Schuld und Sühne mit Niko Stoifberg
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Hat die Geschichte für sein Buch vor zwanzig Jahren geträumt: Niko Stoifberg (42).
© Quelle: foto: 54° / Felix Koenig
Lübeck. Eigentlich ist das gar nicht seine Sache hier. Ein Buch schreiben und dann daraus lesen, das kommt Niko Stoifberg seltsam vor. Da könne man es ja auch häkeln oder tanzen, hat er mal notiert. Aber er macht das gut. Und er hat etwas zu sagen.
„Dort“ heißt das Buch, das der Mann aus Luzern Anfang des Jahres veröffentlicht hat. Es ist nicht sein erstes, aber sein erster Roman, weswegen man ihn für die Reihe „Debüt im Buddenbrookhaus“ eingeladen hat. Er ist nach Julia von Lucadou und Lukas Rietzschel der dritte Autor, der um den alle zwei Jahre vergebenen Nachwuchspreis antritt.
Ein irrtümlicher Tod
„Dort“ entwickelt aus einer zufälligen Begegnung eine Geschichte, die mitten hinein führt in eine ebenso heillose wie existenzielle Situation und in die ewig großen Fragen. Ein Mann begegnet einer unbekannten Frau, verfällt ihr augenblicklich, verfolgt sie, bis sie und der kleine Junge an ihrer Hand an einem Seeufer Schwäne füttern. Als die Frau abgelenkt ist, stößt er den Jungen unbeobachtet ins Wasser, um ihn zu retten und sich zu erhöhen. Aber der Junge stirbt, und er fällt ins Bodenlose.
Lydia und er kommen dennoch zusammen. Und als er einer anderen Frau von seinem Geheimnis erzählt, dem einzigen Menschen überhaupt, der außer ihm davon weiß, trifft er sie bald in einem anderem Zusammenhang wieder, und es fügt sich eine Situation, wie man sie aus klassischen Dramen kennt.
Genetik und Erfahrung
Es geht um Schuld und Sühne, um Gerechtigkeit, um Leben und Tod. Aber an Schuld, sagt Stoifberg, glaube er nicht. Er hält das für ein Konstrukt. Und er glaubt auch nicht an eine freie Entscheidung. Die Welt als Wille ist ihm eine fremde Vorstellung. Es liege vielmehr in den Genen und in den Erfahrungen, „und für beides können wir nichts“.
Die Grundzüge der Geschichte habe er geträumt, erzählt er. Vor zwanzig Jahren sei das gewesen, eine furchtbare Erfahrung. Er habe den Traum lange mit sich herumgetragen, bis er ihn vor drei Jahren schließlich aufschrieb.
Ohne Thomas Mann kein Roman
Aber er hat natürlich Dinge hinzugefügt. Und wenn man das tue, sagt er, könne man sie auch gleich mit Bedeutung aufladen. So heißt seine Hauptfigur Sebastian Zünd nach dem tief religiösen Luzerner Maler Robert Zünd, der die Welt in seinen Bildern hyperrealistisch nachbildete. Der Code einer Eingangstür lautet 1-8-5-9, das Jahr, in dem Charles Darwins „Der Ursprung der Arten“ erschien. Und auch Niko Stoifberg ist ein Pseudonym, gebildet aus den Buchstaben des richtigen Namens Koni Gebistorf. Der erweist sich in seinem Buch als ein teuflischer Spielleiter, der seine Figuren auf die schiefe Ebene führt. Und wenn er das Schneekapitel in Thomas Manns „Zauberberg“ nicht gelesen hätte, sagt er, wäre er wohl nie auf den Gedanken gekommen, einen Roman zu schreiben.
Peter Intelmann
LN