Messer-Anschlag: Wo gingen die brisanten Informationen verloren?
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Bei dem Messer-Attentat im RE 70 bei Brokstedt starben zwei junge Menschen. Warum wusste im Norden niemand von der Gefährlichkeit des Attentäters Ibrahim A.?
© Quelle: Jonas Walzberg/dpa
Kiel. Ibrahim A., der mutmaßliche Attentäter von Brokstedt, war kein unbeschriebenes Blatt. Immer wieder Gewalttätigkeiten. Eine Gefängnisstrafe in Hamburg wegen einer Messer-Attacke. Terror-Drohungen im Hamburger Knast. Doch das Bundesamt für Migration (BAMF) und die Ausländerbehörde in Kiel, wo der 33-jährige Palästinenser sich aufhielt, wussten davon nichts.
Am 25. Januar erstach Ibrahim A. dann im Zug bei Brokstedt zwei Jugendliche. Wo waren die brisanten Informationen verlorengegangen? Im Landtag werden die Versäumnisse am Mittwoch Thema einer weiteren Sondersitzung des Innen- und Rechtsausschusses sein.
Hamburgs Justizsenatorin vor dem Sturz?
In Hamburg fordert die Opposition bereits geschlossen den Rücktritt von Grünen-Justizsenatorin Anna Gallina – vor allem wegen der unbeachtet gebliebenen Terrordrohung.
Ibrahim A. soll sich dort im August 2022 im Gefängnis mit dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, verglichen haben. Die Äußerungen wurden von den JVA-Bediensteten festgehalten. „Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer“, soll er gesagt haben.
Noch eine Sondersitzung
Selbst Gallinas SPD-Koalitionspartner gehen auf Distanz. Es stellten sich jetzt eine Reihe von Fragen zum Meldewesen in den Haftanstalten, zur Einschätzung von extremistischen Tätern und zur Unterrichtung des Verfassungsschutzes, sagt deren Abgeordneter Urs Tabbert.
In Kiel hatte Grünen-Integrationsministerin Aminata Touré Gallina schon in der vergangenen Woche scharf attackiert. In Hamburger seien Fehler gemacht worden, erklärte sie im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags. Am Mittwoch in der nächsten Sitzung sollen nun neue Erkenntnisse präsentiert werden.
Ein Warnhinweis auf der Gefangenen-Personalakte
Aber wäre es in Schleswig-Holstein besser gelaufen? Im Kieler Justizministerium ist man sich da ziemlich sicher. Es gäbe ein klares Handlungskonzept. Eine vergleichbare Äußerung in einer JVA in Schleswig-Holstein wäre sofort einer speziell geschulten „Ansprechperson Extremismus“ gemeldet und anstaltsintern bis zur Vollzugsleitung hochgemeldet worden.
Auch das Justizministerium wäre sofort über den Fall in Kenntnis gesetzt worden, heißt es. Es hätte Erkenntnisanfragen ans LKA und den Verfassungsschutz gegeben und eine Fallkonferenz – unter Hinzuziehung eines im Ministerium tätigen Islamwissenschaftlers, der bei religiösen und extremistischen Fragestellungen immer hinzugezogen werde. Die Gefangenen-Personalakte wäre mit dem Warnhinweis „Radikalisierungsgefahr Prüffall“ versehen worden.
Auch das LKA meldet seine Erkenntnisse weiter
Danach hätte es zum Beispiel Verhaltensbeobachtungen gegeben, und es wären weitere Informationen gesammelt worden. Umgekehrt melde auch das LKA dem Ministerium, wenn es Kenntnis davon habe, dass eine Person mit Bezügen zum politisch oder religiös motivierten Extremismus und Terrorismus in eine JVA komme.
Gab es so etwas in Hamburg auch? In der Sondersitzung im Kieler Landtag soll jedenfalls auch ein Vertreter der dortigen Justizbehörde Stellung beziehen. In Kiel verweist man auf die unter den Ländern abgestimmte „Verwaltungsvorschrift über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra)“.
Mitteilungspflichten sind eigentlich klar geregelt
Darin sei systematisch zusammengefasst, wann und in welchem Umfang Gerichte und Staatsanwaltschaften personenbezogene Daten von Beschuldigten an öffentliche Stellen für Zwecke jenseits der Strafverfolgung übermitteln müssen.
Wesentliche Anknüpfungspunkte für solche Meldungen, etwa eine ausländische Staatsangehörigkeit des Beschuldigten, würden gut sichtbar auf dem Aktendeckel gekennzeichnet werden. Die Beachtung dieser Mitteilungspflichten gehöre zum allgemeinen Rüstzeuge der Staatsanwaltschaften und Gerichte.
FDP sieht viele Widersprüche
„Es ist Aufklärungsarbeit notwendig“, sagt der Kieler FDP-Landtagsabgeordnete Bernd Buchholz. Es gebe viel zu viele Widersprüchen – etwa, warum ein JVA-Psychologe Ibrahim A. kurz vor der Haftentlassung Ungefährlichkeit attestiert, während die JVA-Mitarbeiter über regelmäßige Angriffe und Bedrohungen berichteten. Außerdem müsse genau nachvollzogen werden, wer was wann an wen weitergemeldet habe.
Der SPD-Innenpolitiker Niclas Dürbrook spricht bereits von ganzen „Serien an Behörden-Pannen“. Erst hätte Nordrhein-Westfalen dem BAMF keine Meldung zu Straftaten von Ibrahim A. gemacht. Später erreichte das BAMF Ibrahim A. nicht, weil es aus Hamburg auch keine Kenntnis über dessen Haft in der Hansestadt hatte. „Ich hoffe, dass uns der Innenausschuss am Mittwoch bei der Aufklärung weiterhelfen wird“, sagt Dürbrook.