Frankfurter Buchmesse: „Junge Menschen greifen mehr zum Buch“
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Aus alter Verbundenheit: Das Motto der Frankfurter Buchmesse „Re:connect“ steht bei der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse in der Festhalle auf einer Großleinwand.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Herr Skipis, wie geht’s dem Buch denn nach diesen anderthalb aufregenden Jahren?
Allgemein kann man deutlich sagen, dass die Pandemie gezeigt hat, dass das Buch ganz tief in der Gesellschaft verankert ist. Es ist nach wie vor eines der wichtigsten Medien, vielleicht das Leitmedium in der Gesellschaft. Das erkennen wir konkret an Zahlen. Das Lesen hat gerade in der Pandemie stark zugenommen. Die Nachfrage nach dem Buch war außerordentlich hoch. Und als dann die Buchhandlungen wieder als eine der ersten Einzelhandelsgeschäfte öffnen konnten, wurden diese von den Leserinnen und Leser geradezu gestürmt. Das zeigt sehr deutlich, welche bedeutende Rolle das Buch in der Gesellschaft spielt.
Was suchen denn Menschen in Büchern?
Das ist sehr unterschiedlich. Sie suchen gesicherte Informationen, aber dann natürlich auch Unterhaltung, Anregung und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen. Das ist eine sehr breite Spannweite, die wir auch in den Büchern anbieten.
Gesicherte Informationen ist ein wichtiges Stichwort. Ist gerade in Krisenzeiten das Buch ein bewährtes und vertrauensvolles Gegenstück zum Internet?
Mit Sicherheit. Dafür spricht, dass das Sachbuch in der Pandemie gewachsen ist. Mit Stand Mitte Oktober verzeichnet es ein Umsatzplus von 2,1 Prozent gegenüber demselben Zeitraum 2019, also vor der Pandemie. Das heißt, das Sachbuch scheint als Medium gesicherter Informationen den Menschen wichtig zu sein.
Bücher mit dem Fahrrad ausgefahren
Die Zahlen der Buchbranche für 2020, die der Börsenverein im Juli dieses Jahres vorgestellt hat, sehen ja gut aus. Woran lag das? Wie haben Buchhandel und die Verlage dies trotz der widrigen Umstände geschafft?
Gerade die Buchhändlerinnen und Buchhändler haben mit einer unglaublichen Kreativität und Findigkeit und auch wirklich sehr viel Einsatz das Buch weiter zu den Menschen gebracht. Sie haben die Bücher mit dem Fahrrad ausgefahren, haben Abholservices organisiert und und und. Das ist grandios gelaufen. Aber: Wir reden da vom Umsatz. Die Prozesskosten eines solchen Verfahrens, das heißt Lastenfahrräder kaufen und vieles mehr, sind extrem hoch. So war das, was letztlich in der Kasse übrig geblieben ist, natürlich schon weniger als sonst.
Aber der Einsatz hat sich trotzdem gelohnt.
Absolut. Daran war zu sehen, wie ein sehr gut funktionierendes Vertriebssystem, das Buchhandel heißt, sowohl digital als auch physisch das Buch auf allen möglichen Wegen zu den Menschen bringt. Das ist ein großer Einsatz gewesen. So etwas ist für den Einzelhandel nicht selbstverständlich. Gehen Sie mal in einen Schuhladen und versuchen dort, etwas digital zu bestellen. Und der Buchhandel hat sich um die Leserinnen und Leser gekümmert. Anders beispielsweise als ein großer Onlinehändler, der mit A anfängt, der sofort gesehen hat, dass er mit Klopapier und anderen Dingen noch mehr Geld verdienen kann und die Lieferung von Büchern herunterpriorisiert hat.
Das war sicherlich ein Moment, in dem Leserinnen und Leser gesehen haben, welchen Schatz sie mit dem lokalen Buchhandel vor der eigenen Haustür haben.
Ja! Es hat sich übrigens auch gezeigt, dass gerade die kleineren und mittleren Buchhandlungen im eigenen Kiez eine enorme zusätzliche Kundenbindung erfahren haben. Ein Buchhändler bei mir um die Ecke erzählte mir etwa, er habe Leute kennengelernt, die direkt nebenan aus den Wohnhäusern kommen, aber früher nie bei ihm Bücher gekauft haben. Und plötzlich haben sie gesehen, da ist ja eine Buchhandlung, die digital wie physisch sehr gut kann. Und dazu kommt noch individuelle Beratung und persönlicher Service.
Können Sie schon eine Art Zwischenfazit für dieses Jahr ziehen? Zumindest die erste Hälfte von 2021 war ja auch geprägt vom Lockdown.
In der Tat. Wir vergleichen jetzt die ersten 40 Kalenderwochen dieses Jahres mit denen von 2019. Das war ja das Jahr, in dem wir noch „normalen“ Umsatz gemacht haben. Da liegen wir im Moment schon 0,7 Prozent im Plus, das heißt über Vor-Corona-Niveau. Da schafft der Buchmarkt Erstaunliches. Wenn also alles so gut weiterläuft, werden wir voraussichtlich in diesem Jahr, was den Umsatz angeht, ein ausgeglichenes bis positives Ergebnis haben.
Nun steht die Buchmesse vor der Tür. Was sind die Erwartungen der Branche an dieses Großereignis?
Die Nachfrage nach dieser Buchmesse war enorm, weil in den vergangenen eineinhalb Jahren besonders deutlich geworden ist, dass der Buchmarkt und die Menschen, die dort arbeiten, sehr stark den persönlichen Kontakt suchen. Sie suchen die Vernetzung, sie wollen miteinander reden, zusammenstehen, das ist letztendlich genau das, was die Buchmesse ausmacht – natürlich neben den Geschäften, die dort abgeschlossen werden. Und deswegen bin ich auch ganz sicher, dass die physische Messe eine dauerhafte Einrichtung bleiben wird. Denn Begegnungen dieser Art, auch unerwartete, kann nur eine physische Messe bieten.
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Buchexperte: Der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis.
© Quelle: dpa
Gibt es denn trotzdem positive Erfahrungen aus der digitalen Messe vom vergangenen Jahr, die sich lohnen, für die Zukunft beibehalten zu werden?
Ich gehe davon aus, dass es auf jeden Fall wichtig ist, auch digitale Angebote beizubehalten und zu entwickeln. Aber eben als Ergänzung zur physischen Präsenz. Das physische Treffen ist sozusagen der Anker, und um den herum gibt es digitale Angebote. Das ist sehr, sehr wertvoll. Wenn ich beispielsweise an Verlage oder gar ganze Länder denke, die eigentlich gern auf der Buchmesse wären, aber das aus verschiedenen Gründen nicht können, haben diese die Möglichkeit, digital zu partizipieren.
Warum ist das wichtig?
Das ist enorm wertvoll für die Vernetzung der Buchmärkte weltweit und natürlich auch für eine künftige Kundenbindung. Zudem bietet sich die Teilnahme an verschiedenen Seminaren und Tagungen an, die auch digital oder nur digital angeboten werden. Man kann dann trotz eines engen Kalenders oder wenn man nur einen Tag reisen kann trotzdem an solchen Veranstaltungen teilnehmen.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen: Haben Sie Erkenntnisse, was das Alter der Leser angeht?
Während der Pandemie haben 25 Prozent der Leserinnen und Leser angegeben, dass sie mehr lesen. Bei den Zehn- bis 19-Jährigen waren es sogar 34 Prozent. Damit korrespondiert auch, dass bei den Warengruppen das Genre Kinder- und Jugendbuch stark gewachsen ist. In dieser Pandemie reden wir von zweistelligen Wachstumsraten, und das war wirklich signifikant. Das heißt also, die Pandemie hat auch dazu geführt, dass vor allen Dingen junge Leute mehr zum Buch greifen.
„Buchhandlungen vor Ort sind die Schaufenster der Branche“
Ich würde gerne noch über zwei Herausforderungen mit Ihnen sprechen. Eine ist die Verödung der Innenstädte und die Frage, wie sie wiederbelebt werden können. Welche Folgen hat diese Debatte für den Buchhandel?
Das ist existenziell wichtig. Die Buchhandlungen vor Ort sind die Schaufenster der Branche. Buchhandlungen machen immer noch knapp die Hälfte des gesamten Umsatzes aus. Ohne Buchhandlungen würde der Umsatz der Buchbranche viel, viel geringer sein. Denn wir wissen, dass der wegfallende Umsatz durch eine schließende Buchhandlung nicht zu 100 Prozent von anderen Buchhandlungen oder über Onlinebestellungen ersetzt werden kann. Das bedeutet, wir sind existenziell darauf angewiesen, dass es Buchhandlungen in der Fläche gibt.
Was bedeutet das für die Innenstädte?
Das korrespondiert natürlich sehr stark mit der Schwierigkeit, die entsteht, weil Innenstädte, aber auch der ländliche Raum unter mangelnder Attraktivität leiden. Anders formuliert: Es gibt viele Innenstädte, die einfach nur noch langweilen, und dann geht kaum einer noch dorthin. Natürlich fehlen dann auch die Leute, fehlt das Publikum, das an einer Buchhandlung vorbeigeht und auch mal reingeht, ein bisschen stöbert und dann ein Buch findet, was man gerne lesen möchte und dann auch kauft. Weil das so elementar wichtig für unsere Buchhandlungen ist, starten wir eine Initiative.
Wie sieht die aus?
Unsere Idee ist folgende: Wir verfügen mit den rund 5.000 Buchhandlungen in Deutschland über ein sehr engmaschiges Vertriebsnetz. Das geht ja praktisch bis in die Kapillaren des Landes hinein. Diese Buchhandlungen wollen wir als sogenannte dritte Orte weiter ausbauen.
Was sind dritte Orte?
Der Begriff geht auf den amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg zurück. Dritte Orte sind eben nicht das Zuhause und nicht der Ort der Arbeit, also das Büro oder die Betriebsstätte, sondern Orte, an denen man sich begegnet. Das sind Buchhandlungen natürlich schon jetzt. Denn mit den vielen Lesungen, die stattfinden, und Diskussionen sind sie lebendige Orte des Austausches. Aber das kann man ausbauen. Das kann man auch mit anderen Kulturangeboten oder durch gesellschaftspolitisch interessante Themen und Veranstaltungen ergänzen. Nun ist unser Angebot an die Politik zu sagen: Wenn Sie sich über die Belebung der Innenstädte Gedanken machen, können wir dies als unseren Beitrag anbieten. Und wenn Sie uns dabei unterstützen, stärkere Kulturprogramme zu veranstalten – Konzerte, Diskussionen, politische Debatten –, dann hätten wir schon attraktive Standorte als kulturelle Ereignisorte innerhalb einer Stadt oder auch des ländlichen Raums.
„Attraktivität der Innenstädte und des ländlichen Raums erhöhen“
Also der Buchhandel als Magnet für Innenstädte?
Genau. Dann findet in der Buchhandlung vielleicht nicht nur eine Lesung statt oder eine Diskussion, sondern auch ein kleines Konzert, oder eine Galerie stellt dort etwas aus, da ist ja vieles denkbar. Sodass an den Orten, wo wir ja sowieso schon sind, ein weiter gefasstes Kulturangebot entsteht, das wiederum die Attraktivität der Innenstädte und des ländlichen Raums erhöht. Das bedeutet natürlich, dass man vielleicht die Räume erweitern muss und dass man auch ein bisschen Geld für eine Tonanlage oder Ähnliches benötigt. Aber deswegen halten wir das Gespräch mit der Politik für so wichtig, eben um miteinander zu beraten, wie man das gemeinsam auf die Beine stellen könnte.
Die zweite Herausforderung der nahen Zukunft sind der Papiermangel und die steigenden Papierpreise. Können Sie schon sagen, wie sich das auf die Verlage und die Branche auswirken wird?
Das Thema beschäftigt die Verlage sehr. Der Leidensdruck ist schon sehr hoch, die Kalkulation schwieriger geworden. Lange wird man das nicht aushalten können. Denn 5,9 Prozent Umsatz erzielen wir mit E-Books, den überwiegenden Teil des Umsatzes mit gedruckten Büchern.
Sind Krisenzeiten wie zuletzt in der Pandemie gute Zeiten für Bücher?
Es zeigt sich unbedingt, dass in Krisenzeiten auf Bücher zurückgegriffen und auf gesicherte Informationen Wert gelegt wird. Es gibt kein Thema, das diese Gesellschaft in irgendeiner Form angeht, das nicht in einem Buch abgehandelt wird. Und da spricht immer noch sehr viel dafür, dass ich aus der Lektüre von Büchern gesicherte Informationen gewinne.
Haben Sie sich in der Pandemie von der Politik ausreichend unterstützt gefühlt?
Wir haben in dieser Pandemie eine sehr gute Unterstützung durch die Politik, vor allen Dingen durch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters erfahren. Nicht nur mit Geld, sondern was uns auch besonders gefreut hat, ist, dass das Buch zu einer Ware des täglichen Bedarfs eingestuft worden ist. Deswegen durften Buchhandlungen ja auch als Erste nach dem Lockdown wieder öffnen. Das ist eine Anerkennung dafür, was wir tun, denn es ist unser Anliegen, einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung einer freien vielfältigen und demokratischen Gesellschaft zu leisten. Und offensichtlich scheint das bei der Politik angekommen zu sein.