Was wird das für ein Ostern?

Es wäre ja zu schön, wenn die Lorbeeren auf dieser Welt stets gerecht verteilt würden. Aber wie man weiß, ist dies nicht immer zweifelsfrei möglich. Etwa bei der Kategorie: „Wer hat’s gesagt?“ Allein bei der Suche nach der geistigen Urheberschaft für den bemerkenswert schönen Satz, wonach Prognosen äußerst schwierig seien, zumal, wenn sie die Zukunft beträfen, stößt man auf mancherlei denkbare Quelle. Mal wird er Mark Twain zugeordnet, mal Kurt Tucholsky, andere nennen den Namen Winston Churchill. Auch wenn man all diese Varianten für möglich halten mag, Tatsache ist: Man weiß es nicht. Aber es ist eigentlich auch egal, wer es gesagt hat. Das Satz selber ist jedenfalls vollkommen richtig. Keiner weiß, wie es weitergeht: Wahrsagerei war noch nie ein einfaches Geschäft, egal ob die kargen Informationen aus Kaffeesatz, gegossenem Blei, Kristallkugeln und auch aus seriösen Quellen stammen. Und erst recht nicht in diesen Zeiten, in denen ein Virus namens Covid-19 den ganzen Planeten in Unordnung bringt. Corona stürzt nicht nur die Gesundheitssysteme ins Chaos und Wirtschaften ins künstliche Koma, es zeigt auch allen eine lange Nase, die uns gern erklären, was morgen sein wird und übermorgen und in der Zeit danach. Doch keiner weiß wirklich, wie es weitergeht. Natürlich finden sich auch in dieser Krise wieder die, die alles besser wissen. Aber vor denen muss man sich zu allen Zeiten in Acht nehmen. Ostern wird nicht abgesagt: Und so kommt es, dass wir völlig ahnungslos in das Osterfest 2020 stolpern. Beruhigend ist: Ostern wird nicht abgesagt, der Termin steht. Olympia kann man verschieben; Ostern nicht. Manches wird sein wie immer, wir werden zum Beispiel an den Feiertagen nicht arbeiten müssen, jedenfalls die meisten von uns. Aber alles andere sind Gedankenspiele ohne Gewähr. Darf man noch Ostereier verstecken? Und wenn ja, welchen Mindestabstand müssen die Nester haben? Wenn wir sie im Freien verstecken, dürfen dann höchstens zwei Eier zusammen im Nest liegen? Und was ist eigentlich mit dem Osterhasen? Gehört er zur Risiko-Gruppe? Man weiß nicht: Darf man noch solche Scherze machen, oder soll man jammern? Auch die Grenze zwischen Sinn und Unsinn hat an Eindeutigkeit verloren. Zuviel ist inzwischen geschehen, von dem man vorher dachte, es könne nie geschehen. Und das Tempo, in dem die Dinge sich wandeln, raubt einem die Luft. Angst ist ein schlechter Ratgeber: Diese Corona-Zeit ist eine Zeit der Ungewissheit, und da haben leider stets jene leichtes Spiel, die auf der Jagd nach Leichtgläubigen die Wahrheit verdrehen. Und jene, die Angst säen, wohl wissend, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Trotzdem schwebt diese Frage natürlich über allem: Dürfen wir Angst haben? Die Antwort ist: Ja. Aber nicht vor dem Virus. Angst darf man haben vor dem, was der Virus aus der Welt macht, die wir kannten. Angst darf man haben vor einer ungewissen Zukunft. Und natürlich vor dem Moment, in dem der erste Mensch am Covid-19-Virus stirbt, den man kannte. Die Gefahr, dass für viele dieser Moment irgendwann kommen wird, ist groß. Ein Fest, das Hoffnung macht: Doch erst einmal kommt jetzt Ostern. Das Fest also, das den Menschen diese Angst nehmen soll, das Hoffnung macht. Es gab eine Zeit, da wurde zu diesem Anlass reflexartig Goethe aus dem Bücherregal gezogen, der Osterspaziergang im „Faust“ vorgelesen, mancherorts gestenreich rezitiert. Erinnern wir uns: „Aus dem hohlen finstern Tor dringt ein buntes Gewimmel hervor. Jeder sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn.“ Daraus wird in diesem Jahr wohl nichts. Gottesdienste werden via Internet übertragen, gebetet wird – wenn überhaupt – zu Hause im Wohnzimmer. Der Papst wird seinen Segen „urbi et orbi“ über einem menschenleeren Petersplatz spenden, und die Osterspaziergänge dürften generell kurz ausfallen, von buntem Gewimmel keine Rede. Wenigstens läuft dieses Mal niemandem ein herrenloser Pudel zu. Die Welt wird eine andere sein – und vielleicht eine bessere: Sätze wie jener, dass man sich auf die Ostertage freue, weil man da mal wieder die Familie um sich habe, werden in diesem Jahr vielerorts seltsam klingen. Auch der Besuch bei Oma und Opa dürfte ausfallen, was vor allem bei jenen Großeltern schwer wiegt, die den Ernst der Situation nicht mehr recht begreifen können. Wie erklärt man jemanden etwas, was man selbst nicht richtig versteht? Aber wie gesagt: All das sind Prognosen, und mit denen tun wir uns schwer, zumal in Zeiten von Corona. Versuchen wir es deshalb mal anders herum: Die Welt nach Corona wird eine andere sein, jeder von uns wird sich verändern. Unsere Sicht auf die Dinge verschiebt sich. Aber wenn sich diese Welt schon in so kurzer Zeit so rigoros verändert, warum dann nicht zum Besseren? Übergreifender Neubeginn: Ostern ist das Fest der Auferstehung. Es ist ein Neubeginn, das Alte geht, das Neue kommt. Der Frühling ist da, das Leben erwacht. Traditionell ist es zudem das Ende der Fastenzeit. Es wird noch lange dauern, bis unser Alltag wieder so funktioniert, wie wir es gewohnt waren. Aber vielleicht wird Ostern 2020 genau jener Punkt auf der Zeitleiste sein, von dem die Nachgeborenen später einmal sagen werden, ab hier sei alles besser geworden. „Zufrieden jauchzet Groß und Klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“, heißt es im „Faust“. Warum eigentlich nicht? In zwei Wochen sind wir schlauer. Von Uwe Nesemann

Corona - Was wird das für ein Ostern?