„In Germany, we don’t say“: Wie Tiktoker deutsche Eigenarten auf die Schippe nehmen
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Deutsche tragen dem Klischee zufolge gern Socken in Sandalen, obwohl die Kombi als optische Katastrophe gilt.
© Quelle: Komarovskyy Mykola/iStockphoto
Sie lieben Tupperdosen, Grillen und Fußball. Sie sind ehrgeizig, stets ernst, vielleicht ein bisschen spießig. Vor allem aber sind sie – abgesehen von der Deutschen Bahn – immer pünktlich. So zumindest lautet das Klischee über Deutsche, das schon lange auf Tiktok zelebriert wird. Videos über deutsche Kultur genießen inzwischen fast schon einen Kultstatus auf der Plattform. Und das nicht, weil Tiktokerinnen und Tiktoker sie so vorbildlich finden: Die kreativen Köpfe, die die Videos produzieren, machen sich über deutsche Eigenarten lustig – und haben damit viel Erfolg.
Klischeewitze als Erfolgsrezept: Deutschland aus Sicht eines Briten
Vor allem in Deutschland lebende Tiktokerinnen und Tiktoker aus anderen Ländern spezialisieren sich darauf, den Deutschen den Spiegel vorzuhalten. Die Vietnamesin Uyen Ninh zum Beispiel, die mit ihrer Außensicht auf den deutschen Fanatismus in Sachen Birkenstock-Schuhe, Radlerhosen und die ungeliebte Kombi aus Sandalen und Socken aufmerksam macht. Zu einer festen Größe unter den Tiktokerinnen und Tiktokern gehört auch Liam Carpenter: Ursprünglich als Basketballprofi nach Deutschland gekommen, verdient der Brite inzwischen mit Tiktok sein Geld. Mehrmals in der Woche postet er Videos über Deutschland, seine Catchphrase „In Germany, we don’t say“ (in Deutschland sagen wir nicht) ist eines der Wiedererkennungsmerkmale seines Kanals „liamcarps“.
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Denn damit richtet er sein Augenmerk auf die deutschen Eigenarten, die ihm als Briten doch etwas komisch erscheinen. In Deutschland sage man etwa nicht: „Was für ein schönes, großes Haus!“, sondern: „Diese Heizrechnung möchte ich aber nicht bezahlen müssen!“ Der 26-Jährige erzählt auf Tiktok mit viel Humor über solche Unterschiede zu seinem Heimatland, die er seit seiner Ankunft in Deutschland bemerkt hat. „Als ich erstmals nach Deutschland gekommen bin, fand ich vor allem den Einkauf im Supermarkt seltsam. In England packen die Kassiererinnen und Kassierer die Lebensmittel direkt in die Tasche ein – doch in Deutschland musste ich mich daran gewöhnen, alles selbst zügig einzupacken, um die Leute hinter mir in der Schlange nicht zu verärgern“, erinnert er sich im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Solche Situationen nimmt er als Anlass, seine – zur Belustigung der Zuschauenden überspitzt dargestellten – Erfahrungen zu teilen: In England macht der Einkauf Spaß, die Person hinter der Kasse ist höflich und packt die Lebensmittel ganz selbstverständlich in die Tüte. Doch in Deutschland steht er schweißgebadet an der Kasse, während der Kassierer ebenso humorlos wie blitzschnell seine Waren einscannt.
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„Wandertag!“ Tiktok-Star Liam Carpenter macht sich auf der Videoplattform über Deutschland lustig.
© Quelle: privat
Überspitzte Darstellungen mit einem Fünkchen Wahrheit
Mit diesen Klischees bringt Carpenter unerwartet viele Deutsche zum Lachen. Inzwischen zählt er schon über 1,3 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, die seinem Kanal folgen. Und gut die Hälfte seiner Zuschauerinnen und Zuschauer kommen aus Deutschland. Sein Erfolgsrezept: „In meinen Videos übertreibe ich zwar, aber in allen steckt ein Fünkchen Wahrheit. Ich glaube, das macht es für die Zuschauenden so witzig und lebensnah“, sagt er. Sei es die Liebe zum Grillen oder der Drang, pünktlich zu sein: Sie erkennen sich oder auch andere Einheimische in seinen Videos wieder. So haben die von ihm gespielten Deutschen stets Ärger mit der unpünktlichen Deutschen Bahn – und ein deutscher Batman würde in seinem Szenario lieber darauf verzichten, eine Frau zu retten, als zu spät zur Arbeit zu kommen.
Die überspitzten Darstellungen spiegeln dabei stets seine Wahrnehmung des Lebens in Deutschland als Brite wider. Beim Wortspiel „Scrabble“ verzweifelt er an den Wörtern seiner deutschen Mitspieler, die sich die Komposition in der deutschen Sprache zunutze machen, um scheinbar endlose Wortketten zu kreieren. Und auf der Autobahn setzen ihn seine deutschen Mitfahrer – ebenfalls von ihm gespielt – unter Druck, weil er ihnen mit einem Tempo von 110 km/h immer noch zu langsam fährt, obwohl das im Vereinigten Königreich schon das Tempolimit wäre.
„Alman“-Kultur auf Tiktok
Auf der Plattform nehmen aber auch viele deutsche Tiktokerinnen und Tiktoker Deutschland auf die Schippe. So hat sich längst der Begriff „Alman“ in Social Media etabliert: eine ironische Bezeichnung für Deutsche, die die Klischees erfüllen. Alman stammt aus dem Türkischen und heißt „deutsch“ oder „Deutsche(r)“.
Der Entertainer Clemens Brock etwa erreicht mit seiner Darstellung eines klischeehaften deutschen Vaters Millionen Nutzerinnen und Nutzer: Mit seinem (wohlgemerkt künstlichen) Bierbauch schmeißt er sich jammernd aufs Sofa, um endlich Fußball zu schauen und Flachwitze zu reißen. Und kaum jemand kann die Vorurteile über Deutsche im Auslandsurlaub so gut porträtieren, wie die Tiktok-Creatorin „miss_sunnymind“. Ihre Alman-Figur sucht im Restaurant nach deutschen Landsmännern und ‑frauen, um mit ihnen lautstark in der eigenen Sprache sprechen zu können. Natürlich spricht sie die heimischen Spezialitäten auf der Speisekarte konsequent falsch aus – aber in der Überzeugung, dass die Aussprache vollkommen korrekt sei.
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Carpenter beendet Basketball-Karriere für Tiktok
Carpenter findet es toll, dass man auf Tiktok auch mal über sich selbst und die eigene Kultur lachen kann. „Das Wichtigste ist, dass sich die Videos auf bekannte Alltagssituationen beziehen. Durch die Übertreibung nehme ich den Videos die Ernsthaftigkeit, damit man auch die Klischees mit Humor nehmen kann“, sagt er. An Inspiration mangele es ihm nicht: Carpenter lebt bereits seit acht Jahren in Deutschland und kommt auch dank seiner deutschen Frau stets auf neue Ideen.
Vor einigen Monaten beendete Carpenter sogar seine Basketball-Laufbahn, um sich seiner Tiktok-Karriere zu widmen. Auf der Social-Media-Plattform verdient er vor allem durch Werbung Geld. Unter anderem wirbt er in einigen seiner Videos für den Senfhersteller Bautzner, indem er sich als stereotyper Deutscher verkleidet, folglich in Socken und Sandalen rumläuft und die Bratwurst beim Grillen tief in das Senfglas taucht. Offenbar hält das deutsche Unternehmen seine klischeehaften Videos trotzdem – oder gerade deshalb – für eine geeignete Plattform für ihr Produkt.
Deutsche haben doch Humor
Aber auch Humor hat seine Grenzen: Carpenter meide es etwa, die deutsche Sprache und den Akzent der Deutschen zu verspotten. Auch darüber machen sich Menschen auf Tiktok lustig, weil die Sprache für Anderssprachige zornig klingen mag – und viele Deutsche im Englischen den „th“-Laut nicht aussprechen können. „Man muss vorsichtig sein, wie man eine Kultur darstellt. Wenn die Witze zu persönlich werden, könnte das die Betroffenen hart treffen“, betont der Tiktoker.
Die deutschen Nutzerinnen und Nutzer haben auf Tiktok aber offenbar kein Problem damit, dass er sich über deutsche Eigenarten lustig macht. Ein Vorurteil über Deutsche hat sich damit nicht bewahrheitet: Sie haben eben doch Humor. Diese Erfahrung hat auch Carpenter nach vielen Jahren in Deutschland gemacht. „Das Vorurteil ist definitiv nicht wahr. Die Kommentare unter meinen Videos zeigen genau das Gegenteil: Deutsche lachen gern über die Klischees über sie und nehmen sich selbst nicht zu ernst – auch wenn es ein paar Ausnahmen gibt“, sagt er.
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