Boom durch Netflix-Serie: Lübecker Schachverein nutzt die Gunst der Stunde

Anya Taylor-Joy stellt selbst Welt- und Großmeister wie Anatoly Karpov, Garry Kasparov, Bobby Fischer oder Magnus Carlsen in den Schatten: Die am 23. Oktober gestartete Geschichte des von Schauspielerin Taylor-Joy verkörperten fiktiven Wunderkindes Beth Harmon zur Königin des Schachs wurde die erfolgreichste Miniserie auf Netflix, 62 Millionen Haushalte streamten das „Das Damengambit“ und lösten einen weltweiten Boom aus. Schachcomputer und -equipment werden zur Mangelware, auch der Lübecker Schachverein bemüht sich, den Trend online zu bedienen. Denn analog ist Schach derzeit eher matt. Abrufzahlen steigen mit Corona-Inzidenz: Die Abrufzahlen auf Netflix stiegen seit dem 23. Oktober genauso schnell wie die Corona-Inzidenz. „The Queen’s Gambit” steht auf Platz eins der Streaming-Charts in 63 Ländern. Schachbretter und Schachcomputer für Anfänger werden zur Mangelware, auf Onlineschach-Plattformen verfünffachen sich die Anmeldungen und auf der Streamingplattform Twitch erreicht Schach zum Ende des Jahres 2020 mit einem 400-prozentigem Zuschauerwachstum Platz 16 der meistgeschauten Spiele weltweit. Digitaler und analoger Boom: Bei Google explodieren die Suchanfragen nach „Schach lernen“ (plus 174,7 Prozent seit der ersten Folge), bei Chess.com verfünffachen sich die Neuregistrierungen, die Schach-App Stockfish wird so oft heruntergeladen wie nie zuvor. Selbst die – analogen – mechanischen Uhren mit Druckknopf bei Schach Niggemann in Münster sind ausverkauft. Vor dem „Gambit“, dem „Bauernopfer“, waren sie ein Ladenhüter, einige Hersteller hatten die Produktion bereits eingestellt. Bei Europas Marktführer Niggemann hat sich die Nachfrage seit November verzehnfacht, wie die Süddeutsche Zeitung herausgefunden hat. Lübecker Schachverein geht neue Wege: Schach boomt – doch gerade in Corona-Zeiten, in denen es jeder lernen möchte, können weder Schachvereine noch Arbeitsgemeinschaften in den Schulen öffnen. „Wir müssen uns trauen, neue Wege zu gehen”, sagt Nicole Hellenbroich, Jugendwartin des Lübecker Schachvereins von 1873. Ab dem 8. März bietet der LSV deswegen zehn Wochen lang kostenloses Onlinetraining für alle Lübecker Schüler an. „Lübecker Schüler ans Brett – auch online“ heißt das Projekt, das durch die Haukohl-Stiftung unterstützt wird. Fünf Trainern und drei Administratoren sind dabei. Lesen Sie auch: Königliches Spiel startet in die Online-Saison Frederik Svane aus Lübeck ist Schach-Weltmeister Das Brett, das die Welt bedeutet Schach-Weltmeister Magnus Carlsen: „Ein Geschenk des Himmels“ Schachverein will „Lübecker Schüler ans Brett“ holen: Das Angebot richtet sich an alle Lübecker Schüler, die anfangen möchten, Schach zu lernen oder ihre bereits vorhandenen Kenntnisse ausbauen wollen. „Schach verbessert das logische Denken genauso wie die Konzentrationsfähigkeit und macht nebenbei auch einfach eine ganze Menge Spaß. Vorkenntnisse sowie eine AG- oder Vereinsmitgliedschaft ist nicht nötig, es geht uns schließlich darum, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche die Chance haben, Schach zu erlernen, zu trainieren und zu spielen. Auch im Lockdown“, sagt Hellenbroich. Lübeck: Kostenloses Online-Training für 80 Teilnehmer: 80 Kinder und Jugendliche sollen so ab März einmal pro Woche kostenloses Onlinetraining beziehen können. Anmelden können sich Interessierte online bis zum 7. März. Einzige Voraussetzung für die Teilnahme ist ein Laptop, Computer, Tablet oder Handy mit Internetverbindung. Das Angebot dürfte auf reges Interesse stoßen: „Seit dem Damengambit werde ich sehr oft auf Schach angesprochen. Der Boom ist nicht nur online, sondern auch bei anderen Menschen ein Thema, die vorher kaum Bezug zum Schach hatten“, sagt Trainer Anton Kroschel. Schachvereine profitieren noch nicht vom Boom: Durch Corona ist der Boom allerdings nicht in den Vereinen angekommen. Im Jahr 2020 seien etliche Mitglieder ausgetreten, auch weil der Spielbetrieb geruht habe. Aber: „Online-Schach wird definitiv um ein Vielfaches mehr gespielt als vor einem Jahr“, sagte der Präsident des Deutschen Schachbundes, Ullrich Krause aus Groß Grönau, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die bundesweite Mitgliederzahl ging im Vorjahr um etwa 3000 auf rund 89 000 zurück. „Es ist keine Präsenzzeit. Deswegen treten gerade leider keine neuen Mitglieder ein“, bedauert Nicole Hellenbroich. Anya Taylor-Joy und „The Queen’s Gambit” könnten das ändern, wenn die Vereine wieder öffnen dürfen. Von Christoph Staffen

Netflix' Queen's Gamit - so profitiert der Lübecker Schachverein