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„Little Joe“: Vorsicht vor der Blütenpracht!

Schnuppern ist gefährlich: Die Genetikerin Alice (Emily Beecham) im Labor.

Schnuppern ist gefährlich: Die Genetikerin Alice (Emily Beecham) im Labor.

Blumen machen glücklich – und das nicht nur am Valentinstag, der ja in erster Linie die Blumenindustrie glücklich macht. Mancher Hobbygärtner dürfte sich schon dabei ertappt haben, dass er das vertrauliche Gespräch mit seinen Rosen sucht, vielleicht um sich zu bedanken, wenn diese besonders üppig blühen. Und reagieren Sonnenblumen auf kommunikative Aufmerksamkeit nicht dadurch, dass sie sich sanft in Richtung des Betrachters neigen?

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Na gut. Das Verhältnis von Mensch und Pflanze ist jedenfalls noch lange nicht erforscht. Das belegen auch die zahllosen Bücher, die diese Beziehung zu ergründen versuchen.

„Little Joe“ ist ein sonderbares Gewächs

Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner hat jetzt ihren eigenen cineastischen Versuch zum Thema gestartet – allerdings mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Ihre Pflanze namens „Little Joe“ – so heißt auch der Film – verbreitet bald schon einen subtilen, schwer fassbaren Horror. Oder geht der Horror hier womöglich von den Menschen aus – und nicht von der Pflanze?

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Vom ersten Augenblick an ist der Kinozuschauer jedenfalls fasziniert von diesem sonderbaren Gewächs, das an die Feuerball-Lilie erinnert, auch Blutblume genannt. Die Blume gedeiht in einem von der Außenwelt peinlich genau isolierten Gewächshaus.

Wir könnten uns genauso gut in einer Raumstation irgendwo im Weltall bewegen. Alles wirkt künstlich und unecht. In exakt bemessenen Abständen ragen die Pflanzen aus Plastikcontainern heraus – einer Armee von Soldaten gleich, die ihren eigenen genetischen Befehlen gehorcht.

Die Regisseurin Jessica Hausner war schon immer Expertin für strenge Bildkompositionen („Hotel“, „Amour Fou“). In „Little Joe“ kann sie ihrer Ordnungsliebe freien Lauf lassen. Wenn die Blumen in Zeitraffer und wie in einer Choreografie erblühen, dann explodiert das kraftvolle Rot regelrecht vor unseren Augen. Jeder Dokumentarfilmer würde sich nach solchen Aufnahmen sehnen.

Das Labor könnte die Wirkungsstätte eines modernen Frankensteins sein, der sich auf vegetarische Lebensformen spezialisiert hat. Und ein bisschen verhält es sich tatsächlich so: Der Genetikerin Alice (Emily Beecham, mit dieser Rolle gewann sie beim Festival in Cannes den Darstellerpreis) ist es gelungen, eine Blume zu züchten, die glücklich macht. Little Joe schüttet Oxytocin aus, das sogenannte Mutterhormon, das soziale Interaktionen zwischen Gebärender und Kind befördert.

„Little Joe“ soll die Welt glücklicher machen

Die Wissenschaftler um Alice und ihren Kollegen Chris (Ben Whishaw) feiern bereits das erste pflanzliche Antidepressivum, das die Welt auf biologischer Basis ein bisschen glücklicher machen soll. Man muss Little Joe nur gut pflegen und regelmäßig mit ihr sprechen, dann verströmt die Pflanze jenen anheimelnden Duft.

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Leider ist Little Joe noch nicht auf seine Marktreife getestet worden. Dennoch nimmt Alice eine Blume mit nach Hause und schenkt sie ihrem Sohn namens – wir ahnten es schon – Joe (Kit Connor). Die Alleinerziehende hat nie genug Zeit für den Teenager und deshalb permanent ein schlechtes Gewissen. In der konfliktbelasteten Beziehung von Mutter und Sohn könnte das Geschenk womöglich ein kleines Wunder bewirken.

Tatsächlich verändert sich das Verhalten Joes. Er findet plötzlich sogar eine Freundin, aber wirkt gleichzeitig auch irgendwie gefühlskalt – so wie es auch mit den Menschen in den Science-Fiction-Horrorfilmen rund um die „Körperfresser“ geschieht, die Hausner zweifelsohne als Inspirationsquelle dienten. Plötzlich steht der Verdacht im Raum, dass die auf Sterilität gezüchtete Blume Pollen verströmt und den Menschen bestäubt, um sich doch noch irgendwie fortzupflanzen.

„Little Joe“ verunsichert die Zuschauer

Oder bildet sich die verunsicherte Alice das alles nur ein? Ist ihre Kollegin Bella (Kerry Fox), die als Erste diese ominöse These entwickelt, nicht psychisch angeschlagen und vom Burn-out bedroht? Sollte man dieser Frau wirklich Glauben schenken?

Vieles belässt die Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, im Vagen. Gerade daraus entsteht der Thrill ihres Films, der sich in so viele Richtungen interpretieren lässt. Die artifiziell-minimalistische Musik des japanischen Komponisten Teiji Ito tut ein Übriges, um Verunsicherung zu erzeugen.

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Wird hier das egoistische Glücksstreben des Menschen im 21. Jahrhundert vorgeführt, der sich zuallererst um sein eigenes Wohlergehen kümmert? Nimmt sich die Regisseurin mit ironischen Brechungen die übertriebene Mutterliebe vor, wenn Alice vehement ihre über alles geliebte Blume verteidigt? Oder spielt Hausners Film vor allem mit der tief sitzenden Angst vor der Gentechnologie?

Wir werden jedenfalls von jetzt an jedes Gewächshaus mit gehöriger Vorsicht betreten.

„Little Joe – Glück ist ein Geschäft“, Regie: Jessica Hausner, mit Emily Beecham, Ben Whishaw, 106 Minuten, FSK 12

RND

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