Wegen Corona: Boom in der Lübecker Verpackungsindustrie

Wie an der Schnur gezogen laufen die runden grünen Dosen für Kartoffelchips unter den Augen von Maschinenführerin Biran Ergel über das Förderband. Es sind viele Tausende am Stück, die in der großen Halle von Sonoco in Lübeck produziert werden mitsamt der dazugehörigen Böden. Pro Tag rollen hier bis zu 25 Lkw vom Hof an der Straße Hinter den Kirschkaten – mit Dosen für Chips, Nüsse, Instant-Getränke, Gewürze und Tabak. Die Dosen haben Durchmesser von knapp vier bis fast zehn Zentimeter und sind unterschiedlich lang, zum größten Teil werden sie auch hier etikettiert. 20 Prozent mehr Umsatz: Die Beschäftigten – in der Produktion arbeiten mehr Frauen als Männer – haben alle Hände voll zu tun. „Wir haben seit Jahresbeginn 18 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt und liegen jetzt bei etwa 170“, sagt Manfred August, Betriebsleiter von Sonoco in Lübeck:. „Der Umsatz wuchs in diesem Jahr bisher um 20 Prozent. Die ersten Monate waren extrem stark. Jetzt merken wir, dass wir wieder auf das Budgetlevel zurückkommen“, erklärt er. Die Beschäftigten produzieren hier pro Tag etwa eine Million Dosen, im Jahr sind es 200 bis 220 Millionen Dosen. „Wir fertigen rein auftragsbezogen, sonst platzen wir hier aus allen Nähten. Wir konnten unsere Kunden immer pünktlich bedienen“, sagt der Betriebsleiter. Stundenkonten haben geholfen: „Wir haben am steigenden Absatz gemerkt, dass die Menschen im Homeoffice öfter mal zur Zigarette, zu Cappuccino oder Snacks greifen“, erklärt Nadine Wiencke, die Betriebsratsvorsitzende von Sonoco Lübeck. „Wir haben ein flexibles Arbeitszeitsystem, das hat sehr gut funktioniert. Wir hatten nach dem Frühjahr extrem gut gefüllte Stundenkonten, haben in den letzten Wochen und Monaten richtig reingehauen. Die Stundenkonten konnten und können wir nutzen, um in der ruhigeren Zeit Stunden abzubauen. Damit überwinden wir dann auch kleinere Dellen.“ Smurfit Kappa: Ein aufregendes Jahr: Das Smurfit Kappa Wellpappenwerk Lübeck im Glashüttenweg produziert Verpackungen unter anderem für so namhafte Firmen wir Brüggen, Niederegger und die Schwartauer Werke, aber auch für Automobilhersteller und deren Zulieferer. Auch die etwa 200 Beschäftigten hier haben denkwürdige Monate hinter sich. „Es ging auf und ab, es war bisher ein sehr aufregendes Jahr. Lebensmittelhersteller oder Produzenten von Desinfektionsmitteln haben große Mengen an Verpackungen abgenommen, die Autoindustrie und deren Zulieferer dagegen nicht. Die Buchungen haben sich verschoben“, erklärt Geschäftsführer Matthias Waller. Der US-Konzern Sonoco hat weltweit 21.000 Beschäftigte, 330 Werke in 34 Ländern. 2015 übernahm er in Lübeck die Firma Weidenhammer. Hier werden pro Tag eine Million Dosen hergestellt, die größten Kunden sind Imperial Tobacco sowie die Firmen Krüger aus Bergisch Gladbach, Deutsche Milcafea, Nestle, Lorenz und Intersnack. SmurfitKappa ist ein irisches Unternehmen und nach eigenen Angaben in Europa der führende Anbieter bei der Produktion von Verpackungen aus Wellpappe, Wellpappenrohpapier und Bag-in-Box-Verpackungen. Der Konzern hat weltweit 350 Produktionsstandorte in 21 europäischen Ländern und 12 Ländern in Amerika, die Gesamtzahl der Beschäftigten liegt über 46 000. Im Frühjahr Schichten auch am Wochenende: Im März und April wurde auch sonnabends und sonntags gearbeitet. Waller: „Alle haben voll mitgezogen, das war sehr gut.“ Dann folgte eine ruhigere Phase, und das Sommerloch zuletzt sei enorm groß gewesen – da konnten die Mitarbeiter Überstunden abbauen und Urlaub nehmen. „Es war in der Produktion ein tägliches Herantasten an die neuen Anforderungen, das hatten wir vorher so noch nicht“, sagt Michael Klocke, der Betriebsleiter. „Wir können heute sagen, dass wir das vernünftig gemacht haben. Profiteure der Corona-Zeit sind wir nicht, aber wir sind ganz gut durchgekommen.“ Flexibilisierung der Arbeitszeit hat genutzt: Die Beschäftigten hätten am Anfang der Pandemie nicht gewusst, was auf sie zukommt, sagt der Betriebsratsvorsitzende Andreas Braun. „Aber dann hatte sich schnell gezeigt, dass wir wahnsinnig viel Arbeit hatten. Wir haben fast durchweg rund um die Uhr Unmengen an Kartons produziert.“ Zwischendurch habe es mal ein kleines Loch gegeben, weil der Lebensmittelhandel selbst seine Lager aufgefüllt hat, aber jetzt habe die Nachfrage wieder angezogen. Insgesamt, so Braun, sei der Betrieb bisher wirklich ganz gut durchgekommen. Eine Betriebsvereinbarung über Flexibilisierung habe dabei gut geholfen. „Ohne diese Vereinbarung über Stundenkonten hätten wir vielleicht Kurzarbeit gehabt“, sagt er. Hygienekonzept hat funktioniert: Aktuell habe man keine Verluste, sagt Geschäftsführer Waller, „jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht und wie es im kommenden Jahr mit der Pandemie aussieht“. Das Hygienekonzept der Firma habe bisher gut geklappt. „Wir hatten zuerst keine Corona-Fälle. Nach dem Urlaub waren es drei Fälle, die sofort in Quarantäne gegangen sind. Es gab aber keinen Produktionsausfall“, sagt der Geschäftsführer. „Wir hatten durch die Hygienemaßnahme auch deutliche Mehrkosten Es war nicht wenig, was wir in die Sicherheit investiert haben. Die Maßnahmen haben gegriffen“, sagt auch Betriebsleiter Klocke. Viele der Kolleginnen und Kollegen kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg ins Werk nach Lübeck. „Alle unsere Beschäftigten haben Bescheinigungen bekommen, dass sie in einem systemrelevanten Betrieb arbeiten. Damit konnten sie trotz Einreiseverbots zur Arbeit kommen“, sagt Smurfit Kappa-Betriebsratschef Braun. Sonoco hatte noch keinen Corona-Fall: Bei Sonoco gab es noch keinen Corona-Fall im Werk. „Wir haben frühzeitig umfangreiche Schutzmaßnahmen getroffen und waren bei allen Maßnahmen Vorreiter. Schon am 3. März haben wir für alle Mitarbeiter Schutzmasken ausgegeben“, erklärt Betriebsleiter Manfred August. Der Krankenstand, der normalerweise bei etwa sechs Prozent lag, sei in den vergangenen Monaten der Pandemie auf zwei bis drei Prozent gesunken. „Wir sind ein Multikulti-Betrieb, 30 Prozent unserer Mitarbeiter haben Wurzeln im Ausland. Wir legen sehr großen Wert darauf, eine starke Gemeinschaft zu sein“, sagt August. Ihm sei es „unheimlich wichtig, dass sich die Mitarbeiter im Betrieb wohlfühlen“. Auch die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat klappe sehr gut. Fachkräfte schwer zu finden: 2015 hatte der US-Konzern die Firma Weidenhammer gekauft. „Die Übernahme war ein Glücksfall für uns. Sonoco hat alle Beschäftigten übernommen, auch die Sozialleistungen sind alle gleich geblieben. Sonoco investiert hier jedes Jahr etwa eine Million Euro in das Werk“, sagt Manfred August, und die Mitarbeiterzahl sei stetig gestiegen. Es sei mittlerweile sehr schwer, Fachkräfte zu bekommen. „Wir stellen sehr gerne technisch veranlagte Frauen ein, sie sind beim Bedienen der Maschinen oft fingerfertiger als Männer“, sagt August. Außer-Haus-Verkauf sorgt für mehr Umsatz: Und auch kleinere Kartonfabriken wie die Firma Lübecker Industrie Service (L.I.S.) haben durch die Corona-Pandemie gut zu tun. Hier geht es ums Herstellen, Bedrucken, Liefern und Zwischenlagern von Wellpappen-Kartonagen aller Art. „Seit März liegen wir sogar um gut 25 Prozent über dem Vorjahr“, hatte Geschäftsführerin Yvonne Fanizzi (51) den LN erklärt. Grund dafür sei der stark gestiegene Außer-Haus-Verkauf durch Essen-Lieferservice. Lesen Sie auch Millionen Chips-Dosen aus der Hansestadt Lübeck - Rund um die Verpackung – LN - Lübecker Nachrichten Börnsener Firma entwickelt biologisch abbaubare Folienverpackungen Von Christian Risch