Zwei Drittel der Gymnasiasten leiden unter schulischem Druck

Eigentlich wollten Landeselternbeirat und Landesschülervertretung nur herausfinden, wie groß die Belastung der Schüler durch das Turbo-Abitur (G8) ist — im Vergleich zur herkömmlichen Hochschulreife (G9). Das Ergebnis der Umfrage ist erschreckend: Zwei Drittel der Gymnasiasten gaben an, dass sich der Schulalltag negativ auf ihr Wohlbefinden auswirkt. Befragt wurden 2442 Schüler an 16 Schulen in Schleswig-Holstein. 42,5 Prozent der G9-Schüler gaben an, unter Kopfschmerzen zu leiden. Bei den G8-Absolventen waren es sogar 44,9 Prozent. Über Schlafbeschwerden klagten 29,6 Prozent (G9) und 38,3 Prozent (G8). Jeweils rund neun Prozent nannten leichte psychische Probleme; etwa je sieben Prozent berichteten über Essstörungen. Dazu passt, dass sich die G8-Schüler in höherem Maße überfordert fühlen als Schüler, die erst nach 13 Jahren ihr Abitur machen. Mehr als 34 Prozent der G8-Schüler fühlten sich in mindestens sechs Schulfächern überfordert. Zum Vergleich: Unter den G9-Schülern betraf dies nur gut 21 Prozent der Befragten. Thomas Hillemann, Vorsitzender des Landeselternbeirats der Gymnasien, kommt dennoch zu dem Ergebnis: „Es gibt keine gravierenden Unterschiede zwischen G8 und G9.“ Das Turbo-Abi sei „besser als sein Ruf und mittlerweile an den Gymnasien angekommen“. Er forderte allerdings, den Lernstoff besser als bisher an die verkürzte Lernzeit anzupassen. Bestimmte Stoffe wie etwa das römische Zahlensystem müssten herausgenommen werden. Bildungsministerin Waltraud „Wara“ Wende (parteilos) bezeichnete das Ergebnis der Umfrage als „auffällig“. „Schule muss mehr auch sozialer Lebensraum sein“, erklärte sie. Permanenter Leistungsdruck und Wettbewerb machten krank. Man müsse „auch andere Qualitäten stark machen, zum Beispiel das Sich-Gegenseitig-Helfen und Unterstützen“. Nach Ansicht Wendes räumt die Umfrage aber auch mit Vorurteilen auf. „Schleswig-Holsteins G8- Schüler sind mit ihrem Schulalltag genauso zufrieden oder unzufrieden wie die G9er mit ihrem“, sagte sie. Das Freizeitverhalten der Jugendlichen leide weit weniger als oft behauptet. Mit 60,9 Prozent sei die G8-Schülerschaft sogar häufiger in Sportvereinen aktiv als ihre G9-Kollegen (54,8 Prozent). Die CDU kritisierte die „Fehlinterpretation“ der Ministerin. „Fast alle Jugendverbände und -organisationen beklagen seit der Einführung von G8 einen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements von Gymnasiasten“, sagte Tobias Loose, Bildungsexperte der CDU. „Die Umfrage bestätigt, dass G8-Schüler einer stärkeren zeitlichen und gesundheitlichen Belastung ausgesetzt sind.“ Diese seien deutlich länger in der Schule und verbrächten mehr Zeit mit Hausaufgaben. Es sei „besorgniserregend“, dass G8-Schüler stärker unter Schlafstörungen zu leiden scheinen. Loose: „G8 macht Schüler schlaflos.“ 16 Schulen machten mit Wie zufrieden bist du mit deiner Schule? Das war nur eine von zehn Fragen, die den Gymnasiasten im Mai dieses Jahres gestellt worden sind. 16 Schulen in Schleswig-Holstein machten mit, darunter die Johann-Heinrich-Voß-Schule in Eutin, die Theodor-Mommsen-Schule in Bad Oldesloe und das Städtische Gymnasium Neustadt. Von insgesamt rund 85 000 Gymnasiasten im Land beteiligten sich 2442 Schüler aus den Jahrgängen 9 und 10 an der Umfrage. Julia Paulat

Kiel - Zwei Drittel der Gymnasiasten leiden unter schulischem Druck