Instinkt-Handballer Julius Lindskog Andersson – neuer Schweden-Motor des VfL Lübeck-Schwartau

„Kann ich mich in 45 Minuten melden? Ich habe meinen Vater auf Besuch. Wir kochen gerade.“ Julius Lindskog Andersson genießt die Vater-Sohn-Auszeit. Denn die ist außergewöhnlich. Robert Andersson ist Trainer beim Zweitliga-Konkurrenten Ferndorf. Der sollte am Samstag gegen Rimpar spielen. Eigentlich. Doch Rimpar ist in Corona-Quarantäne. Und so düste der 51-Jährige kurzerhand nach Lübeck. Selbstredend war so beim spontanen Familien-Treff auch das Spiel der Schwartauer Handballer, das 30:32 in Lübbecke, ein Thema. „Das war einfach schade“, trauerte Julius dem Spiel noch etwas nach, „doch mit 32 Gegentoren ist es schwer, zu gewinnen. Wir haben es in der Abwehr einfach nicht hingekriegt.“ Dafür läuft es im Angriff umso besser. Und das liegt mit an ihm. Instinkt-Handballer, Vollstrecker, Vorbereiter: Explosiv, mit hohem Tempo agierend, stark im Eins gegen Eins, mit einem guten Auge für die Nebenleute – der 1,83 Meter große Schwede hat dem stotternden VfL-Motor neuen Antrieb verliehen. Er ist Instinkt-Handballer, eine Mischung aus Vorbereiter und Vollstrecker. Mit 42 Toren und 37 Assists führt er auch Schwartaus Toplisten an, steht in der Liga aktuell zur Wahl als Spieler des Monats November. Trainer Piotr Przybecki weiß, was er am MVP, am wertvollsten Spieler, der vergangenen Saison, hat: „Julius ist ein sehr intelligenter Spieler, nicht nur als Spielmacher. Er entscheidet oft erst in der Bewegung, ist mannschaftsdienlich, schnell. Durch ihn haben wir mehr Möglichkeiten, spielen über Außen, den Kreis. Das ist der Handball, den ich mir wünsche.“ Lesen Sie auch: Alles zum VfL Lübeck-Schwartau Mit der Familie zehn Jahre in Deutschland: Dabei erinnert Andersson mit seiner Mähne, seinem markanten Stirnband eher an Schwedens Tennis-Legende Björn Borg. Doch davon ist er weit weg. Denn das Handball-Talent wurde ihm in die Wiege gelegt. Vater Robert ist Ex-Nationalspieler, zweifacher Europameister und Olympiazweiter (1992 und 1996). Sein Opa war auch Handballer, in Ystad Trainer. Und: „Ich hatte zu Hause von klein auf immer einen Ball in der Hand“, erzählt der 26-Jährige – und das in akzentfreiem Deutsch. Kein Wunder. „Wir haben mit der Familie zehn Jahre in Deutschland gelebt. Mein Vater hat zu der Zeit in der Bundesliga gespielt. Ich bin von der ersten bis zur dritten Klasse auch in Nordhorn zur Schule gegangen, habe da auch mit dem Handball-Training begonnen.“ Nicht nur: Fußball hat er auch gespielt, musste sich mit 14 aber entscheiden. Vater war in der Jugend sein Trainer: Es war die Zeit als es zurück in die Heimat ging. Vor vier Jahren ist er nach Deutschland zurückgekehrt – als Profi. Aus Norwegens erster Liga ist er in die 2. Bundesliga gewechselt, über die Stationen Saarlouis, Ferndorf im Sommer in Lübeck gelandet. Dass sein Vater kurz danach beim Ex-Verein in Ferndorf unterschrieb, grämt ihn nicht: „Mein Vater war in der Jugend und in Ystad mein Trainer. Ich habe damit kein Problem. Aber es ist so schon ganz gut. Es ist ja immer etwas Spezielles.“ Außerdem fühle er sich in Lübeck wohl. „Die Jungs haben mich super integriert, die Stadt ist schön.“ Und auf dem Feld klappe es immer besser. Er ist überzeugt: „Da geht mehr, da ist noch Luft nach oben.“ Sommer 2021: Vertragsverlängerung oder Rückkehr? Dass er als Motor auch ab Sommer 2021 das VfL-Spiel antreibt, ist indes keine Selbstverständlichkeit. „Ich habe einen Einjahresvertrag plus Option auf ein weiteres Jahr“, verrät er. Im Klartext: Er könnte im Sommer weg sein. Und? „Ich weiß es noch nicht, das ist noch offen“, stellt er klar. Dass die Heimat, dass Ystad lockt, verhehlt er aber nicht: „Familie, Freunde – ich vermisse sie schon.“ Seine Freundin Felicia und ihren Sohn hat er schon drei Monate nicht gesehen. „Das ist nicht einfach.“ Durch Lübeck, die Ostsee, ist er der Heimat aber ein Stück näher. „In Ystad haben wir auch einen schönen Strand, der hat mir in Saarlouis und Ferndorf schon gefehlt.“ Und aktuell genießt er die Tage mit seinem Vater. „Kochen, spazieren, reden – ganz entspannt.“ Die nächsten 15 Tage werden mit fünf Spielen aufregend genug. Von Jens Kürbis