: Mit Staunen schaue ich mir meinen „Abstammungsmix“ bei Ancestry an: Darin tauchen tatsächlich Osteuropa, Russland und die Baltischen Staaten auf. Mit dabei sind außerdem Regionen wie der deutschsprachige Raum und Skandinavien, sowie Island und die Beneluxstaaten. Interessant, denke ich und halte die Ergebnisse für möglich – aber sind sie auch haltbar? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, mache ich mich schlau. Die erste Frage, die mich umtreibt: Was für ein Unternehmen steckt hinter Ancestry? Auch die Erstellung eines Stammbaums wird angeboten: Auf ihrer Internetseite bezeichnet sich die Firma selbst als „weltweit größte Online-Plattform für Ahnenforschung“. Neben der „genetischen Herkunftsanalyse“ anhand von DNA-Proben ist auch der Zugriff auf „derzeit über 500 Millionen deutschsprachige Dokumente“ wie historische Urkunden im Angebot. Auch eine individuelle Stammbaumerstellung wird in Aussicht gestellt. Und welche Rolle spielt die DNA? Unternehmen, die sich auf Ahnenforschung per DNA-Analyse spezialisiert haben, gibt es inzwischen viele. Das sind drei der bekanntesten in Deutschland: Ancestry ist seit 2018 in Deutschland auf dem Markt und bezeichnet sich auf seiner Internetseite selbst als „weltweit größte Online-Plattform“ für Ahnenforschung. Das Unternehmen verfügt nach eigenen Angaben über 27 Milliarden historische Dokumente, darunter 660 Millionen deutschsprachige. Nutzer können mit einer Mitgliedschaft auf sämtliche Datenbanken zugreifen und Stammbäume erstellen. My Heritage ist ebenfalls eine bekannte internationale Plattform für Ahnenforschung, auch Genealogie genannt. Auf der Internetseite wirbt das Unternehmen mit 84 Millionen Nutzern und über 13 Milliarden historischen Aufzeichnungen. Nutzer können unter anderem Ahnentafeln erstellen und Fotos hochladen. Geneanet ist nach eigener Angabe eine Gemeinschaft von mehr als vier Millionen Mitgliedern, die genealogische Informationen und ihre Erfahrungen miteinander teilen. Das Portal verfügt über Stammbäume, Archivdokumente und Fotos. Die Nutzung ist überwiegend kostenlos. Seit 2017 wird auch ein kostenpflichtiges Premium-Abonnement angeboten, das auch die Nutzung von besonderen Recherche-Tools ermöglicht. So wird der Abstammungs-Mix ermittelt: Die Sprecherin von Ancestry, Alexandra Rudhart, erklärt mir, dass das Erbgut der Kunden mit dem von Menschen auf der ganzen Welt verglichen wird, die seit besonders langer Zeit in bestimmten Regionen ansässig sind. „Wenn Teile ihrer DNA zum Beispiel ähnlich zu der von Menschen aus dem Senegal sind, ordnen wir diesen Teil ihrer DNA der Region ,Senegal’ zu“, so Rudhart. So entstehe der Abstammungs-Mix in Form einer prozentualen Aufschlüsselung nach Regionen. Das klingt logisch, denke ich zunächst. Als ich mich jedoch in meiner Familie umhöre, erfahre ich etwas, das mich zweifeln lässt: Eine enge Verwandte erzählt mir, dass sie auch schon einmal eine DNA-Analyse hat machen lassen – jedoch nicht bei Ancestry. „Ich bin zu 20 Prozent Engländerin“, lautet ihre verblüffende Erkenntnis. Auch Schottland und Wales tauchen in ihrem Abstammungs-Mix auf. Bei mir ist davon keine Spur festgestellt worden. Wie kann das sein? Lübecker DNA-Forscherin erklärt das Geschäftsprinzip von Ancestry: Auf der Suche nach Antworten wende ich mich an die DNA-Forscherin Jeanette Erdmann von der Universität zu Lübeck. Sie leitet das Institut für Kardiogenetik und forscht unter anderem an muskulären Erbkrankheiten. Sie klärt mich auf: „Das Prinzip von Ancestry steht und fällt mit der Anzahl der Leute, die ihre DNA dort analysieren lassen.“ Je mehr dies täten, desto größer sei die Datenbank mit Vergleichsproben. Für einen ganz genauen Vergleich müsse das Unternehmen über eine große Zahl von Proben aus möglichst jeder Region weltweit verfügen. Papierforschung statt DNA-Test: Das könnte möglicherweise erklären, weshalb meine Verwandte, die ihren Test bei einer anderen Firma gemacht hat, im Gegensatz zu mir Übereinstimmungen in Großbritannien hat. Jeanette Erdmann gibt mir noch einen Tipp: „Wenn Sie wirklich herausfinden wollen, wo Sie herkommen, sollten Sie es lieber mit der Papierforschung versuchen – alte Datenbanken, Kirchenverzeichnisse, Volkszählungslisten. Das halte ich für erfolgsversprechender.“ Da werde ich hellhörig: Papierforschung? Das bedeutet wohl, nach Namen in alten Archiven zu suchen, Regale voller staubiger Bücher durchzustöbern, etwas wahrhaftig in die Hand zu nehmen. Aber wie komme ich an die alten Schinken heran, die ich brauche? Und wo muss ich meine Suche überhaupt beginnen? Angeblich habe ich Verwandte in Amerika und den Niederlanden: Einen ersten Anhaltspunkt gibt mir Ancestry. Online kann ich auf tausende digitalisierte Dokumente zugreifen. Aber wonach soll ich suchen? Ich kenne ja nicht mal die Namen meiner Vorfahren. Auch dafür bietet mir Ancestry eine Lösung an: Neben meinem Abstammungs-Mix werden mir auch sogenannte „Matches“ angezeigt – hauptsächlich Cousinen und Cousins dritten, vierten und fünften Grades. Angeblich leben sie in Amerika, den Niederlanden und Lettland. Weder ihre Namen noch ihre Profilfotos sagen mir etwas. Sollte ich auf diese Weise wirklich auf unbekannte Familienmitglieder stoßen? Jeanette Erdmann sagt: „Die Chance ist sehr gering. Bei einer Verwandtschaft vierten und fünften Grades gibt es nur eine winzig kleine Übereinstimmung der DNA. Das ist nahezu unbedeutend.“ Familienforscher: DNA-Analyse kann Papierforschung ergänzen: Bei der Suche nach einem weiteren Experten stoße ich auf den Verein Schleswig-Holsteinische Familienforschung. Der Vorsitzende Klaus Kohrt erklärt mir: „Die DNA-Analyse kann eine Ergänzung zur Papierforschung sein und helfen, Lücken zu schließen.“ Matches oder Treffer, also das Entdecken möglicher Verwandter, reiche aber nicht aus. „Man kann die Person ja nicht einfach an eine beliebige Stelle im Stammbaum setzen“, betont Klaus Kohrt. „Dann muss man die eigentliche Papierforschung machen. Beide müssen überprüfen, ob es zwischen den jeweiligen Stammbäumen Berührungspunkte gibt.“ Wer seinen Ahnen ohne DNA-Test auf die Spur kommen will, aber nicht genau weiß, wie das geht, bekommt vielerorts Hilfe. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gibt es viele Gruppierungen, die untereinander eng vernetzt sind. In Norddeutschland sind vor allem drei Vereine aktiv. Der Verein Schleswig-Holsteinische Familienforschung besteht seit 1948 und bietet Auskünfte, Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe bei allen Fragen rund um die Familienforschung an. Seit 1962 ist er außerdem Herausgeber des Familienkundlichen Jahrbuches Schleswig-Holstein. In seiner Bibliothek im Landesarchiv bewahrt der Verein eigenständige familiengeschichtliche Publikationen und Sammlungen auf. Alle Infos sind unter www.shfam.de zu finden. Der Verein für Familienforschung Lübeck wurde 1966 gegründet. Er bietet Besuchern und Interessierten Unterstützung bei der Zusammenstellung von Daten und Dokumenten, gibt Tipps für die Suche nach Archiven und Quellen und hilft beim Entziffern alter Schriften. Außerdem veröffentlicht der Verein regelmäßig Forschungsarbeiten und tauscht die Ergebnisse mit Mitgliedern aus. Alle Infos zu diesem Verein gibt es unter www.familienforschung-luebeck.de Der Verein Pommerscher Greif beschäftigt sich vor allem mit der Ahnenforschung in Pommern. Ziel des Vereins ist nach eigenen Angaben, Forschern bei der Arbeit zu helfen und sie durch Informationsaustausch per Mailingliste, im Forum, in der Bibliothek, dem Archiv des Vereins und durch Veröffentlichungen und Veranstaltungen zu unterstützen. Informationen sind unter www.pommerscher-greif.de abrufbar. Verlässlichste Quellen: Standesämter und Kirchenbücher: Offenbar komme ich nicht darum herum, meine Nase in uralte Unterlagen zu stecken. Doch wo fange ich an? Die Flut an Dokumenten, die ich online bei Ancestry finde, überfordert mich. „Die verlässlichsten Quellen sind Standesämter und Kirchenbücher“, erläutert Klaus Kohrt. Auskunft darüber geben Städte und Gemeinden sowie die ortsansässigen Kirchen. Also mache ich mich auf den Weg zum Lübecker Stadtarchiv. Die Mitarbeiterinnen Meike Kruse und Julia Müller empfangen mich zwischen hohen Regalen voller Bücher, die sichtlich in die Jahre gekommen sind. Abgenutzte Einbände mit verblasster Aufschrift und vergilbte Seiten ragen mir entgegen. Es riecht nach altem Papier, ein wenig muffig. Uralte Personenkarteien, Standesamtregister, Kirchen- und Grundbücher lagern hier. Von Meike Kruse erfahre ich, dass die Bestände bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreichen. Sie reicht mir ein paar weiße Handschuhe und einen Bleistift. Mit den Fingern berühren darf ich die alten Werke nicht. Tinte ist verboten. „Um die Bücher zu schützen“, erklärt die Archivarin. Viele Listen sind in altdeutscher Schrift verfasst: Auf einem runden Tisch liegen mehrere Bücher und Listen verteilt. Neugierig betrachte ich die Seiten und stelle ernüchternd fest: Ich kann sie ja gar nicht lesen. Das meiste wurde in altdeutscher Schrift verfasst und per Hand geschrieben. „Das übt sich schnell. Man kann sich einiges antrainieren“, beruhigt mich Julia Müller. Besucher könnten sich ein ausgedrucktes Alphabet leihen. „Und zur Not helfen wir auch.“ Und wie komme ich ins Archiv? „Der erste Schritt ist, die noch lebenden Verwandten zu befragen und alle Dokumente aus der Familie zusammenzutragen“, sagt Meike Kruse. Erst dann helfe das Archiv weiter. Während der Corona-Pandemie müssten Forscher die gewünschten Unterlagen zunächst telefonisch anfragen. Die Mitarbeiter fotografierten diese dann ab. „Für die weitere Recherche können die Leute einen Termin vor Ort vereinbaren.“ Erstaunlich viele historische Dokumente sind zu finden: Wichtig zu wissen: Aus datenschutzrechtlichen Gründen dürfen nicht alle Dokumente eingesehen werden. Das gilt für Geburtsurkunden ab 1910, Heiratsurkunden ab 1940 und Sterbeurkunden ab 1990. Dennoch versichert Julia Müller: „Sofern die eigene Familie über einen langen Zeitraum in Lübeck gelebt hat, kann man hier sehr viel über sie herausfinden.“ Auf meine Familie, die größtenteils während des Zweiten Weltkriegs eingewandert ist, trifft das leider nicht zu. Trotzdem bin ich erstaunt über die Vielzahl an historischen Dokumenten, die hier gegen eine kleine Gebühr von sechs Euro pro Tag von jedermann eingesehen werden kann. Forscher empfiehlt Reise nach Polen, Russland und Lettland: Da ich über meine Verwandten in Lübeck nichts herausfinden kann, wende ich mich noch einmal an Klaus Kohrt vom Familienforschungsverein. Er sagt mir, dass ich mich für meine Recherche an die Archive wenden muss, die in den Regionen angesiedelt sind, aus denen meine Vorfahren stammen. Leider ist eine Reise nach Polen, Russland oder Lettland nicht so schnell gemacht wie ein Gang zum Lübecker Stadtarchiv – gerade in Pandemie-Zeiten. Auch die Sprache ist mir fremd. Enttäuscht frage ich mich, ob meine Recherche nun etwa ins Leere verläuft. Klaus Kohrt spricht mir Mut zu: „Inzwischen gibt es viele Unterlagen auch online.“ So sei Familienforschung auch von zu Hause aus möglich. Zudem leisteten zahlreiche Familienforschungsvereine Hilfestellung. „Wir wissen, wo es welche Informationen gibt, und bieten einen Austausch an“, sagt der Experte. Sieben Prozent der Gene von amerikanischen Ureinwohnern: Dass sich die Familienforschung bezahlt machen kann, bestätigt mir André Marten aus Haselau im Kreis Pinneberg. Der 40-Jährige erforscht seit den 90er Jahren seine Familiengeschichte. Durch einen DNA-Test bei Ancestry fand er überraschend heraus, dass zu sieben Prozent die Gene amerikanischer Ureinwohner in ihm stecken. „Ich war mir sicher, dass der Test vertauscht wurde“, erzählt er. Doch Kontakte zu Matches und die Suche in alten Unterlagen ergaben schließlich, dass sein Großvater Amerikaner und dessen Vorfahren zum Teil Ureinwohner waren. „Ohne den Test hätte ich das nie erfahren“, sagt André Marten. Was wirklich hinter den Ergebnissen steckt, hätte er aber ohne die Papierforschung nie herausfinden können. Obwohl mir die Rückmeldung von Ancestry kaum Greifbares über meine Vorfahren sagen konnte, gibt mir André Martens Geschichte Hoffnung, dass der DNA-Test nicht ganz vergebens war. Und vielleicht verschlägt es mich in Zukunft tatsächlich einmal in russische und polnische Archive. Von Rabea Osol