„Reschke Fernsehen“: So war die Premiere
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„Wir machen hier wirklich großes Kino“: Anja Reschke im Studio ihrer Sendung „Reschke Fernsehen“.
© Quelle: Thorsten Jander/NDR / Das Erste/
Ein hübsch güldener Retro-Vorspann, ein Studio mit Glitterbehang in Zwanzigerjahre-Optik, eine herzhaft swingende NDR Big Band – willkommen bei „Babylon Berlin“, beziehungsweise: beim „Reschke Fernsehen“. „Wir machen hier wirklich großes Kino“, verspricht Anja Reschke zu Beginn ihrer neuen, 30-minütigen ARD-Show – um dann gleich klarzustellen: Das mit der glitzernden „Show“ sei natürlich nur ein Verkaufstrick, um die ARD-Chefs zu überzeugen, ihr eine eigene Sendung zu geben „In Wahrheit geht es hier um knallharten Journalismus. Aber vielleicht merkt‘s ja keiner.“
Anja Reschke ist eine der stärksten Personenmarken, über die der NDR verfügt. Sie ist als preisgekrönte Kommentatorin furchtlos und präzise, sie geht auch dahin, wo es wehtut. Sie hat eine hohe Glaubwürdigkeit und Präsenz. 2018 erhielt sie den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für die Eigenschaft, „Toleranz ohne Beliebigkeit und Stehvermögen ohne Sturheit“ zu zeigen.
Und sie hat es sich während der Flüchtlingskrise mit der rechten Randgruppe so sehr verscherzt, dass sie dort als Symbolfigur des vermeintlich „linksgrün versifften Staatsfernsehens“ gilt und der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland in einer ARD-Talkshow wutschnaubend das griffige Kürzel vom „Reschke-Fernsehen“ prägte. Ein Ehrentitel, der nun, sieben Jahre später, ironisch ihre eigene Sendung ziert.
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Die Frage ist, ob aus all diesen Meriten auch die Fähigkeit erwächst, ein Format in der Königsdisziplin des Fernsehens zu moderieren: eine Sendung, die den eigenen Namen trägt. Showidee und Person müssen dafür exakt aufeinanderpassen. Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel demonstrieren gerade parallel bei Pro Sieben, was passieren kann, wenn es nicht passt.
„Sich über Bayern lustig zu machen, ist einfach“
Das forsch formulierte Thema von Reschkes Premierensendung („Ego-Land Bayern: So zieht die CSU uns alle ab“) klingt eher wie das Clickbait-Geschrei unter dem Youtube-Video eines überzuckerten Politinfluencers. „Sich über Bayern lustig zu machen, ist erst mal einfach“, sagt sie selbst. Um dann genau das zu tun: Sie macht sich über Bayern lustig. Söder, Seehofer, Andi Scheuer, politischer Aschermittwoch, Autobahn-Maut, Windräder. Bayern-Bashing geht immer. Doch es fehlt die Durchdringungstiefe, die zum Beispiel Jan Böhmermanns Redaktion unter Hanna Herbst regelmäßig erreicht. Reschke pflügt dagegen (noch) an der Oberfläche. Und es fehlt auch an drei Eigenschaften, die essenziell sind für eine Sendung, die das sein will, was ihre sein soll: Tempo, Witz und Timing.
Sich über Comedy wagende Moderatorinnen lustig zu machen, ist erst mal einfach. Aber wer in einer solchen Sendung im Licht steht, wird eben nach Entertainment-Kriterien gemessen. „Ziel der Sendung ist es, relevante Themen unterhaltsam aufzubereiten“, heißt es beim NDR selbst. Die Sendung läuft unter dem ARD-internen Leit-Label „Comedy & Satire im Ersten“. Reschke ist eine starke Moderatorin. Der Versuch aber, klassische TV-Präsentation durch etwas mehr Gestik und 20 Prozent schnelleres Sprechen auf locker zu pimpen, gebiert noch keinen Witz.
„Reschke Fernsehen“: Humor als Flutschhilfe für Politik
Und: Humor lebt nicht nur vom Vortrag, sondern vor allem vom Inhalt. „Es steht und fällt alles mit dem Material“, sagt etwa Humorprofi Torsten Sträter. Ihn störe es, sagt Sträter, wenn Komiker „einen Gag raushauen, und dann ist der nicht so geil und sie stehen da und warten auf eine Reaktion. Dann muss noch etwas kommen. Das ist sonst nicht unbedingt schlecht, es ist aber ungelenkes Handwerk.“
Reschkes Sendung ist alles andere als ungelenkes Handwerk. Aber die Bewimpelung ist unklar. „Recherchesendung“ nennt die ARD das Format. Das ist putzig, denn Recherche gehört im Kern zu jeder Sendung und zu allem journalistischen Schaffen, in welcher Spielart auch immer. Am Ende soll es wohl darum gehen, den klassischen Journalismus mit einer satirischen Zuspitzung anzuhübschen und Missstände damit kenntlicher zu machen. Humor als Flutschhilfe für Politikinhalte. Dafür zieht sie dann auch ein rotes Dirndl an. Aber das Ergötzen darüber hält sich in Grenzen.
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Der „Ach du Scheiße, echt??“-Effekt: ZDF-Entertainer Jan Böhmermann mit dem Rundfunktanzorchester Ehrenfeld.
© Quelle: Rolf Vennenbernd
Reschke fehlt – zumindest in der ersten Ausgabe – der Böhmermann-Effekt. Mann vermisst als Zuschauer dieses ungläubige „Ach du Scheiße, echt?“-Gefühl. Denn alles, was Reschke da nicht unflott reportiert, ist leider wenig überraschend. Es geht auch viel um Horst Seehofer und die Wahl 2013. Die Älteren erinnern sich noch. Am Ende steht die Erkenntnis: Bayern ist nicht ganz so toll, wie CSU-Politiker gern behaupten, und das Dirndl ist gar kein Traditionskleid, sondern ein Marketingkonstrukt aus dem 19. Jahrhundert. No shit, Sherlock!?
Auf dem Acker der Late Night wachsen vielerlei Pflanzen. Da finden sich in den USA klassische, kumpelige Herzerwärmer wie Jimmy Fallon (NBC) oder James Corden (CBS), rustikale Rampensäue wie Jimmy Kimmel (ABC) oder Bill Maher (HBO) sowie scharfsinnige Sezierer wie John Oliver (HBO) oder Jon Stewart (inzwischen bei Apple TV+, zuvor mit der „Daily Show“ bei Comedy Central). Und in Deutschland schwebt natürlich immer der Geist Harald Schmidts über den Wassern.
Eine Anmoderation für einen Beitrag, der dann nicht kommt
Reschke sortiert sich, ähnlich wie Jan Böhmermann, klar bei den John Olivers der Fernsehwelt ein: harter Journalismus, versteckt im Körper eines beschwipsten Conferenciers. Die Eleganz der Studiooptik hilft über Strömungsabrisse hinweg. Aber es fehlt schlicht an Material, das schillert. Das mehr ist als adrett aufbereitete Google-Treffer. Die Rausschmeißeridee allerdings ist nett geraten: Da grantelt am Ende der frühere bayerische (Kurzzeit-)Ministerpräsident Günther Beckstein über die Sendung: „Ach, das ist ja alles grauenhaft! In den guten, alten CSU-Zeiten hätten wir jetzt den Intendanten des Bayerischen Rundfunks angerufen und beschimpft – aber die Reschke ist ja beim NDR, die machen eh, was sie wollen!“ Ja, wenn sie es denn täten!
Es war also richtig, Anja Reschke endlich eine eigene Plattform zu geben. Es war aber falsch, diese mit der Erwartungshaltung „Late Night“ aufzuladen, die schon dadurch entsteht, dass die Show late at night läuft, nämlich donnerstags um 23.35 Uhr. „Reschke Fernsehen“ ist keine Late Night. Es ist auch keine politische Scoopshow mit Musik, denn dafür ist sie zu zahm.
Es ist eine 30-Minuten-Anmoderation für einen Beitrag, der dann nicht kommt.