Science-Fiction-Meisterwerk

Es lebe die Maschine! – Die fantastische Sci-Fi-Serie „Raised by Wolves“ geht in die zweite Runde

In der tropischen Zone von Kepler 22b. Die Androidin Mutter (Amanda Collin) kommt in eine neue menschliche Urgesellschaft, die von einem Computer regiert wird.

In der tropischen Zone von Kepler 22b. Die Androidin Mutter (Amanda Collin) kommt in eine neue menschliche Urgesellschaft, die von einem Computer regiert wird.

Eigentlich ist die Grundstory ganz einfach: Mutter. Vater. Fremder Planet. Nachdem die Menschheit die Erde im 22. Jahrhundert als Weltraumwrack hinterlassen hat, soll ein Elternpaar im Auftrag des vermeintlichen Philantropen, Atheisten und Kybernetikers Campion Sturges Kinder in der eher ungastlichen Steinwüste von Kepler 22b großziehen, mit ihnen ein Leben führen fernab von aller Ideologie und Religion, die immer nur zu noch verheerenderen Kriegen geführt hatten.

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Eine Arche von Gott­gläubigen im Paradies der Atheisten

Ein herbes Paradies ist Kepler 22b für einen Neubeginn der Menschheit. Es gibt Geheimnisse hier, seltsame Höhlen­zeichnungen einer unter­gegangenen Zivilisation, Monster obendrein. Und dann kommt nach zwölf ruhigen Jahren auch noch die Arche „Heaven“ des Wegs, glaubens­illuminierte Menschen an Bord, Anbeter des Sonnengottes Sol, kriegerische Kolonisatoren im Auftrag eines spirituellen Oberwesens auf der Suche nach einem Erlöser. Die also, die es unbedingt zu vermeiden galt.

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Die Serie „Raised by Wolves“ von Serienschöpfer Aaron Guzikowski und Produzent Ridley Scott war mit diesem Plot vor knapp zwei Jahren die wohl aufregendste Zukunftsvision im Qualitäts-TV. Mutter (Amanda Collin) und Vater (Abubakar Salim) waren Androiden mit Elternprogramm, von ihren menschlichen Ziehkindern überlebte nur der Junge Campion (Winta McGrath) die Kleinkindphase. Womit für Vater rein roboterhaft rational klar war: Mit einem Männchen allein lässt sich keine Spezies erneuern – Eden‑2-Projekt gescheitert.

Von der Mama zum Necromancer – eine Androidin sieht rot

Allein das auf Familie gepolte „Mutterherz“ der Androidin hielt an dem alten Plan, an der lieb­gewonnenen Gemeinschaft, fest. Und als Mutter die Leute des Mithraskults in die Quere kamen, wechselte sie in den Necromancer-Modus: Denn vor ihrer Elternzeit war Mutter eine gefürchtete Kampf­androidin gewesen, die durch Schallwellen ganze Armeen auslöschen konnte. Sieht man sie am Himmel stehen, wird man spontan von Gänsehaut geflutet. Die Maschine ist dem Menschen ein Wolf.

Die erste Staffel endete mit der Geburt des „siebten Kinds“, das Mutter von einem Hologramm des Missions­begründers an Bord ihres Schiffs als „das eigentliche Projekt“ prophezeit wurde. Dass sie dann statt mit einem humanoiden Baby mit einer unheimlichen fliegenden Schlange niederkommt, hält sie auch zu Beginn der zweiten Staffel vor ihrer Gruppe geheim. In der tropischen Zone von Kepler 22b integrieren sich Vater, Mutter, Campion und die von Mutter gekidnappten Kinder der besiegten Mithrasleute in ein friedliches Atheisten­habitat. Geregelt wird das Miteinander durch den Supercomputer The Trust (das Vertrauen), ebenfalls eine Kreation des genialischen Sturges, dessen Regeln und Herrschafts­prinzipien sich die Bewohner der Kolonie scheinbar freiwillig unterwerfen.

Der Supercomputer The Trust ist kein Philantrop

Freilich, und damit zieht früh Spannung herauf: The Trust ist keine „All You Need Is Love“-Maschine, die Zone beheimatet keine paradiesische Ideal­gesellschaft. An einem Tag ist Mutter für die Beschulung der Jüngsten zuständig, tags darauf ist sie eine „Bestraferin“, die einen des Verrats Beschuldigten brutal zusammen­schlagen muss. Auf den Straßen trifft man Büßer, die mit Leichen­bitter­miene Sätze wie „Gewalt ist Schmerz – Schmerz ist Gewalt“ skandieren. Und als zur Jagd auf die inzwischen riesig gewordene Luftschlange geblasen wird, zieht Vater mit einer Gruppe Gefangener, menschlicher Bomben los, die detonieren sollen, sobald der Drache sich in sie verbeißt. Auf Philantropie scheint The Trust zu pfeifen.

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Eine noch weit perfidere Idee hat The Trust, als es darum geht, den Mithras­anführer Marcus (Travis Fimmel, der Ragnar aus „Vikings“) loszuwerden. Wie er die Gottesanbeter von der Oberfläche des Planeten tilgen will, weist The Trust als digitale Version eines alt­testamentarischen Gottes aus: unsichtbar, ohne Bildnis, unerfindlich in seinen zuweilen nach­voll­zieh­baren, zuweilen rachsüchtig anmutenden Beschlüssen. Anders als Sol, der nur die Macht hat, die ihm seine Anbeter durch ihren Glauben gewähren, ja, der überhaupt nur in ihrem Glauben nachweisbar und bezichtigbar ist, ist The Trust existent – alles im Guten wie im Schlechten kontrollierend.

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Längst sind also auch die Atheisten unter einer gottesartigen Fuchtel. Und manch einer von ihnen hat auch schon einen Teufel auf der Gegenseite ausgemacht. Jedenfalls glaubt nicht jeder Mutter, als sie die Luftschlange als harmlosen Pflanzen­fresser ausweist. Das Bild der Schlange, die sich um den Fuß eines Baobab-ähnlichen Baums ringelt, ist verführerisch biblisch. „Imagine there’s no heaven … and no religion, too …“ sang John Lennon. Aber Götter sind ganz schnell immer und überall.

Die Macher vertrauen auf die Kraft ihrer Erzählung

So schreitet diese komplexe Serie über menschliche Selbst- und Fremd­bestimmung, über Freiheit und Grenzen künstlicher Intelligenz, über Geschöpfe, die über ihre Schöpfer mutmaßen und selbst nach Schöpfertum trachten, in Folge vier (die Hälfte der acht Episoden wurden zur Sichtung gewährt) mächtig aus in Richtung einer Tragödie. Wie im anderen gegenwärtigen Sci-Fi-Meisterwerk „Foundation“ (bei Apple TV+) wird das ruhige Tempo im Vertrauen auf die Kraft der Erzählung nie aufgegeben und wird – anders als bei Serien aus den Kosmen von „Star Wars“ oder „Star Trek“ – nie Komik eingesetzt, um die Düsternis erträglicher zu machen.

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Wer Ridley Scotts große, finstere Sci-Fi-Würfe „Alien“ (1979), „Blade Runner“ (1981) und „Prometheus“ (2012) liebt, der schätzt auch diese dunkle Saga, nicht nur weil Mutter und Vater von demselben milchigen Androiden­fluidum belebt werden wie Ash (Ian Holm) in „Alien“ und David (Michael Fassbender) in „Prometheus“.

Rettet die „Wölfe“ – Warner hat das Ende der Serie beschlossen

Das Schicksal der Serie „Raised by Wolves“ steht dabei unter einem schlechten Stern. Noch ist längst nicht alles auserzählt, da hat die neue Warner-Führung ihr Serienjuwel von einer dritten (bereits vollständig vorbereiteten Staffel) ausgeschlossen. Ein Muster an Borniertheit – Schauspieler sind fassungslos, Fans im Protestmodus. „Raised by Wolves“ ein würdigeres Ende zu bereiten, wäre nun etwa ein Prestigeprojekt für Netflix, Prime Video oder Apple TV+. Zur Not könnte Ridley Scott die dritte Staffel ja aus dem eigenen Portemonnaie finanzieren.

Keinesfalls aber sollte diese Geschichte wie so viele Serien vor ihr einfach mittendrin abreißen. Wir wollen weiter an das Format glauben und mehr über Kepler 22b erfahren, jene tatsächlich existierende Supererde, die 2009 vom Welt­raum­teleskop Kepler entdeckt wurde.

„Ich bin nicht euer Eroberer. Ich bin euer Diener“ (das sagen alle)

Einstweilen glauben wir an Mutter, wenn sie in Folge vier das Allerheiligste von The Trust mit den Worten „Ich muss meine Kinder beschützen“ betritt und ihrem „Bruder Computer“ vorhält: „Du hast meine Kinder benutzt.“ Könnte sich The Trust nur warm anziehen. So dauert das Duell nicht lange – die Maschine ist tot, es lebe die Maschine. „Ich bin nicht euer Eroberer, ich bin euer Diener“, stellt Mutter sich der Kolonie als neue Spitzenkraft vor. Was sagt Isaac Asimov eigentlich über Roboter und Lügen?

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„Raised by Wolves“, zweite Staffel, acht Episoden, von Aaron Guzikowski, mit Amanda Collin, Abubakar Salim, Travis Fimmel (Warner Serie ab 4. August bei Wow und Sky Q)

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