LN-Sportler des Jahrzehnts Jan Schult: Ein dankbarer „Riesenbär“ in der VfL-Familie

„ „Aus dem Hintergrund müsste Schult werfen, Schult wirft. Toor, Toor, Toor, Toor.“ So hätte der legendäre Herbert Zimmermann wohl kommentiert, was sich am 31. August 2013 in der Lübecker Hansehalle abspielte. Es war das erste Spiel der neuen Saison, zu Gast Erstliga-Absteiger Neuhausen, und die Hallenuhr zeigte die letzten Sekunden an, „als Jan sich aus zwölf Metern hoch schraubte und den Ball zum Siegtreffer in den Winkel hämmerte“. Für Torge Greve ist diese Szene sinnbildlich für das, was Jan Schult seit jeher verkörpert. „Er hat den unbedingten Siegeswillen und scheut sich nicht, Verantwortung zu übernehmen“, sagt der ehemalige VfL-Trainer, der den frisch gekürten LN-Sportler des Jahrzehnts, der vor Ruderer Max Munski und Fußballer Moritz Marheineke gewann, von 2012 bis 2019 in mehr als sieben gemeinsamen Jahren beinahe täglich erlebte. „Er hat die Wahl absolut verdient, mir fällt niemand sonst ein, der die letzten zehn Jahre in seinem Verein sportlich und menschlich derart intensiv durchlebt und geprägt hat.“ Zahlreiche Gratulanten aus ganz Deutschland: Greve reiht sich ein in die Schar der Gratulanten, über die sich Schult trotz seiner üblichen Bescheidenheit „doch extrem gefreut“ hat. Aus ganz Deutschland waren „viele Nachrichten gekommen von ehemaligen Teamkollegen, aber auch Gegenspielern, die alle fanden, dass ich’s verdient habe“, erzählt der 34-Jährige. Und verrät, dass – ähnlich wie bei den hinter ihm platzierten „Männern des Jahrzehnts“ – erst die Auszeichnung dazu geführt habe, „mal zurückzudenken an die Anfänge in der Regionalliga mit 800 Fans auf nur einer Tribünen-Seite der Hansehalle“, an den Aufstieg 2008, die Qualifikation für die eingleisige 2. Liga drei Jahre später, die Schritte hin zu einem etablierten Zweitligisten. Michael Friedrichs, der diese Entwicklung bis 2019 zunächst als Manager und dann ehrenamtlicher Geschäftsführer maßgeblich gestaltet hatte, schreibt Schult dabei eine Schlüsselposition zu. „Anfangs hat mir seine Fackel imponiert, inzwischen ist es längst der Mensch Jan Schult, der mir imponiert.“ Und das nicht nur, versichert Friedrichs, „weil er immer ohne Spielerberater zu den Verhandlungen gekommen ist und trotzdem genau wusste, was er wollte. Er hat großen Anteil am Charakter der Mannschaft, dem außergewöhnliche Miteinander.“ Hier können sie das Video der Preisübergabe mit Siegerinterview sehen Schult hat erkannt, „dass ich scheinbar nicht so viel verkehrt gemacht habe, aber auch der Verein und die Mannschaft. Denn so hat der Handball hier bei uns den Stellenwert bekommen, den er jetzt hat“. Es ist der Teamplayer in ihm, der das sagt. Und der sich auch freut, dass sein Sport inzwischen medial viel besser aufgestellt ist als zu Beginn seiner Karriere. „Bundesliga, Champions League, da gibt’s inzwischen alle Spiel bei Sky. Und selbst unsere 2. Liga – alles im Livestream. Das war damals unvorstellbar.“ Mehrfach Angebote aus der 1. Liga ausgeschlagen: In der 14. Saison geht Schult inzwischen für den VfL auf Torejagd, ab 2007 – zunächst per zweitspielrecht – für den VfL Bad Schwartau, seit 2017 für den VfL Lübeck-Schwartau. Und das, obwohl die erste Liga lockte. Schon während seiner Zeit beim HSV – wo er an gestandenen Profis wie Pascal Hens und Blazenko Lackovic nicht vorbei kam – waren Lemgo und Wetzlar interessiert. Später, als er beim VfL als Rückraum-Shooter herausstach, klopften Stuttgart und Eisenach an. Und im Sommer 2015 auch noch einmal der HSV. „Ein halbes Jahr später haben sie Insolvenz angemeldet“, sagt Schult rückblickend. Schon damals sah er sich darin bestärkt, zu schätzen, was er hat. Statt anzustreben, was viel Unbekanntes mit sich bringt. Dank günstiger Fügung mit Hens und Co. trainiert: Wohl auch deshalb brauchte es eine günstige Fügung, um mit 17 den Weg zum Leistungs-Handball zu finden. In Henstedt-Ulzburg hatte ihn über Jahre sein Vater trainiert (der 2006 ganz plötzlich an einem Blutgerinsel im Kopf starb), erst in der B-Jugend war Schult junior zu Olaf Knüppel ins Training gekommen, der gleichzeitig Geschäftsführer bei den HSV-Handballern war – und dem Talent ein Schulpraktikum in der HSV-Geschäftsstelle nur unter der Bedingung zusagte, dass sein Handball-Schützling nachmittags bei den Hamburger Profis mittrainierte. „Weil auch unser Trainer Bob Hanning sein Talent erkannte“, erinnert sich Knüppel, durfte Schult fortan zwei bis drei Mal pro Woche mittrainieren, bevor er im Sommer zum HSV wechselte – und per Zweitspielrecht weiter für „H/U“ antrat. Dort entschied sich auch, dass Schult bis heute mit der 19 auf dem Trikot spielt. Im ersten Herrenjahr wollte der 18-Jährige die 18, im nächsten dann die 19. „Und weil die 20 dann besetzt war, blieb’s dabei – bis heute“, erzählt Schult, über den sein „Entdecker“ Knüppel sagt: „Er war zuverlässig und zwar extrem ehrgeizig, aber insgesamt sehr zurückhaltenden, hat nie auf sich aufmerksam gemacht.“ Eine Zurückhaltung, die jene bedauern, die Schult gern in der ersten Liga gesehen hätten. Dass er das Zeug dazu hatte, steht für die meisten außer Frage. Wie auch für seinen ersten VfL-Trainer Thomas Knorr, über den Schult sagt: „Bei ihm habe ich mich in den ersten drei Jahren am meisten entwickelt, viele Tipps bekommen, er spielte ja auch auf meiner Position.“ Und auch für Greve, der über Schult sagt: „Er hatte den absoluten Willen, Leistung zu bringen, und auch schon früh die körperlichen Voraussetzungen.“ „Dankbar“ für Schults Power: Aber er hatte eben auch „diese Bodenständigkeit“. Von ihr profitierte Greve – „Ich weiß nicht, wie viele Spiele und Punkte er uns gerettet hat“ – ebenso wie viele Mitspieler an Schults Seite. Matthias „Matze“ Hinrichsen etwa, bis 2014 der Spielmacher des VfL, ist noch heute „extrem dankbar, dass ich dank der Power von Janni und Podde an ihrer Seite glänzen konnte“. „Podde“, alias Toni Podpolinski, wie Schult Baujahr 1986, gratuliert ebenfalls: „Es gibt keinen würdigeren Gewinner als Janni, weil er dem Verein schon so lange treu ist und nach wie vor eine hohe Qualität in seinem Spiel hat.“ Der Linkshänder war mehr als zehn Jahre Schults Partner im Rückraum – und für Ex-Geschäftsführer Friedrichs „einer der Gründe, dass Jan nie weg wollte. Ihm waren solche Freundschaften immer das Wichtigste.“ Beim LN-Sportler des Jahrzehnts hört sich das so an: „Ich fand den VfL-Weg immer gut, habe mich wohl gefühlt und wollte keine Harakiri-Herausforderungen, sondern die Handball-Familie.“ Da passt es, dass er auf die Frage nach seinen emotionalsten Momenten auch an erfolgreiche „Pokalschlachten“ oder schon verloren geglaubte Punktspiele denkt. „Absolute Highlights waren aber Poddes Rückkehr nach seiner Krankheit und dann seine Verabschiedung, bei der ich – das hat man ja gesehen – auch ein wenig Pipi in den Augen hatte.“ Lange „die Leichtigkeit des Lebens“ genossen: Was Hinrichsen mit einem wohlwissenden Lächeln quittiert. „Jan hat einen Körper wie ein Riesenbär. Aber sein Wesen ist ganz anders, einfühlsam, sensibel, und er ist in Vielem unbeschwert, fast kindlich verspielt.“ Gern erinnert sich „Matze“ an „die wilden Jahre“ mit „ausschweifenden Kiez-Abenden und legendären Abschlussfahrten nach Malle“. Friedrichs, „Freund und oft auch Berater“, aber weiß: „Nachdem er lange die Leichtigkeit des Lebens genossen hat, ist Jan in den letzten Jahren sehr gereift.“ Neben Daniel Schwenn steht er als Mitinhaber von BS Sport seinen Mann – und ist längst eines der bekannten Gesichter in Bad Schwartau. Bürgermeister Uwe Brinkmann kennt ihn, seit er zu Beginn seiner Amtszeit dort Fußballschuhe kaufte. „Jan Schult ist ein Vorbild und eine Identifikationsfigur unserer Stadt, und es passt ins Bild, dass er sich auch ehrenamtlich im Jugendbereich engagiert hatte.“ Neue Herausforderungen kündigen sich an: Den Job als Co-Trainer der A-Jugend hat „Schulle“ allerdings „vorerst aufgegeben. Wenn ich etwas mache, dann zu 100 Prozent“, begründet er. Die Zeit war knapper geworden, weil er sich ein weiteres Standbein bei der Firma Dominos als Unternehmensberater für steuerfreie Benefits geschaffen hat. Und nicht zuletzt steht auch privat ein neuer Lebensabschnitt an: Seine Freundin Hannah und er bekommen im Mai eine Tochter. „Zwar mussten wir das Kinderzimmer noch mal umstreichen, weil der Frauenarzt uns zunächst einen Jungen angekündigt hatte. Aber jetzt ist alles vorbereitet. Ich freue mich schon riesig drauf.“ Trotz der neuen Herausforderung will er auf die bisherigen vorerst nicht verzichten. „Ich würde gern noch ein Jahr dranhängen beim VfL, fühle mich fit und glaube, der Mannschaft immer noch helfen zu können“, sagt Schult. Konkrete Gespräche stehen aber noch aus. Von Christian Schlichting