Fürs Klima, für die Zukunft: Kinder erziehen ihre Eltern
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Fridays for Future – Freitage für die Zukunft: Hunderte Schülerinnen und Schüler demonstrieren vor dem Lübecker Holstentor für den Klimaschutz.
© Quelle: Ulf-Kersten Neelsen
Lübeck. Meine Tochter hat mir einen neuen Rasierer geschenkt. „No waste“, steht auf der Schachtel, „kein Müll“. Er ist aus Metall, die Klingen sind plastikfrei. Aber die Rasur gelingt mir damit nicht so schonend wie mit dem verpackungs- und kunststoffintensiven Modell aus der Fernsehwerbung. Meine Tochter lobt mich und sagt, mein Gesicht sehe doch schon ganz gut aus, wenn ich mit nur zwei kleinen Schmissen am Kinn aus dem Bad komme. Sie tadelt mich nicht für meinen Müllverbrauch, sie ermutigt mich zu reflektiertem Handeln mit einem Blick für Ressourcen und Stoffkreisläufe. Pädagogisch wertvoll.
Sie lassen uns nicht durchgehen, dass die Energiewende so schleppend vorangeht
Unsere Kinder übernehmen eine neue Rolle. Sie haben längst damit begonnen, sich in die Erziehung der Erwachsenen einzumischen. Freitag für Freitag gehen viele von ihnen auf die Straße und rufen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Sie wollen uns nicht durchgehen lassen, dass Energiewende, Verkehrswende und Müllwende so schleppend vorangehen, der Klimawandel kaum gebremst wird und die langfristige Lebensqualität auf unserem Planeten in Gefahr gerät. Ihre Erkenntnis: Kinder haften für ihre Eltern. Ihre Forderung: Wir, die Erwachsenen, müssen jetzt entscheidende Schritte gegen die Erderwärmung unternehmen, nicht im Jahr 2025 oder 2050. Denn die Folgen unserer Zögerlichkeit müssen sie ausbaden. Und ihre Kinder.
Wer sich auf ihre Argumente einlässt, dürfte ihnen zustimmen: „Die Anliegen der jungen Leute sind berechtigt und gut begründet“, bescheinigt ihnen ein Lübecker Vertreter von #Scientist4Future, von 23 000 Wissenschaftlern für den Klimaschutz. Aber es gibt auch Versuche, die Anliegen der Jugend auf Nebenschauplätzen zu entkräften. Weil Schülerinnen und Schüler während der Unterrichtszeit auf die Straße gehen, gibt es inzwischen eine Debatte über den Wert der Schulpflicht. Manch einer ruft ihnen höhnisch zu, nach der Demo ließen sie sich im SUV von ihren Eltern abholen.
Andreas Scheuer – Symbolfigur einer Politik, die Probleme vertagt
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beteuert, er könne das Anliegen der Schüler „grundsätzlich gut verstehen“. Trotzdem wird er als Symbolfigur einer Politik wahrgenommen, die Probleme vertagt (Hardware-Nachrüstung von Schummelmotoren auch dreieinhalb Jahre nach dem Abgasskandal nicht geregelt) oder Maßstäbe verschiebt (Grenzwert für Diesel-Fahrverbote kurzerhand angehoben). Scheuers Tochter ist fünf. Wann sie wohl beginnt, ihren Vater mit Fragen nach der Zukunft des Planeten zu entwaffnen? Und nach seinem Beitrag zum Klimaschutz? Mit seinen Lobby-Aktionen für Automobilhersteller wird er da nicht punkten.
Unsere Kinder haben jedes Recht der Welt, unsere Bequemlichkeit infrage zu stellen. Hören wir ihnen zu, auf der Straße oder am Frühstückstisch. Bei Diskussionen zu den Themen Plastikmüll, Feinstaub und Massentierhaltung können wir einiges dazulernen: über konsequentes Verhalten und über den Umgang mit liebgewonnen Gewohnheiten bei der Wahl des Verkehrsmittels. Oder des Rasierers.
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Lars Fetköter
LN