Ralf Nestmeyer vom Komitee „Writers in Prison“: „Spielräume der Pressefreiheit werden immer weiter eingeengt“
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Ralf Nestmeyer ist Vizepräsident des deutschen Schriftstellerverbands Pen.
© Quelle: privat
Herr Nestmeyer, Sie setzen sich im Pen-Komitee „Writers in Prison“ für eingesperrte Schriftstellerinnen und Schriftsteller ein. Wie würden Sie die Situation für Autoren weltweit beschreiben?
Sie wird leider nicht besser. Die Spielräume der Pressefreiheit werden immer weiter eingeengt. Das geschieht zum einen natürlich in allseits bekannten autoritären Staaten wie Eritrea, Nordkorea, China oder in vielen arabischen Ländern. Aber mittlerweile müssen wir auch immer häufiger beobachten, dass in Europa – etwa in Ungarn und Polen – die Meinungsfreiheit stark unter Druck steht.
Ein anderes Land, in dem die Meinungsfreiheit stark gefährdet ist, ist Belarus. Welche Beobachtungen haben Sie, was Ihre Kolleginnen und Kollegen dort angeht?
Es herrscht dort ein extremer Druck auf Autorinnen und Autoren, und darunter leidet auch die Kulturszene, leiden die Intellektuellen, von denen viele letztlich das Land verlassen haben. Wie sich die Situation seit dem Beginn der Proteste im August 2020 verändert hat, kann man zum Beispiel im Buch „Stimmen der Hoffnung“ sehen. Die Gedichte der belarussischen Freiheitsbewegung sind dort chronologisch angeordnet erschienen. Und man sieht an diesen Texten, wie der Druck immer mehr zunimmt. Wir wissen von der Lage dort aber auch aus erster Hand, etwa von Volha Hapeyeva, die aktuell in München lebt.
Was erzählt sie?
Man kann dort theoretisch noch Bücher publizieren. Aber sie werden dann zum Teil beschlagnahmt, teilweise werden aber auch schon im Vorfeld etwa Papierlieferungen an die Verlage verhindert. Oder Buchhändlern, die nicht genehme Bücher verkaufen, wird die Miete dermaßen erhöht, dass sie ihren Laden aufgeben müssen. Man geht dort auf breiter Front gegen die Meinungsfreiheit vor. Das Regime Lukaschenko wirft nicht nur Menschen ins Gefängnis – das natürlich auch –, sondern kämpft auch mit vielen anderen Mitteln gegen Schriftstellerinnen und Schriftsteller.
Wie können denn Autorinnen und Autoren wie die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch oder Sasha Filipenko, die sich in Deutschland und in der Schweiz aufhalten, aus der Ferne in ihrem Heimatland wirken?
Da gibt es schon Möglichkeiten, immer wieder publizistisch auf die Situation in Belarus aufmerksam zu machen. Sasha Filipenko, der ab dem kommenden Monat in Deutschland leben wird, äußert ja viel Kritik an Lukaschenko in Artikeln, in Interviews. Und er wird auch am Samstag in Frankfurt auf der Kundgebung, bei der wir uns für Meinungsfreiheit in Belarus einsetzen, sprechen.
Was kann denn der Pen tun, außer zu demonstrieren oder zu protestieren, welche Möglichkeiten haben Sie?
Wir können zum Beispiel über unser „Writers in Exile“-Programm helfen, über das wir gefährdete und bedrohte Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus deren Land holen, um sie hier erst einmal unterzubringen. Im Rahmen dieses Programms, das in der Regel über zwei bis drei Jahre läuft, bekommen sie dann ein Stipendium, also Geld und eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wird natürlich auch versucht, Publikationsmöglichkeiten zu schaffen. Aber wir können auch nicht endlos viele Menschen aufnehmen. Wir haben leider auch nur begrenzte Möglichkeiten und Kapazitäten.
Der Pen ist gerade 100 Jahre alt geworden? Wie blicken Sie in die Zukunft?
Das alles zeigt ja, wie wichtig der Pen ist. Er ist eine der ältesten NGOs, die es gibt, und die älteste, die sich für Meinungsfreiheit stark macht. Und ich denke, der Pen hat schon weltweit einen Namen und wird wahrgenommen. Wir sind, genauso wie die Zentrale in London, nicht mehr wie anfangs ein elitärer Schriftstellerverband, sondern eine wichtige und aktive NGO mit großer Breitenwirkung.
Man kann also festhalten, Machthaber weltweit fürchten die Macht des Wortes?
Ja, das lässt sich daraus, dass der Druck auf Journalisten und Autoren weltweit zunimmt, ableiten. Deswegen finde ich es auch enorm wichtig und erfreulich, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr an zwei Journalisten gegangen ist. Und eine der beiden, Maria Ressa, ist seit dem vergangenen Jahr auch Ehrenmitglied des Deutschen Pen-Zentrums.
Sie haben anfangs Ungarn und Polen angesprochen. Setzt sich die EU in diesen Ländern ausreichend für Autorinnen und Autoren, Journalistinnen und Journalisten ein?
Nein. Die EU könnte und müsste in vielerlei Hinsicht mehr einfordern und sich für mehr Meinungsfreiheit einsetzen. Viktor Orbán etwa wird vonseiten der EU viel zu viel erlaubt, man lässt viel zu viel durchgehen.