Frankfurter Buchmesse: Das Virus bestimmt die Spielregeln

Die Welt der Bücher erlebt in der Pandemie einen Aufschwung. Die Frankfurter Buchmesse ist abgespeckt, aber optimistisch.

Die Welt der Bücher erlebt in der Pandemie einen Aufschwung. Die Frankfurter Buchmesse ist abgespeckt, aber optimistisch.

Die größte Lesebühne der Frankfurter Buchmesse ist das Blaue Sofa. Im Halbstundentakt stellen hier Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre neuen Bücher vor. Gerade spricht Arno Strobel über seinen Thriller „Sharing“ und erzählt nebenbei, dass er fürs Schreiben im Alter von 50 Jahren seinen sicheren Job als Informatiker bei einer Bank aufgegeben hat. Der Zuschauerraum ist gut gefüllt.

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Gut gefüllt heißt: Es sitzen etwas mehr als 20 Interessierte auf weißen Sitzwürfeln, in sicherem Abstand voneinander. Wenige Schritte weiter sind bei der Präsentation von Ralph Bollmanns Merkel-Biografie am Stand der „FAZ“ alle Plätze besetzt – es sind zehn. „Vielen Dank, dass Sie im Rahmen des Hygienekonzepts der Messe so zahlreich erschienen sind“, sagt der Moderator.

Quicklebendig mit Corona

Im Rahmen des Hygienekonzepts, das ist die entscheidende Formel in diesem Buchmessejahr. Es ist mitnichten mangelndes Interesse an Literatur und Lektüre, das aus den geringen Zuschauerzahlen abzuleiten wäre. Es ist, immer noch, das Virus, das die Spielregeln bestimmt.

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Das Buch ist in der Vergangenheit schon viele Tode gestorben. Es wurde nach der Erfindung des Fernsehens beerdigt, nach dem Siegeszug des Internets totgeschrieben, mit dem ­E-Book in seiner gedruckten Form für erledigt erklärt. Im vergangenen Jahr dann schaute auch die Buchbranche voller Angst auf dieses neue Virus, das Buchläden schließen ließ und Lesungen verhinderte. Ein neuer Tod?

Im Gegenteil. Die Pandemie hat offenbart, wie quicklebendig dieses ur­alte Medium immer noch ist.

Corona habe gezeigt, „dass das Buch ganz tief in der Gesellschaft verankert ist. Es ist nach wie vor eines der wichtigsten Medien, vielleicht das Leitmedium in der Gesellschaft“, sagt Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. „Das erkennen wir konkret an Zahlen. Das Lesen hat gerade in der Pandemie stark zugenommen. Die Nachfrage nach dem Buch war außerordentlich hoch.“

Seit Mittwoch hat die Frankfurter Buchmesse für das Fachpublikum geöffnet, am Freitag, Samstag und Sonntag dürfen auch Privatbesucher aufs Gelände. Nach der digitalen Variante 2020 kommen nun unter dem Motto „ReConnect“ wieder reale Menschen zusammen, um über reale Bücher zu diskutieren. Rund 1800 Aussteller aus mehr als 70 Ländern haben sich laut Buchmessedirektor Juergen Boos angemeldet.

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Allerdings ist noch nicht alles wieder so, wie es früher einmal war. Täglich dürfen höchstens 25 .000 Besucherinnen und Besucher durch die Hallen wandeln. Zum Vergleich: 2019 strömten mehr als 300 .000 Menschen auf das Gelände. Die Ausstellerzahl war mit 7500 fast viermal so hoch. Wie so manches Zusammenkommen in der jüngsten Vergangenheit findet also auch das Familientreffen der internationalen Buchgemeinschaft in abgespeckter Form statt. Immerhin, es findet statt.

Große, mittlere und kleine Verlage sind dabei, manche sparen sich den großen Aufschlag und teilen sich Stände mit befreundeten Verlagen, andere schicken nur das absolut notwendige Personal nach Frankfurt. Obwohl „wir dort weniger von dem machen können, was wir normalerweise auf solchen Messen tun“, ist auch der Göttinger Verleger Thedel von Wallmoden gekommen. Sein Verlag Wallstein, der sowohl wissenschaftliche Literatur als auch Belletristen wie den Büchnerpreisträger von 2019, Lukas Bärfuss, verlegt, ist sehr gut durch die Krise gekommen.

Ware mit kultureller Relevanz

Wallmodens Erwartungen an die Buchmesse sind vielfältig: Gespräche mit Kritikern, „denen wir bestimmte Titel empfehlen, für die wir uns noch mehr Medienresonanz wünschen würden“, Treffen mit Literaturveranstaltern, Dienstleistern und Druckereien und Verhandlungen über Lizenzen. Für den Verleger spielt aber noch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle: „Ich sage meinen Mitarbeitern und Studenten immer: Unsere Branche ist kleiner als Aldi Süd. Aber wenn wir unsere Messen eröffnen, sind wir damit in den Hauptnachrichten.“ Damit werde auch die Botschaft ausgesandt, Bücher seien etwas Tolles, von Interesse und kultureller Relevanz. „Diese Botschaft als Branche zu transportieren ist auch eine wichtige Aufgabe dieser ganzen Messe.“

Wie wichtig das Buch tatsächlich immer noch ist, zeigen die Zahlen für 2020 und 2021: Der Gesamtumsatz der Branche blieb 2020 laut Börsenverein mit +0,1 Prozent stabil. Das Onlinegeschäft wuchs um 20,9 Prozent und machte im Corona-Jahr 2020 rund ein Viertel des Gesamtumsatzes aus. In diesem Jahr sieht es noch besser aus: Über alle Vertriebswege hinweg, so Skipis, stehe der Buchmarkt mit einem Umsatzplus von 0,7 Prozent bereits besser da als im selben Zeitraum 2019. Die Chancen auf ein positives Jahresergebnis stehen gut.

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Aber was suchen Menschen in Büchern? „Sie suchen gesicherte Informationen, aber dann natürlich auch Unterhaltung, Anregung und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen“, sagt der Börsenverein-Hauptgeschäftsführer. „Das ist eine sehr breite Spannweite, die wir auch in den Büchern anbieten.“

Vor allem zuverlässig recherchierte Informationen sind offensichtlich ein wichtiges Kriterium. „Dafür spricht, dass das Sachbuch in der Pandemie gewachsen ist“, sagt Skipis. „Mit Stand Mitte Oktober verzeichnet es ein Umsatzplus von 2,1 Prozent gegenüber demselben Zeitraum 2019, also vor der Pandemie. Das Sachbuch scheint als Medium gesicherter Informationen den Menschen wichtig zu sein.“

Man könnte es auch so ausdrücken: Es gibt wohl kein Thema, keine gesellschaftliche Debatte, keine ungelösten Probleme, zu denen nicht irgendein Buch erschienen ist. Allein die Vielfalt dieses Herbstes spricht da Bände: Neben zahlreichen spannenden, umwerfenden, traumspendenden, ergreifenden Romanen wie nicht zuletzt Antje Rávik Strubels Buchpreisbuch „Blaue Frau“ stellt bei den Sachbüchern Elizabeth Kolbert in „Wir Klimawandler“ Ideen vor, wie die Welt eine ökologisch bessere werden kann. Peter Trawny geht der „Krise der Wahrheit“ auf den Grund, Rüdiger Safranski schreibt übers „Einzeln sein“, Daniel Schreiber fühlt sich „Allein“.

Ralph Bollmann und Ursula Weidenfeld bilanzieren jeweils auf ihre Art die Amtszeit Angela Merkels, Peter Longerich sowie Marina Weisband und Eliyah Havemann schreiben auf ganz unterschiedliche Weise über Antisemitismus, Natascha Strobl über „radikalisierten Konservatismus“. Es wird in die Zukunft geblickt und die Vergangenheit bewertet, es wird die Gegenwart dechiffriert und der Weltraum beleuchtet. Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Für den französischen Philosophen Gaspard Koenig sind es goldene Zeiten für Intellektuelle, „weil sich die Leute auf Erklärungen freuen. Sie fühlen sich ein bisschen verloren.“ Deshalb beobachte er eine große Lust zu lesen, wie er dem RND sagt. „Die Menschen brauchen Buchseiten, nicht nur Artikel oder Tweets.“

Koenig, der mit „Das Ende des Individuums“ in diesem Herbst eine spannende Reise durch die Welt der künstlichen Intelligenz geschrieben hat, sieht noch einen anderen Vorteil von Lektüre: Wichtig sei auch „die Zeit, die man sich nimmt, wenn man ein Buch liest“ – Zeit, die abgekoppelt ist. „Um das Buch zu lesen, müssen Sie einen Moment oder ein paar Stunden finden, in denen Sie nicht im Netz sind. Es gibt offensichtlich ein anthropologisches Bedürfnis nach dieser Art von Reflexion, Frieden und Konzentration.“

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Die Buchbranche könnte in diesen Tagen des abnehmenden Lichts also eigentlich zufrieden mit ihrer Lage sein, doch ist auch sie keine Insel des vollkommenen Glücks. Nicht alle haben die Corona-Krise unbeschadet überstanden. Schwer zu knapsen hatten beispielsweise die freien Autorinnen und Autoren. Weil Lesungen wegfielen, blieb ein wichtiger Teil ihrer Einnahmen aus.

Was das bedeutet, rechnet Thedel von Wallmoden vor: „Nehmen wir mal an, der neue Roman kostet 20 Euro und wird mit 5000, 6000, 7000 Exemplaren verkauft, was ordentlich ist.“ Ein Autor, eine Autorin bekomme dann bei 10 Prozent Honorar etwas zwischen 10 000 und 14 000 Euro. „Und so viel nehmen die Autoren noch mal zusätzlich ein, wenn sie noch bei 20 Veranstaltungen zu diesem neuen Buch auftreten.“ Es habe zwar Corona-Hilfen gegeben, aber trotzdem: Dass diese Einkünfte weitestgehend entfallen sind, „finde ich schon dramatisch“, sagt der 63-Jährige.

Ein anderes Problem sind die steigenden Papierpreise und die Lieferschwierigkeiten bei Papier. Ohne Material in den Druckereien wird es eng für die Verlage.

Überleben in toten Innenstädten

Und nicht zuletzt sind da die sterbenden Innenstädte. „Das ist existenziell wichtig. Die Buchhandlungen vor Ort sind die Schaufenster der Branche. Buchhandlungen machen immer noch knapp die Hälfte des gesamten Umsatzes aus“, betont Alexander Skipis. Er benennt das Problem deutlich: „Es gibt viele Innenstädte, die einfach nur noch langweilen, und dann geht kaum einer noch dorthin. Natürlich fehlen dann auch die Leute, fehlt das Publikum, das an einer Buchhandlung vorbeigeht und auch mal reingeht, ein bisschen stöbert und dann ein Buch findet, das man gerne lesen möchte und dann auch kauft.“

Gemeinsam mit der Politik will der Börsenverein daher eine Initiative starten, um Buchhandlungen in die neuen Magneten für Innenstädte umzuwandeln. „Wir verfügen mit den rund 5000 Buchhandlungen in Deutschland über ein sehr engmaschiges Vertriebsnetz. Das geht ja praktisch bis in die Kapillaren des Landes hinein“, sagt Skipis. Wenn in diesen Buchhandlungen nicht nur Lesungen, sondern auch Konzerte, Diskussionen, politische Debatten stattfinden, so der Leitgedanke, werde die Attraktivität der Innenstädte erhöht.

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Noch bis Sonntag werden in Frankfurt mehr als 300 Autorinnen und Autoren ihre neuen Bücher vorstellen oder debattieren. Ein Themenschwerpunkt lautet „Wie wollen wir leben?“ Eine Antwort scheint nahezuliegen: mit einem Buch in der Hand.

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