Am kommenden Freitag wählen die Iraner einen neuen Präsidenten. Wahlen in einer Diktatur, welch ein Kasperltheater, möchte man denken. Warum machen sich autoritäre Systeme die Mühe, (Schein-)Wahlen zu veranstalten und Scheinparlamente zu installieren? Und warum orientieren sich Diktatoren in ihrer Namensgebung an einer zutiefst westlichen politischen Ordnung, der Republik.
„Oligarchentum Russland“, „Korruptionsreich Venezuela“ oder „Mullahkratie Iran“ und nicht „Islamische Republik Iran“ wäre ehrlicher.
Nur, es ist nicht ganz so einfach im Iran. Der Iran ist ein politischer Hybrid. Die religiösen Autoritäten, zuvörderst der Oberste Führer Ali Khamenei, können nicht genehme Kandidaten ausschließen.
Aber daneben liegt eine weltliche Machtstruktur. Und im Kampf um Präsidentenamt und Sitze in einem Parlament, das durchaus gehört wird, gibt es echte politische Debatten, weil es auch echte Unterschiede gibt. Nicht zwischen säkularer und religiöser Republik. Das ist die rote Linie, die keiner überschreiten will und darf. Aber es wird heftig gestritten über Wirtschafts-, Sozial- oder Außenpolitik. Die „Reformer“ wollen mehr Offenheit. Die „Konservativen“ fürchten die Verwässerung der islamischen Revolution.
Natürlich: Wo das auszuufern droht in eine Gefahr für das Regime als Ganzes, wird heftig und mit Gewalt die Bremse gezogen. Aber einen Effekt hat die seltsame politische „Doppelstruktur“ des Iran doch: Es gibt jedes Mal wieder Überraschungen. Und noch wichtiger: Auch fast 40 Jahre nach der Revolution und trotz brutalen Drucks von oben streiten Millionen Iraner – offen und grunddemokratisch.
Sylke Tempel ist Chefredakteurin der Zeitschrift IP
LN