Als die Polizei in Witzhave Terroristen schnappte
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Terrorverdächtige in Witzhave festgenommen: Polizei stoppt den Wagen der linksextremen Terroristen der Antiimperialistischen Zellen aus Pinneberg, wegen angeblichen Sprengstoffes im Wagen wird das Dorf gesperrt.
© Quelle: Kreisarchiv
Witzhave. Am 26. Februar 1996 war Witzhave von der Außenwelt abgeschnitten, während ein ferngesteuerter Roboter einen weinroten Passat-Kombi untersuchte, der zuvor schon lange von der Polizei verfolgt worden war. Beim Zugriff hatte die Polizei zwei mutmaßliche Terroristen verhaftet: „Die beiden Männer sollen den linksextremen Antiimperialistischen Zellen angehören“, schrieb die „Ahrensburger Zeitung“ damals, die im Kreisarchiv Stormarn archiviert ist. „Bei der Festnahme behaupteten die Männer, dass ihr Wagen mit Sprengstoff beladen sei.“
Wagen auf Gasleitung geparkt
Doch weder ein Sprengstoffsuchhund aus Pinneberg noch ein Munitionsräumdienst aus Großnordsee wurden fündig. „Weil unter der Straße eine Hauptleitung der Gaswerke verläuft, verzögerten sich die Arbeiten weiter. Techniker stellten zunächst das Gas ab“, berichtete der Stormarner Reporter. Zudem musste der Einsatz unterbrochen werden, weil ein Fernsehteam mit einem gemieteten Hubschrauber zu dicht über der Straße flog. Gefunden wurde nichts, auch am nächsten Tag nicht, als die Suche weiter ging. „Mit fünf Mannschaftstransportern wurden Beamte der Bereitschaftspolizei aus Eutin in den Wald bei Witzhave gefahren. Unterstützt von Stormarner Polizisten suchten sie gestern vormittag die Feldmark im Bereich des Dorfes ab.“
3,5 Kilogramm Schwarzpulver aus dem Fenster geworfen?
Denn vermutet wurde, dass die beiden Terroristen kurz vor Witzhave einen Sack mit 3,5 Kilogramm Schwarzpulver aus dem Fenster geworfen hatten, das sie zuvor aus Erddepots in Berlin geholt hatten - das aber gar keines war. „Am 10. und 11. Februar wurden (sie) in der Nähe von Berlin beobachtet, wie sie zwei Erddepots aushoben und darin etwas verstauten. Als sie weg waren, tauschten Fahnder den Inhalt – 3,5 Kilogramm Schwarzpulver – gegen harmlose Chemikalien aus“, hielt der „Spiegel“ im März 1996 fest. Beide Männer standen im Verdacht, einen Bombenanschlag auf das Peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf begangen zu haben. „Bei dem Attentat entstand hoher Sachschaden“, meldete die „Ahrensburger Zeitung“. „Die Terroristen hatten eine Schwarzpulver-Bombe verwendet.“
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Monatelang hatten Polizei und Verfassungsschutz rund um die Uhr den roten VW-Passat und seine beiden Insassen verfolgt. „Immer wieder verloren sie das Objekt ihrer Begierde aus den Augen“, schrieb der „Spiegel“. „Schließlich spickten BKA-Spezialisten das Auto mit hochmoderner Elektronik: Sie brachten am Wagen ein kleines Gerät an, das mit Hilfe von Satelliten ständig den genauen Standort des Fahrzeugs speichern und bei Bedarf melden kann. Das technische Wunderding, von amerikanischen GIs im Golfkrieg erprobt, kostete weit über 100.000 Mark.“
Wanzen mit Scanner aufgespürt
Innerhalb von drei Jahren soll die Zelle neun Anschläge auf Politiker und Gebäude verübt haben. Während die Ermittler dahinter eine groß angelegte Struktur ähnlich der RAF vermuteten, bestand die AIZ aber offenbar nur aus zwei fehlgeleiteten Freunden, die mit wirren Pamphleten gegen den Staat räsonierten. So war einer der beiden 1991 dadurch ins Visier der Staatsschützer geraten, dass es bei einer Totensonntagsfeier die Nationalhymne mit einer Fanfare übertönt hatte, schreibt der „Spiegel“. 1992 schnitten sie vier Benzinschläuche an Zapfsäulen durch, um gegen den Shell-Konzern und seine Belieferung des Apartheidregimes zu demonstrieren. Gefährlich waren sie dennoch: 1992 verübten sie einen Brandanschlag auf das Rechtshaus der Universität Hamburg, später den Bombenanschlag auf das Honorarkonsulat. Mehreren Politikern wurden Bomben vor die Tür gelegt, die jedoch nicht zündeten.
Lange Haftstrafen für die Männer
Die Männer, beide vorbestraft wegen Sachbeschädigung oder Landfriedensbruchs, wurden observiert. Wanzen im Auto habe der eine Verdächtige, der Physiker ist, mit einem Scanner aufgespürt, schreibt der „Spiegel“. Als die Fahnder sie im Februar 1996 in Witzhave verhafteten, „standen sie im Verdacht, ein Attentat gegen den Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Freimut Duve zu planen“, so der „Focus“ 1997. Einer der beiden Täter wurde 1999 wegen vierfachen versuchten Mordes und Sprengstoffverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt, sein Mittäter nach einem Teilgeständnis zu neun Jahren Gefängnis. Beide Männer konvertierten in der Haft zum Islam.
LN