Warum Beton drinnen immer beliebter wird – und zwar nicht mehr nur als Deko
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Beton ist nun auch drinnen schwer angesagt.
© Quelle: IMAGO/ingimage
Was für ein Zirkus! Mehr als eine Million Touristinnen und Touristen besuchen jährlich das Kolosseum im Herzen Roms. Und sie staunen nicht nur über die Architektur und die blutrünstigen Geschichten rund um Gladiatorenkämpfe und Tierhetzjagden, sondern auch darüber, dass das größte je gebaute Amphitheater der Welt nach fast 2000 Jahren immer noch steht. Auch wenn es durch Erdbeben, Brände und jahrhundertelange Materialausbeutung nicht mehr vollständig erhalten ist, so scheint es doch in seinen Grundfesten unerschütterlich zu sein. Das Geheimnis ist ein Baustoff, der auf Latein wie eine Zauberformel klingt: Opus caementitium. Es handelt sich um eine Art Superbeton, dessen Langlebigkeit selbst der Forschung lange Zeit Rätsel aufgegeben hat.
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Erst Anfang dieses Jahres veröffentlichten US-Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology das Ergebnis einer Untersuchung, nach dem die im altrömischen Beton enthaltene Mischung aus vulkanischer Asche (Puzzolan), Kalksteinklumpen und Meerwasser durch verschiedene chemische Reaktionen die Haltbarkeit steigert. In Versuchen mineralisierten sich die millimetergroßen Kalkbröckchen in Verbindung mit Wasser und verfüllten auf diese Weise Risse im Beton. Das Fazit der Wissenschaftler: Der Baustoff der Römer entwickelt sozusagen Selbstheilungskräfte, die ihm nahezu Ewigkeitsgarantie geben.
Römischer Beton ist weitaus umweltfreundlicher
Die Entschlüsselung der Rezeptur dürfte nicht zuletzt wegweisend für die Zukunft von Beton sein: Die Mischung sei erheblich umweltfreundlicher als die heutige Zementproduktion, die immerhin 8 Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes verursache, betonen die Forschenden.
Was den ökologischen Fußabdruck von Beton angeht, sind das gute Nachrichten. Die herkömmliche Produktion ist energieintensiv und mit hohem Materialverschleiß verbunden. Branchenverbänden zufolge sind umweltfreundlichere Bau- und Fertigungsverfahren sowie innovative Rezepturen auf dem Vormarsch. Denn obwohl ihn viele mit Plattenbauten und anderen architektonischen Bausünden verbinden, ist Beton beliebt – mittlerweile auch für die Gestaltung von Innenräumen. Wände, Fußböden, Möbel und Dekoobjekte in grauem Beton gelten mittlerweile als besonders innovativ, schick und modern.
Klotzige Gebäude der Siebziger
Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, welche Kritik die vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren errichteten klotzigen Großstadtbauten aus dem künstlichen Stein mit Beginn der Neunzigerjahre erfahren haben. Als hässlich und menschenfeindlich werden schmutzig-graue Betonsiedlungen, Verwaltungs- oder Bildungseinrichtungen bis heute empfunden. Dabei sollte der betont nüchterne Baustil in seiner Geschichts- und Schnörkellosigkeit dem Allgemeinwohl dienen und Funktionalität im Alltag bieten.
Die Bezeichnung Brutalismus für den Baustil, den viele mit seinen massiven Konstrukten bis heute in der Tat als brutal empfinden, hat dabei weniger etwas mit grober Untergrabung von Ästhetik zu tun. Vielmehr leitet sich der Begriff vom französischen Ausdruck für rohen Beton, dem „beton brut“, ab. Charakteristisch für den Brutalismus ist die raue, unbearbeitete Oberfläche der Fassaden. Diese sollten nach Ansicht der irakisch-britischen Stararchitektin Zaha Hadid (1950–2016) nicht wegen ihres Aussehens überzeugen, sondern aufgrund ihrer Funktionalität: „Es gibt nichts, was diesen Baustil höflich oder niedlich macht. Er ist, was er ist“, sagte sie einst.
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Aus dem Boden gestampft: Was Sie beim Bauen mit Lehm beachten sollten
Das soll halten? Im modernen Hausbau erscheint es zunächst abwegig, mit Lehm zu arbeiten. Aber inzwischen gibt es sogar einige mehrgeschossige Gebäude, für die der Baustoff verwendet wurde. Künftig könnten es viel mehr werden. Denn Lehm überzeugt nicht nur in puncto Nachhaltigkeit.
Langlebig und „zeitlos ästhetisch“
Doch jetzt gibt es Beton auch in niedlich: als Seifenspender oder als Vase, als Eierbecher oder als Blumentopf. Man kann sich regelrecht einbetonieren zu Hause, wenn man noch dazu Fußboden und Wände, Arbeitsplatten und Küchentresen aus dem Zementgemisch gestaltet. Beworben wird das Interieur als langlebig, nachhaltig und „zeitlos ästhetisch“. Es stillt offenbar das Bedürfnis nach Funktionalität und Aufgeräumtheit in dieser oft lauten und von knallbunten Bildern durchfluteten Welt.
Auch „Wahrhaftigkeit“ wird im Zusammenhang mit Beton großgeschrieben. Das war schon ein Schlagwort in der früheren Brutalismus-Architektur. Jetzt, in Zeiten von Filtern und Fake News, gilt das Ungeschminkte als exklusiv. Beton soll sichtbar sein, ehrlich wirken. Einen Rohstoff unverhüllt zu präsentieren nennt man in der Designtheorie Materialgerechtigkeit. Doch kann man im Zusammenhang mit Beton überhaupt von natürlicher Schönheit sprechen?
Beton dämmt Schall und ist feuerfest
Innenansichten von durchdesignten Küchen und Wohnzimmern im Netz oder in Einrichtungsmagazinen zeigen rohe Wände und glatte, fugenlose Böden. Solche Räume, so die Botschaft, bieten Schutz und halten stand, was auch immer für Ungemach vor der Haustür lauert. Was Betonfassaden häufig besonders unansehnlich macht, ist ihre Schmutzanfälligkeit. Auf polierten Betonflächen haften Staub und Dreck zwar weniger hartnäckig. Aggressive Reinigungsmittel verträgt das Material aber meist nicht. Auch harte Besenborsten können der Politur schaden. Beton kann also auch sensibel sein. Doch immerhin wird es mit einem Betonbelag nicht fußkalt: Das Material isoliert gut. Außerdem dämpft es Schall und ist feuerfest.
Zugegeben: Es hat auch mitunter etwas von einem Bunker oder einem Keller, wenn man sich in einem Betonraum umblickt. Seinen wahren Charme entfaltet das Material erst im Zusammenspiel mit Licht, Holz, Naturstein, Farben und Pflanzen. Und das ist dann wirklich kolossal.