Altersarmut auf Fehmarn: Wie eine Erzieherin zur Tafelkundin wurde
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Barbara Laege schmückt den Tannenbaum in der St.-Jürgen-Kapelle, die neben den Sozialwohnungen der Stadt Burg steht. Dort organisieren die Bewohner immer einen Tag des „Lebendigen Adventskalenders“.
© Quelle: Sven Wehde
Fehmarn. „Ich bin aufgeregt“, sagt Barbara Laege, und es liegt ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. Die 61-Jährige wird aus ihrem Leben auf der Insel Fehmarn berichten, von Armut, dem ersten Gang zur Tafel, von ihrer Sucht. Darüber zu sprechen, fällt ihr nicht schwer. „Ich gehe offen mit meinen Problemen um“, sagt Laege. Die Aufregung hat einen anderen Grund. Zärtlich teilt sie mit der Gabel ein Stück von der Sahnetorte auf ihrem Teller ab. Das Gespräch findet in einer Bäckerei statt. Laege lächelt: „Ich war seit Jahren nicht mehr in einem Café. Das ist aufregend!“
Früher war sie Stadtjugendpflegerin
Wenn die Frührentnerin mit ihrem Rollator durch die Innenstadt von Burg geht, kommt sie nur langsam voran. Sie leidet unter einem Schmerzsyndrom und hat schon „viele Ersatzteile“ im Körper. Das ist der eine Grund. Der andere ist, dass sie alle paar Meter für einen Plausch stehen bleibt. Viele auch jüngere Fehmaraner begrüßen sie und suchen das Gespräch, denn früher war Laege es, die sich um die Jugendlichen gekümmert hat. Sie arbeitete in der Stadtjugendpflege und hatte eine besondere Beziehung zu denen, bei denen es Probleme gab. Denn Barbara Laege wusste, wie es ihnen geht. „Ich habe als Kind und Jugendliche selbst viel erlebt. Und ich bin eine ehemalige Süchtige“, sagt die Seniorin.
Neuanfang auf der Insel
Fehmarn war Laeges zweite Chance. 1995 hat sie gerade die Drogentherapie hinter sich, als sie über die Fehmarnsundbrücke fährt. „Ich habe mich gleich zuhause gefühlt“, erinnert sich die Frau mit den langen silbergrauen Haaren. Schon immer war es ihr Traum, auf einer Insel zu leben. „Eigentlich hatte ich ja an die Malediven gedacht“, erzählt sie lachend.
Doch auch Fehmarn erweist sich als guter Ort für einen Neuanfang. Mit ihrer kleinen Tochter beginnt sie ein neues Leben. Ihr schon älterer Sohn bleibt in Hessen. Mit 40 macht sie noch einmal eine Erzieherausbildung und arbeitet zunächst als Jugendsozialarbeiterin und später bei einer Kureinrichtung in Großenbrode. Einen Rückfall mit Drogen gibt es nicht. Alles klingt nach einer erfolgreichen Wende in Laeges Leben – und doch wird ihr Weg sie zur Tafel führen.
Im Winter zur Tafel
Es ist der Fluch einer touristischen Region: die Saisonarbeit. „Im Winter hatte die Kureinrichtung geschlossen, ich musste von Arbeitslosengeld leben“, sagt die 61-Jährige. Als Alleinerziehende sei das schwierig gewesen. Sie organisiert ihr Leben wie ein Eichhörnchen, das Vorräte anlegt. „Ich habe im Sommer eingekauft, was wir lagern können, damit wir über den Winter kommen.“ Irgendwann sagt ein Kollege den Satz: „Geh doch einfach zur Tafel.“ Doch „einfach“ war es für die Mutter nicht. „Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Es fiel mir schwer, mir einzugestehen, dass ich es nicht alleine schaffe.“
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Angelika Fleth von der Tafel Fehmarn versorgt Barbara Laege mit den wichtigsten Lebensmitteln.
© Quelle: Sven Wehde
Laege geht zur Tafel, um Lebensmittel zu bekommen. Aber zunächst nur im Winter. „Im Sommer konnte ich arbeiten, und wer die Unterstützung nicht braucht, sollte sie auch nicht in Anspruch nehmen.“ Damals sei die Ausgabe dienstags in einer Garage gegenüber dem Friedhof gewesen. Was Laege besonders erschreckt. „Es war unglaublich, wie viele Menschen unbedingt dienstags zum Friedhof mussten, nur um zu sehen, wer von ihren Mitbürgern zur Tafel geht. Sie waren zum Gucken da. Fehmarn ist ja klein, man kennt sich“, erinnert sie sich.
Hilfe im Advent – Die Spendenaktion
Die LN-Leser-Aktion „Hilfe im Advent“ macht sich in diesem Jahr für Menschen stark, die es in diesem Winter besonders schwer haben. Unter dem Motto „Essen, Wärme, Licht – LN-Leser sammeln für die Tafeln“ stellen die LN in der Adventszeit Initiativen vor, die versuchen, die Not bedürftiger Menschen so gut es geht zu lindern. Mithilfe der Lübecker Freiwilligenagentur werden die Spenden gesammelt und anschließend an die Tafeln vor Ort in Bad Schwartau, Eutin, Ahrensbök, Heiligenhafen, Oldenburg, Fehmarn und Neustadt verteilt. Hier können Sie spenden: Empfänger: ePunkt e.V. - Hilfe im Advent Ostholstein Iban: DE98 2135 2240 0187 8353 01 BIC: NOLADE21HOL Bank: Sparkasse Holstein Verwendungszweck: „Spende: Hilfe im Advent“
Bei der Tafel trifft sie viele ältere Menschen, vor allem Frauen. "Ich habe gemerkt, dass es gar nicht schlimm war, zur Tafel zu gehen. Schlimm fand ich, wie viel Elend es gerade unter den älteren Menschen auf der Insel gibt. Das kriegt man ja sonst nicht mit", sagt Laege. Es sei die Generation, die nach dem Krieg alles aufgebaut und so die Grundlage für den Wohlstand heute geschaffen habe. "Die haben keine Renteneinzahlungen geleistet, sie haben beim Bauern oder Zuhause gearbeitet."
Krankheit und Alkohol
Barbara Laege geht heute nicht mehr nur im Winter zur Tafel. Das Schicksal hält Rückschläge für sie bereit. Durch ihre Krankheit, eine Fibromyalgie, kann sie nicht mehr arbeiten. Nach einem schweren Autounfall ist sie fast querschnittsgelähmt – und als ihr „alles zuviel“ wird, hat sie einen Rückfall. Dieses Mal ist es der Alkohol. „Von 2014 bis zum letzen Jahr ging das, am Schluss war ich bei einer Flasche Wodka am Tag“, gibt die Seniorin zu. Doch auch dieses Mal kämpft sie sich zurück, macht eine Therapie. Jetzt ist sie trocken.
Die Tafel ist ihr eine große Hilfe, sie trifft dort viele Bekannte, es gibt nicht nur Lebensmittel, auch ihren Rollator bekommt sie dort. Trotzdem schafft sie es nicht, der dunklen Seite der sonnigen Ferieninsel die ganze Zeit ins Gesicht zu blicken. Ein halbes Jahr setzt sie ihre Besuche bei der Tafel aus. Nicht wegen der Tafel, sondern wegen dem, was ihr dort begegnet. „Da kommt vieles zusammen, Menschen aus extremen Verhältnissen, und manchmal entlädt sich die Verzweiflung in Aggression oder Gewalt.“
Ein zufriedenes Leben
Barbara Laege hat eine günstige Unterkunft der Stadt bei der St-Jürgen-Kapelle in Burg gefunden. Sie hat einen Partner. Regelmäßig besucht sie ihre Kinder und Enkel. Weihnachten wird sie dieses Jahr mit ihrem Freund verbringen. „Wir werden etwas Schönes kochen“, sagt sie. Ob sie glücklich ist? „Ja, es gibt glückliche Momente. Ich würde aber sagen, ich bin zufrieden, und das reicht mir.“ Laege lächelt verschmitzt und greift nach dem kleinen Zuckertütchen neben ihrem Kaffeebecher. Sie hat es sich aufbewahrt. „Das nehme ich mit, kann ich noch gebrauchen.“
LN