Lübeck: Hausmeisterwohnung wird zum Leichtathletik-Trainingszentrum

Paula de Boer hängt mit den Händen in zwei von der Decke hängenden Slingbandschlaufen, die Füße stehen auf einem wabbeligen Gummipilz. Bauch, Beine, Po – jedes Körperteil ist bei diesem Balanceakt im Liegestütz bis in die letzte Faser angespannt. Die Mehrkämpferin vom MTV Lübeck trainiert ihre Bauchmuskeln und ihre Stabilität. Weitspringerin Venja Nürnberg strampelt sich derweil auf dem Ergometer warm. Alles in neuer Umgebung. Das, was vor ein paar Monaten noch eine Hausmeisterwohnung in der Lübecker Oberschule zum Dom (OzD) war, ist jetzt ein kleines, aber feines Trainings- und Gesundheitszentrum für das Landesleistungszentrum Leichtathletik. Hausmeisterwohnung wird zum Trainingszentrum: „Es ist wunderschön geworden, alles da, was wir brauchen“, freut sich Landestrainer Dirk Schulz. Auf 60 Quadratmetern sind so neben Slingbändern, Hantelstangen, Medizinbällen, Matten, Kästen und Ergometer noch Slashpipes, mit Wasser gefüllte Röhren, zu finden. Auch mehrere Bosu, die Gummi-Halbkugeln, der Klassiker für Stabilisationstraining. Das besondere Extra ist ein Laufband ohne Motor. „Da können wir volle Möhre sprinten“, erklärt Schulz. Seit zwei Wochen nutzen es die Kaderathletinnen, unter Corona-Auflagen allerdings nur eingeschränkt in Zweiergruppen. Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit ist es ein Segen. „Wir hatten vorher nie einen richtigen Kraftraum. Jetzt können wir ihn bei schlechtem Wetter auch für Läufe nutzen“, freut sich de Boer. Kiel fördert „besondere Sportstätten“ im Land: Der 2017 vom Land aufgelegte Fördertopf für „besondere Sportstätten“ für den Spitzensport hat es möglich gemacht. Acht Millionen Euro hat Kiel für sieben Sportstätten zur Verfügung gestellt. Mit der Steganlage der Lübecker RG wurde im September 2019 in Lübeck die erste Maßnahme komplett umgesetzt. In der Hansehalle, dem Wohnzimmer der Zweitliga-Handballer des VfL Lübeck-Schwartau, steht im Sommer mit dem zweistöckigen Anbau die letzte Phase des 2,035 Millionen Euro teuren Faceliftings für ein weiteres Projekt an. Mit dem Gesundheitszentrum ist nach der neuen Lautsprecheranlage auf dem Buniamshof und der Stabhochsprung-Abdeckung die rund 310 000 Euro teure Leichtathletik-Maßnahme abgeschlossen, in die neben dem Land (rund 200 000 Euro) auch der Förderverein der OzD und die Stadt investiert haben. Lange verfehlt Hallen-DM um einen Zentimeter: Für Schulz ist das neue „Zentrum“ ein Lichtblick in schwierigen Tagen. Denn Corona hat auch die Leichtathleten mit Kaderstatus an die Kette gelegt. Vor der Eiszeit hat er abwechselnd auf dem Buniamshof und im Kraftraum trainiert, ist mit seiner Gruppe mittwochs und sonntags zum Hallentraining nach Malente gefahren. Alles, um im Training neue Reize zu setzen. Denn die Mehrkampf-DM ist abgeblasen, die Wintersaison abgesagt. Schulz: „Es gibt keine Wettkämpfe, die für uns erreichbar sind.“ Janina Lange, die Fünfkampf-Zweite des Vorjahres, hatte bei der „Deutschen“ Ende Februar in Dortmund noch auf zwei Einzelstarts gehofft. „Doch sie haben die Normen hochgesetzt, wollten wohl so kleinere Felder“, erzählt sie. Im Weitsprung fehlten ihr mit 6,22 Meter drei Zentimeter, im Hochsprung mit überquerten 1,81 Meter ein Zentimeter. „Das ist echt ärgerlich“, gibt die 23-Jährige zu. Schulz: „Wir halten trotzdem an unserer Planung fest, versuchen im Training die Wettkämpfe zu simulieren.“ Kuluki & Co. hoffen auf Sommer-Saison: Das versucht auch Dreispringer Joel Kuluki. Der 20-Jährige der im vergangenen Sommer mit DM-Platz fünf im ersten Seniorenjahr aufhorchen ließ, trainiert in der LBV-Halle und im Kraftraum als einer von zwei Phönixern per Ausnahmegenehmigung. Da die Halle in Hamburg für „Fremde“ geschlossen ist, geht es auch für ihm mindestens einmal pro Woche nach Malente. „Tempoläufe haben wir draußen auf dem Buni trainiert, bei jedem Wetter“, erzählt er. Nur das sei jetzt bei vereister Bahn unmöglich. Das und aktuelle Oberschenkel-Probleme verhindern einen DM-Start in Dortmund. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die Sommer-Saison. Kuluki hat da sogar internationale Starts im Auge. Schulz plant für seine Mädels Anfang Mai den ersten Wettkampf. Für Lange sind das Top-Meeting in Ratingen und der Länderkampf gegen die USA die ersten Ziele, für de Boer, die in Deutschland zu den Top 5 im U23-Bereich zählt, sind es die Meisterschaften im August. Doch für die 20-jährige Medizinstudentin wird das ein Balanceakt wie im Slingseil. Denn die Titelkämpfe liegen direkt zwischen der schriftlichen und mündlichen Prüfung zum Staatsexamen. Von Jens Kürbis