Handballer mit „Vollgas“ und Fragezeichen ins WM-Abenteuer gestartet

Uwe Gensheimer hockte vor seinem Laptop im Hotel Crown Plaza in Neuss. Hinter ihm marschierten Teamkameraden durchs Bild, abgelenkt blickte er immer mal wieder nach links. Digitale Pressekonferenzen sind auch für ihn immer noch nichts Alltägliches. Der Linksaußen von den Rhein-Neckar Löwen ist mit Deutschlands Handballern in die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Ägypten gestartet. Es wird sein siebtes Turnier als Kapitän des DHB-Teams sein. Trotz neun Absagen, darunter sechs Stammkräfte, und den vielen Fragezeichen um das Thema Corona, ist seine Vorfreude groß: „Alle, die hier sind, haben es verdient, sich in der Bundesliga bewiesen. Wir werden Vollgas geben.“ Dass die Konkurrenz sie bereits abschreibt, Dänen-Coach Nikolaj Jacobsen ihnen maximal das Viertelfinale zutraut, stört ihn nicht: „Wenn man die Kaderzusammenstellung sieht, ist das wahrscheinlich auf dem Papier auch so, wie er es gesagt hat“, meinte der 34-Jährige: „Aber trotzdem können in so einem Turnier viele Dinge passieren. Wir hoffen, dass wir uns als Mannschaft so schnell wie möglich finden. Was andere Trainer im Vorfeld über uns sagen, ist eigentlich gar nicht so wichtig für uns.“ Mit Knorr und Metzner zur WM: Wenn der DHB-Tross am kommenden Dienstag mit fünf WM-Neulingen, darunter den ehemaligen Schwartauern Juri Knorr und Antonio Metzner, gen Kairo fliegt, sind indes viele Fragezeichen mit an Bord. Denn Bundestrainer Alfred Gislason bleiben bis dahin nur sieben Trainingstage plus die zwei Spiele in der EM-Qualifikation gegen Österreich am Mittwoch in Graz (13.45 Uhr/ZDF) und am Sonntag in Köln (18.10 Uhr/ARD), um die, so Gensheimer, „zusammengewürfelte Truppe“ zu einer Einheit zu formen. Dissinger fünf Wochen ohne Teamtraining: Da ist die Frage nach der Abwehr, in der das Herzstück, der Kieler Mittelblock (Wiencek/Pekeler) und der „Aggressive Leader“ Finn Lemke, fehlen. Gislason ließ so im ersten Training eine offensive Variante trainieren, „doch das ist nicht so gut gelaufen“. Der defensive 6:0-Riegel mit dem neuen Mittelblock (Firnhaber/Golla) allerdings „schon. Da war ich angenehm überrascht.“ Da ist die Frage nach dem Fitnesszustand der Spieler nach der Dauerbelastung in der Liga oder fehlender Spielpraxis. Beispiel Christian Dissinger, der nach viereinhalb Jahren zurück im Nationalteam ist. Der Rückraumlinke von Vardar Skopje war aufgrund von Quarantäne und Positiv-Test zuletzt fünf Wochen ohne Teamtraining. „Körperlich fühle ich mich gut, aber es fehlt das Gefühl für Handball“, gab er zu. Auch, dass die ersten Einheiten deshalb extrem anstrengend gewesen seien. Der DHB-Kader Tor: Andreas Wolff (KS Vive Kielce/Polen), Johannes Bitter (TVB Stuttgart), Silvio Heinevetter (MT Melsungen) Linksaußen: Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), Marcel Schiller (Frisch Auf Göppingen) Rückraum links: Julius Kühn (MT Melsungen), Christian Dissinger (RK Vardar Skopje/Nordmazedonien), Paul Drux (Füchse Berlin), Fabian Böhm (TSV Hannover-Burgdorf) Rückraum Mitte: Philipp Weber (SC DHfK Leipzig), Juri Knorr (GWD Minden), Marian Michalczik (Füchse Berlin) Rückraum rechts: Kai Häfner (MT Melsungen), David Schmidt (Bergischer HC), Antonio Metzner (HC Erlangen) Rechtsaußen: T obias Reichmann (MT Melsungen), Timo Kastening (MT Melsungen) Kreis: Moritz Preuss (SC Magdeburg), Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt), Sebastian Firnhaber (HC Erlangen) Der deutsche Spielplan Gruppe A Freitag, 15. Januar: Deutschland - Uruguay 18.00 Ungarn - Kapverdische Inseln 20.30 Sonntag, 17. Januar: Kapverd. Inseln - Deutschland 18.00 Ungarn - Uruguay 20.30 Dienstag, 19. Januar: Uruguay - Kapverdische Inseln 18.00 Deutschland - Ungarn 20.30 Der Modus Für die Hauptrunde (4 Gruppen mit je 6 Teams) qualifizieren sich die ersten drei Mannschaften jeder Vorrunden-Gruppe. Für den Gruppenletzten geht es im President’s Cup weiter. Bei Punktgleichheit entscheidet der direkte Vergleich. Punkte gegen Mannschaften der eigenen Vorrundengruppe werden mitgenommen. Die besten beiden Teams jeder Hauptrunden-Gruppe erreichen das Viertelfinale. TV/Livestream Die Partien der deutschen Nationalmannschaft laufen bei ARD und ZDF sowie beim Internetanbieter „sportdeutschland.tv“. Der Online-Sportsender zeigt alle 108 Partien der WM, allerdings hinter einer Bezahlschranke (Turnierticket 10 Euro). Zudem zeigt Eurosport 15 Begegnungen im Free-TV. Kairo-Blase ein Witz? Und da ist Corona. Angst ist bei Gensheimer & Co. nicht zu spüren. „Natürlich reden wir über die Corona-Regeln. Aber sie sind keine Last oder kein Hemmnis. Alle, die hier sind, haben Lust, dieses Turnier zu spielen“, erklärte der Käptn. Die teilweise massive Kritik an der Austragung der WM, bei der sogar bis zu 30 Prozent Zuschauer zugelassen werden sollen, prallt ab. „Wir haben das Thema ad acta gelegt“, sagte Gensheimer. Und Sportvorstand Axel Kromer bekräftigte: „Wir sind überzeugt, dass die vorliegenden Hygienekonzepte genügen.“ Carsten Bissel, Aufsichtsratschef des HC Erlangen sieht das ganz anders. Für ihn ist die angebliche Blase in Kairo „ein Witz“. Die Zulassung von Zuschauern hält er gar für Wahnsinn. Gensheimer schreckt das nicht: „Ich glaube nicht, dass auch nur ein Zuschauer nah an uns herankommt.“ Zumindest für den Fall einer Infektion hat der DHB vorgesorgt, will die Betroffenen dann sofort mit einem bereits gebuchten Charter-Flieger nach Deutschland zurückbringen. Gislason: „Will nicht lamentieren“: Gislason weiß, dass die WM-Mission, die am 15. Januar mit dem Spiel gegen Uruguay startet, schwierig wird: „Klar hätte ich mir gern mehr Zeit gewünscht, aber ich will auch nicht lamentieren, das der und der fehlt. Mit den Jungs, die hier sind bin ich zufrieden. Man merkt, sie haben extrem viel Spaß und sie haben bisher einen guten Eindruck hinterlassen. Ich bin sehr gespannt, was mit dieser Mannschaft möglich ist.“ Vom Halbfinale, vom DHB als Ziel für alle Turniere ausgegeben, spricht jedoch keiner mehr. Sportvorstand Kromer: „Wohin es geht, das werden wir frühestens am Sonntag nach den Österreich-Spielen sehen.“ Von Jens Kürbis