„Grippeimpfung ist dieses Jahr besonders wichtig“
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Spritzen mit einem Grippeimpfstoff
© Quelle: César Ortiz/EUROPA PRESS/dpa
Frau Wicker, wird in diesem Winter nicht nur Corona zum Problem, sondern auch die Grippe?
Wie gut Deutschland durch die Influenzasaison 2022/2023 kommen wird, hängt primär von den Impfquoten ab. Und diese sind in den Risikogruppen leider weiterhin zu niedrig.
Was heißt zu niedrig?
In der Altersgruppe der ab 60-Jährigen betrug die Influenzaimpfquote in der Saison 2020/2021 zum Beispiel 47 Prozent. Bei chronisch kranken Personen ab 18 Jahren waren es nur 39 Prozent – das geht aus den Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen hervor. Besonders niedrig ist die Impfquote auch bei Schwangeren (23 Prozent). Gerade im Rahmen der Corona-Pandemie braucht es aber eine hohe Influenzaimpfquote in den Risikogruppen.
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Prof. Sabine Wicker ist stellvertretende Vorsitzende der Ständigen Impfkommission und Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am Universitätsklinikum Frankfurt.
© Quelle: Universitätsklinikum Frankfurt
Warum?
Eine hohe Impfquote ist wichtig, um schwere Influenzaverläufe zu verhindern und eine zusätzliche Belastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Australien, wo die Impfquote in diesem Jahr auch sehr niedrig gewesen ist, hat die schwerste Grippewelle seit 2017 erlebt. Ist das ein Vorbote für Deutschland?
In der südlichen Hemisphäre hat die Influenzawelle in diesem Jahr früher begonnen. Und die Influenzafallzahlen waren oftmals auch deutlich höher als im vergangenen Jahr. Allerdings kann die Grippesaison in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich verlaufen. Deshalb ist es nicht unbedingt möglich, Rückschlüsse von einem Land zum anderen zu ziehen.
Unterschätzen wir die Grippe hierzulande im Moment?
Ich befürchte schon. Wir waren die vergangenen zweieinhalb Jahre sehr auf Covid-19 fokussiert und da hat vielleicht der ein oder andere vergessen, dass es noch andere respiratorische Erreger gibt, die zu einem mitunter schwerwiegenden Krankheitsverlauf führen können.
Wie wichtig wird die Grippeimpfung in diesem Jahr?
Die Grippeimpfung ist dieses Jahr besonders wichtig. Denn das Influenzavirus ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren kaum noch zirkuliert und es gab nur sehr wenige Infektionen in der Bevölkerung. Was unter anderem an den zahlreichen Maßnahmen zur Vermeidung respiratorischer Infektionen gelegen hat – wie etwa der Maskenpflicht. Mittlerweile werden kaum noch Masken getragen – und wenn, dann oftmals nicht richtig. Auch gibt es kaum noch Maßnahmen der Kontaktreduzierung. Das macht es in diesem Winter wahrscheinlicher, auf Menschen zu treffen, die sich mit Influenza infiziert haben.
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Wer sollte sich in diesem Jahr gegen Grippe impfen lassen?
Als Stiko empfehlen wir die Impfung für alle Menschen ab 60 Jahren, Schwangere und Menschen ab sechs Monaten, die unter einer Grunderkrankung wie Diabetes oder einer Immundefizienz leiden und deshalb ein erhöhtes Risiko haben, schwer an Influenza zu erkranken. Auch sollten sich Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr und medizinisches Personal impfen lassen – genauso wie Kontaktpersonen von Risikopersonen.
Wie verhalte ich mich, wenn ich trotz Impfung an Grippe erkranke?
Eine Influenzainfektion kann bei jedem Menschen unterschiedlich verlaufen. Es gibt unkomplizierte Krankheitsverläufe, da richtet sich die Behandlung nach den Symptomen. Erkrankte sollten sich schonen, ausreichend schlafen und trinken. Hat jemand ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf, zum Beispiel wegen einer Vorerkrankung, dann sollte er oder sie rechtzeitig Kontakt mit dem Hausarzt oder der Hausärztin aufnehmen. Schwangere können sich auch an ihren Frauenarzt oder ihre Frauenärztin wenden. In Absprache mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sollte dann eine antivirale Therapie erwogen werden. Influenzainfektionen können zu schwerwiegenden Verläufen mit zahlreichen Komplikationen führen, zum Beispiel zu Herzmuskel- oder Lungenentzündungen.
Neben den Influenzaviren kursieren auch Corona und andere Erkältungserreger. Lassen sich anhand der Symptome Rückschlüsse auf ihre Verursacher ziehen?
Nein, diese Infektionen können alle individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Den Geruchs- und Geschmacksverlust, den wir bei vorherigen Covid-19-Wellen mit anderen Virusvarianten gesehen haben, sehen wir bei der Omikron-Variante beispielsweise nur noch sehr selten. Stattdessen sind nun oftmals Halsschmerzen vorherrschend – aber die sehen wir natürlich auch bei anderen Atemwegsinfektionen. Was typisch für die Influenza ist, ist ein sogenanntes Sudden onset.
Was ist das?
Ein sehr plötzlicher Krankheitsbeginn. Aus vollem Wohlbefinden kann man beispielsweise hohes Fieber und ein starkes Krankheitsgefühl mit Husten, Kopf- und Gliederschmerzen entwickeln. Die Patientinnen und Patienten können oftmals quasi genau die Uhrzeit benennen, wann es losging. Bei anderen respiratorischen Virusinfektionen ist der Krankheitsbeginn meist nicht so abrupt. Bei Covid-19 kann es auch sein, dass sich der Zustand erst nach ein paar Tagen deutlich verschlechtert – also zu einem Zeitpunkt, an dem man glaubte, man sei schon über den Berg.
Es sind ja sehr viele Menschen in den vergangenen Jahren an Covid-19 erkrankt. Gleichzeitig haben sich Millionen Bürgerinnen und Bürger impfen lassen. Schützt die Immunität, die wir bei Corona aufgebaut haben, auch vor der Grippe?
Nein, es handelt sich um zwei verschiedene Virusinfektionen und auch um unterschiedliche Impfstoffe. Es gab zwar im vergangenen Jahr eine Studie, die nahegelegt hat, dass eine Grippeimpfung unter Umständen vor schweren Krankheitsverläufen von Covid-19 schützen könnte. Allerdings ist die Interaktion von diesen beiden verschiedenen respiratorischen Viren tatsächlich noch nicht vollständig geklärt. Letztendlich handelt es sich um zwei potenziell gefährliche respiratorische Viren – aber, großes Aber, die jeweiligen Impfungen bieten guten Schutz vor schwerwiegenden Krankheitsverläufen.