Sportstipendium in den USA: Rudern in einer anderen Dimension

Die Medaillen hängen an der Wand hinter ihrem Bett. Sie erzählen die Geschichte von Svea Pichner, die ihrer Rudererfolge. Darunter ist auch die von 2019, die die Lübeckerin an die tollen Tage von Tokio erinnert, als sie mit ihren U19-Mädels im Achter zu WM-Silber ruderte. Der Weg danach, er war für das „LN-Talent des Jahres 2019“ vorgezeichnet. Abitur, U23-EM, Umzug nach Hamburg, BWL-Studium – das war der 2020-Plan. Doch erst kam Corona und am Ende alles ganz anders. Aus Hamburg wird nun die US-Metropole Columbus, aus der Uni an der Elbe die Ohio State University. Corona-Rückschläge und Studium-Absage: Dabei hatte Svea Pichner das Jahr schon als verlorenes abgehakt, zumindest in Sachen Rudern. Eingeschränktes Training, abgesagte Wettkämpfe – Corona hatte auch sie ausgebremst. „Ich hatte zwei Rennen in Hamburg – das war’s. Das war total frustrierend.“ Für die EM-Quali fehlte ihr die Zweier-Partnerin, sodass sich die Riemerin als Skullerin im Einer versuchte. Vergeblich. „Ich hatte keine Perspektive, nichts woraufhin ich trainieren konnte.“ Doch mit dem Abi in der Tasche gab es ja die Perspektive Hamburg. Als Bundeskader, als Olympia-Hoffnung für die Spiele 2024, hatte sie sich an der Uni für einen der Spitzensportplätze für das BWL-Studium beworben. Die mündliche Zusage hatte sie schon. Doch dann kam die Schock-Nachricht: Abgelehnt. „Mir ist bis heute nicht klar warum.“ Der Laufbahnberater des Olympiastützpunktes zuckte auch nur mit den Schultern. „Er meinte nur, ich solle es 2021 noch mal probieren.“ „Scouts von den US-Unis sind richtig hartnäckig“: Pichner war ernüchtert, niedergeschlagen, fragte sich, warum sie sich das alles antue, vor allem das mit dem Rudern. Ausgerechnet in der Phase meldete sich ein Alt-Bekannter. Der Trainer der Ohio-State-University fragte nach, wie es ihr so gehe. „Und dann ging alles ganz schnell.“ So schnell, dass Svea jetzt am 2. Januar nach Columbus fliegt. „Ich habe für vier Jahre ein Sportstipendium“, erzählt sie überglücklich. Es ist ein Wechsel mit Vorgeschichte. Es ist auch alles andere als Zufall. „Die US-Unis haben Scouts in Europa, die die Talente schon früh bei Meisterschaften sichten“, erzählt Pichner. „Und wenn du gut bist, schreiben sie dich an, fragen nach, ob du da studieren möchtest.“ Auch sie hatte mehrere Anfragen vorliegen. „Und die Scouts sind richtig hartnäckig, schreiben dir drei, vier Nachrichten am Tag. Einer hat sogar am Finaltag in Tokio nachgefragt.“ Geschichten, die man sonst nur aus dem Fußball kennt. Auch die Ohio State hatte bei ihr mehrfach nachgehakt, sogar in der schwierigen Lockdown-Zeit als sich die Hoffnung der Lübecker Frauen-RG im heimischen Garten auf dem Ergo in bootloser Kunst übte. „Doch ich habe abgelehnt, ich wollte ja nach Hamburg gehen.“ Lesen Sie auch: Zu Besuch beim „LN-Talent des Jahres“ Fünf Achter und 60 Frauen: Jetzt geht es vom heimischen St. Jürgen in die US-Fremde. In Columbus studiert sie „International Business“. Und sie rudert – und das täglich. Fast wie ein Profi. Sie weiß: „Es wird eine riesige Umstellung, eine Mega-Herausforderung.“ In Lübeck hat sie meist allein, maximal zu viert trainiert. „Da sind wir 60 Frauen. Da sind fünf Achter nebeneinander auf dem Wasser. Das ist echt cool, eine ganz andere Dimension.“ Und sie gibt zu: „Ich habe das erst kritisch gesehen, jetzt freue ich mich. Das Land, die Uni, die Leute, der Sport – ich kann da so viel mitnehmen.“ Mehr als 1000 Abiturienten gibt es pro Jahr in Deutschland, die sich um ein Sportstipendium in den USA bewerben. Die Ausnahme: Sichtung durch Scouts. Die Agentur „Sport-Scholarships“ in Münster hat sich seit 22 Jahren auf die Vermittlung spezialisiert und, wie Philipp Liedgens der „FAZ“ berichtete, pro Jahr 130 bis 140 echte Kandidaten. In den typisch amerikanischen Sportarten Football, Basketball und Eishockey sei es „brutal schwierig“, als Deutscher ein Stipendium zu ergattern, im Golf, Lacrosse, Rudern, Skifahren, Fußball, Schwimmen und Tennis einfacher. In den USA hat der Sport einen anderen Stellenwert: Björn Lötsch, ihr Lübecker Trainer, sieht es mit einem lachenden, aber mehr noch weinenden Auge: „Ich freue mich für Svea. Auch wenn sie in den Sommerferien für Deutschland weiterrudern und sich für die U23-WM qualifizieren will. Unterm Strich bleibt: Wir verlieren ein Talent.“ Doch nicht nur in Lübeck. Mit Svea wechseln zwei weitere Mädels nach Ohio. In den USA rudern derzeit gut 20 deutsche Talente, darunter mit Klara Grube noch eine Lübeckerin. Pichner weiß, warum: „In den USA hat der Sport einen anderen Stellenwert, wird mehr wertgeschätzt. Bei uns ist die Kombi Rudern und Studium, die Kooperation zwischen Uni und Training extrem kompliziert. Deshalb gehen so viele deutsche Ruderer in die USA.“ Von Jens Kürbis