Swinging Lübeck: So wurde in den 50ern, 60ern, 70ern und 80ern getanzt und Musik gemacht
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Reinste Anarchie: „Massenpsychose auf Ringelsocken“ titelten die LN im Oktober 1952 nach diesem Swingtanz-Turnier in der Eschenburgstraße.
© Quelle: Hans Kripgans/LN
Lübeck. Lübeck, Königin der Musik. Seit jeher ist die Stadt zwischen Wakenitz und Kanal nicht nur Hanse-, sondern immer auch Musikstadt. Als im Mittelalter keineswegs in jeder Kirche eine Orgel stand, beherbergten die sieben Türme bereits einige der wertvollsten.
Weltstars wie Dieterich Buxtehude machen Lübeck zur Musenmetropole. Händel kommt zu Besuch, Bach marschiert sogar 400 Kilometer zu Fuß. Und Jahrhunderte später erhält Dirigentenlegende Wilhelm Furtwängler seine erste hohe Anstellung am Orchester der Lübecker Oper.
Die frühen 50er in Lübeck: Theaterballett und Hauskonzerte
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg ist dieses musikalische Vermächtnis noch erkennbar. Fotos von LN-Fotograf Hans Kripgans zeigen Kinder in ihrer Sonntagskleidung beim Hauskonzert in der eigenen Stube, das Theaterballett bei der Probe und den international gefragten Geigenbauer Günther Hellwig in seiner Burgtor-Werkstatt.
Doch Mitte der Fünfzigerjahre ändert sich etwas. In einem einzigen Augenblick – genauer gesagt, in einem einzigen Hüftschwung eines US-amerikanischen LKW-Fahrers – bricht die Generation der Lübecker Halbstarken mit der Tradition hanseatischer Selbstdisziplin.
Rock around the Clock: Lübeck zwischen Tanzturnier und Jazzkeller
Auf den Tanzflächen beginnt man sich wie wild zu drehen und zu schütteln. In ungezähmter Akrobatik wagen junge Damen den Überschlag auf offener Bühne und landen in den Armen ihres Partners. Der Rock’n’Roll ist gekommen. Und die Welt steht Kopf. Zumindest für eine junge Lübeckerin auf einem Tanzturnier-Foto von 1957, auf dem sie kopfüber in der Luft zu stehen scheint.
Der neue Stil gefällt nicht jedem. Die Lübecker Nachrichten schreiben von einer „Massenpsychose auf Ringelsocken“. Doch irgendwie arrangiert man sich damit. Musikveranstaltungen werden von der Travemünder Kurverwaltung organisiert und nach und nach öffnen Lokalitäten wie das Riverboat. Wer es intellektueller mag, trifft sich im verrauchten Jazzkeller in der Moislinger Allee.
Lübeck historisch: Alle Galerien
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Obladi Oblada: Pilzköpfe im Lübeck der 60er
Mit den Sechzigerjahren kommen die Pilzköpfe. Zwar nicht die vier aus Liverpool, aber zumindest ihre Frisuren erobern die Bühnen und Tanzflächen. Auch deutsche Bands schnappen sich Gitarre, Bass und Schlagzeug, singen im Dreiklang „Oooh“ und „Yeah“ und bringen das pubertierende Publikum in Schwung. Mit „The Koasters“ haben die Lübecker sogar ihre eigene Beatband, die auch fast sechzig Jahre nach ihrer Gründung noch auftritt.
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Twist and Shout: Mit der Lübecker Beatband „The Koasters“ hatte die Hansestadt ihre eigenen Pilzköpfe vorzuweisen.
© Quelle: Privat/Sabine Risch
Glitter, Disco und Schlager: Lübeck in den 70ern und 80ern
In den Siebzigerjahren ist die gesamte deutsche Musik- und Unterhaltungsindustrie in Lübeck zu Gast, meist in der Hansehalle. Udo Lindenberg und Rex Gildo, Boney M. und Reinhard Mey. Auch Karl Dalls Blödeltruppe „Insterburg und Co.“ gibt sich und dem Lübecker Publikum die Ehre. Die Jazzszene freut sich über den Besuch des Saxophonvirtuosen Lou Donaldson und Posaunist Chris Barber, ohne den Eric Clapton und die Stones vielleicht nie zum Blues gefunden hätten.
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Cheri Cheri Lübeck: Mit schmachtenden Synthieklängen begeistern Thomas Anders und – 15 Jahre vor DSDS – Dieter Bohlen als Modern Talking 1986 das Lübecker Publikum.
© Quelle: Wolfgang Maxwitat
Die Hansehalle bleibt auch in den Achtzigerjahren die Bühne für die meisten großen nationalen Stars ihrer Zeit. Für schwüle Synthieklänge sorgen 1986 Modern Talking und Sandra besingt die Hitze der Nacht.
90er bis heute: Musiklegenden auf später Visite
Heiße Nächte soll es auch später noch geben. Und wer zur Blüte seines Schaffens nicht nach Lübeck fand, wird es später nachholen. 1997 tritt David Bowie auf dem Flugplatz in Blankensee auf, Jethro Tull kommen im Sommer 2019 und Sting taucht im März 2022 als Überraschungsgast im Lübecker Theater auf.
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Kein absoluter Beginner: Das kunstreiche Glam-Pop-Alien David Bowie tritt im Juni 1997 auf dem Go Bang Festival auf dem Flughafen in Blankensee auf.
© Quelle: LN-Archiv
Auf solchen Konzerten und an vielen anderen Orten – der Musikhochschule am Traveufer, dem CVJM, der Gollan-Werft oder der 1994 gegründeten MuK – wird der Zauber der Musikstadt Lübeck wieder sichtbar. Für Liebhaber gelebter Musikkultur ist das ein Trost in Zeiten, in denen die meisten Alben über Smartphone und Kopfhörer gestreamt werden.