Eutin

Zeitzeuge berichtet: Vom DDR-Fan ins Stasi-Gefängnis

DDR-Zeitzeuge Peter Drauschke erzählt den Oberstufenschülern des Eutiner Voss-Gymnasiums die spannende Geschichte seines Lebens.

DDR-Zeitzeuge Peter Drauschke erzählt den Oberstufenschülern des Eutiner Voss-Gymnasiums die spannende Geschichte seines Lebens.

Eutin. Peter Drauschke nimmt kein Blatt vor den Mund. Wenn er von der DDR und der Stasi spricht, scheut er weder Kraftausdrücke noch drastische Vergleiche. In starken Bildern schilderte der Zeitzeuge mehr als 100 Oberstufenschülern des Eutiner Voß-Gymnasiums seine Lebensgeschichte – und sorgte damit für eine sehr lebendige Geschichtsstunde.

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Genau genommen waren es sogar drei echte Zeitstunden, in denen der Zeitzeuge Drauschke das stets konzentrierte Publikum mit seinem bewegten und bewegendem Vortrag offensichtlich derart fesselte, dass keinerlei Unruhe aufkam. Organisiert wurde die besondere Unterrichtseinheit von Katarina Wiemer innerhalb des gesellschaftswissenschaftlichen Schulprofils.

Statt Karl Mays Winnetou las er Karl Marx’ Kapital

Im Februar 1945 in Hamburg geboren überlebten er und seine Mutter mit viel Glück einen Bombenhagel, der sein Wohnhaus teilweise zerstörte. „Hier hätte meine Geschichte schon zu Ende sein können“, sagt Drauschke. Doch es kam anders. So erlebte er eiskalte Winter mit Temperaturen von minus 30 Grad – „die Eisblumen an den Scheiben schmolzen nicht“ – und folgende Hungerjahre. Die entbehrungsreiche Kindheit brachte den jungen Peter dazu, sich intensiv mit Büchern zu beschäftigen. Statt Karl Mays Winnetou las er allerdings Karl Marx’ Kapital und das Kommunistische Manifest. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“, zitierte Drauschke die ersten Zeilen, des Werks, das ihn in seiner Jugend am meisten faszinierte.

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Peter Drauschke

Peter Drauschke: „Ich war mit 16 Jahren ein dogmatischer Besserwisser.“

Mit zwölf Jahren entwickelte er sich zum „Homo Politicus“, beschäftigte sich mit Lenin und Trotzki, lief sinnierend über den Schulhof. „Mit 14 war ich schon agitatorisch in ganz Hamburg unterwegs, verbrachte Nachmittage und Abende in Diskussionsrunden. Als 16-Jähriger bin ich in die damals illegale KPD eingetreten“, erzählt Drauschke. Als Schüler reiste er mehrfach in die DDR, um die Sommerferien unter Gleichgesinnten in Pionierlagern zu verbringen. Nach bestandenem Abitur beschloss er mit seinem besten Freund Erwin 1963 in sein gelobtes Land zu übersiedeln. Beim ersten Versuch wurde er vom bundesdeutschen Verfassungsschutz am Grenzbahnhof in Büchen aufgriffen und zu den Eltern zurück gebracht. Der zweite Versuch per Flugzeug über Berlin und S-Bahn in den Ostteil der Stadt gelang.

Vom Saulus zum Paulus: Drauschke bekam in der DDR erste Zweifel

In der DDR arbeitete er drei Monate als Einzelhandelskaufmann in einem Rostocker Möbelhaus, stieg in dem Unternehmen zum hauptamtlichen FDJ-Sekretär auf, wurde dann FDJ-Kreis- und Bezirksleiter für Agitation und Propaganda. Der damit verbundene Besuch der Jugendhochschule und weiterer Kaderschmieden ermöglichte Drauschke den Blick hinter die Kulissen des Arbeiter- und Bauernstaats.

Plötzlich sichtbare Widersprüche zwischen Theorie und Praxis nährten erste Zweifel am System. Er stellte erst sich, später auch anderen kritische Fragen. Wieso wurden Landwirte, die zuvor unter mit dem Spruch „Junkerland in Bauernhand“ befreit worden waren, gezwungen, in Produktionsgenossenschaften einzutreten und wieder zu Feldarbeitern degradiert? Welches System horcht kleine Kinder aus, um die Eltern zu überwachen? Drauschke wandelte sich vom Saulus zum Paulus, ging innerlich auf Distanz – ein schleichender Prozess. „Niemand geht abends als Kommunist ins Bett und wacht morgens als Anti-Kommunist auf“, sagt Drauschke. Schließlich fehlte ihm der Glaube an die Sache und damit die Agitationskraft.

Lange Verhöre im Stehen

Unter Freunden bezeichnete er die DDR als „Scheißhaufen“. Ab September 1971 bereitete er mit Freundin Beate und Jugendfreund Erwin die Republikflucht über Bulgarien vor. Doch die Flucht scheiterte. Das Trio wurde in Sofia aufgegriffen, in die DDR-Behörden zurückgeführt und ins Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen gebracht. „Die hatten interessante Zellen, die 25 Meter unter der Erde lagen“, erzählt Drauschke rückblickend.

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Als er von Erzwingungshaft mit langen Verhören im Stehen, Schlaf- und Essensentzug, psychischer und physischer Folter einschließlich zweier Scheinhinrichtungen erzählte, konnte man im Saal die Nadel fallen hören. Am Ende hatte er Glück. Aufgrund einer Amnestie wurde er im Oktober 1972 vorzeitig entlassen und durfte ein Jahr später in die Bundesrepublik ausreisen.

Peter Drauschke

Peter Drauschke: „Das Beste an der DDR war ihr Untergang!“

Sein Appell an alle Schüler: „Passt auf! Überprüft alles ganz genau, was Euch gesagt wird.“ Dass heute eine Linkspartei mit in den Parlamenten sitze, sei aus seiner Sicht genauso schlimm wie die Alternative für Deutschland. Da säßen jetzt „Mauermörder und Henkersknechte“ auf der einen und „Neonazis“ auf der anderen Seite, schimpfte über einzelne Mitglieder der beiden „extremistischen Parteien“.

Schüler waren begeistert

Die Schüler dankten schließlich stehend mit lang anhaltendem Applaus. Schülerin Merle Petersen zeigte sich beeindruckt, von Drauschkes persönlichem Erzählstil, der eine große Nähe und einen anderen Blickwinkel vermittelt habe. Ylva Brandenburg lobte die Authentizität des Vortrags, der sie von Anfang bis Ende mitgenommen habe. „So sieht man die deutsch-deutsche Geschichte mit anderen Augen.“ Und auch Thea Schwarz war rundherum begeistert. „Aus den Lehrbüchern lernen wir nur Fakten, hier wurde auch eine andere Ebene angesprochen, die das Ganze nicht nur rational, sondern auch emotional nachvollziehbar macht.“

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Dirk Schneider

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