Ach Gott, jetzt auch noch Gottschalk – wie alte weiße Männer Insta missverstehen
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Vier alte Herren schauen auf ihre Smartphones.
© Quelle: Geraldine Oetken
Ja, er ist es wirklich: Thomas Gottschalk. In echt, ganz in echt. Deswegen nennt er sich auch thereal.ThomasGottschalk, damit die Fans wissen, dass er echt ist. Vielleicht nicht zum Anfassen, aber zum Liken. Bei Instagram. Jetzt ist er nach über zehn Jahren auch da, wo die Jugend längst nicht mehr ist: nämlich bei Instagram. Er zeigt sich jetzt von der coolen Seite, sagt er. Er zeigt jetzt den Enkeln, wie‘s geht (mit Apostroph), schreibt er. Er sagt, er wird jetzt digital und postet, was ihn bewegt.
Aber nur, dass hier nichts durcheinandergerät: Thomas Gottschalk war vorher auch schon bei Instagram, da haben aber andere seinen Account betreut. Jetzt tippt er halt selbst seine Hashtags ins Smartphone. Gottschalk sagt nicht Instagram, er sagt liebevoll Insta, denn er ist jetzt voll lit. Die Kommentare darunter: on fire! Eine Frau namens Viktoria duzt den Thomas einfach (und fragt im selben Satz nach Erlaubnis), ein anderer schreibt ein Gedicht („Der Gottschalk ist auf Instagram, das ist ne coole Nachricht, Mann“) und ein anderer, laut Profilname 1962 geboren, macht einen Dadjoke über Falten, die er ja gar nicht wegfiltern muss.
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Instagram ist nicht Gottschalks Hometurf (auf deutsch: Heimspiel). Das weiß der auch – und macht sich beherzt lustig darüber, will Filler in die Backen rein und den Zinken operieren. Damit ist der 72-Jährige nur ein Boomer unter vielen. Immerhin gaben laut Statista 21 Prozent der Deutschen über 60 Jahren im Jahr 2022 an, sich einen Account bei Instagram besorgt zu haben, 2015 waren es nur 6 Prozent. Zum Vergleich: Bei den 16 bis 19-Jährigen sind es im vergangenen Jahr 78 Prozent gewesen.
Auch die Herrenriege der deutschen Promi-Liga hat sich bei Instagram versammelt. Wenn man sich so umschaut, dann haben gleich eine ganze Menge die Rätselzeitungen weggehauen, wie Gottschalk es empfiehlt. Dieter Bohlen, Dieter Nuhr, Kai Pflaume, Reiner Calmund, Til Schweiger, Boris Becker, Lothar Matthäus, Udo Lindenberg, Jan Josef Liefers, Oliver Kahn, Stefan Mross, Robert Geiss, Uwe Ochsenknecht, Ralf Möller und Richard David Precht. Welch illustre Schau.
Fünf Erkenntnisse
Alten weißen Männern wird gerne vorgeworfen, ignorant zu sein, sich selbst zu überschätzen, die fehlenden Chancen anderer zu übersehen. Doch was passiert, wenn sie sich wie Gottschalk und Konsorten außerhalb der Hometurf ausbreiten in einem Medium, das es erst seit 13 Jahren gibt? Die Schwergewichte der alternden weißen Männer der Unterhaltungsindustrie, die posten jetzt alle, was sie bewegt. So will es der Gottschalk auch machen. Aber was wollen sie der Welt mitteilen, was sie nicht schon in Fernsehen, Platten oder unzähligen Interviews zur Schau gestellt haben? Was bewegt diese alternden weißen Männer, für die Erfolg zum Automatismus geworden ist? Fünf Erkenntnisse.
Ein Blick auf die Profile der oben Genannten. Und eine schnelle Erleuchtung, die vielleicht nicht ganz neu ist bei der Plattform der Eitelkeiten: Die Herren sind durch sich selbst bewegt. Die deutschen Promi-Männer jenseits der 50 posten gerne Fotos von sich. Und sie greifen dabei nur selten selbst zum Smartphone. Das unterscheidet sie von all den anderen Nutzerinnen und Nutzern anderer Altersgruppen. Die Herren zeigen sich nicht weniger gern als das Jungvolk, aber sie zucken vor dem Selfie-Modus zurück. Während beispielsweise die Queen of Instagram, Kim Kardashian, ein ganzes Fotobuch nur aus Selfies auf den Markt gebracht und so das Selfie zur Kunstform erhoben hat, brauchen die Herren eine gewisse Distanz zu Kamera. Sie überlassen das Fotografieren lieber den Profis und zeigen Aufnahmen, die den Charme beliebiger Pressemitteilungen haben. Das Profilfoto von Reiner Calmund beispielsweise würde mit dem offenen Lächeln auch in einer Bewerbungsmappe spritzig kommen.
Selfies beim Schlafen
Außer, hier eine kleine Korrektur, Dieter Nuhr: Der macht sogar Selfies beim Schlafen. Ansonsten ist der Kabarettist im Gegensatz zu seinem Bühnenprogramm erstaunlich handzahm. Aber zum Glück gibt es ja noch Parade-Insta-Oppa Dieter Bohlen. Der hat einen heftigen Filter draufgelegt, damit er nicht ganz so sehr nach Oppa aussieht. Bohlen streamt jede Hirnwendung im Selfiemodus in supergrellen Farben. 1,5 Followern Millionen gefällt das. Manchmal zieht er in altbekannter „DSDS“-Juror-Manier über Veganerinnen her, aber sehr oft zelebriert er einfach den absoluten Eskapismus. Er flaniert mit Vorzeigefrau Carina bei bezahlter Werbung auf den Malediven herum und selbst zur Invasion in der Ukraine schafft er es, sich in Superlativen zu verlieren, und wünscht den Betroffenen „alles alles alles alles Liebe“. Dieter Bohlens Welt ist die quietschbunte Eskapismus-Welt, komplett mit türkisblauen Stränden, ewigem Sonnenschein und ungestraften Macho-Sprüchen, die Grimasse zum Dauerbeinahelachen erstarrt.
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Nur selten sind bei den Herren spontane Schnappschüsse zu sehen, außer vielleicht bei Uwe Ochsenknecht, der sich in seiner mallorquinischen Wahlheimat dem Nachtleben hingibt. Die Herren zeigen weniger, wie sie die Welt sehen, sondern mehr, wie sie von der Welt gesehen werden (wollen). Instagram ist ihre kleine Welt, in der sie sich bis zum Umfallen um sich selbst drehen können. Vereinzelt nur sind Risse in der Blase: Etwa als die Geissens mal ein Machtwort sprachen und sich in einem überraschend deutlichen Post gegen die Rehabilitation von Michael Wendler bei ihrem Haussender stellten.
Tausend Worte sagen mehr als tausend Worte
Doch was bewegt die Herren noch? Ihre eigenen Worte. Manche, wie der Herr Precht, posten gerne Screenshots vom Twitter-Account. Udo Lindenberg ist hinter seiner Sonnenbrille ein Mann der vielen Buchstaben. Er wünscht seinem Kumpel Hannes Rossacher unendlich viel Gutes zum Geburtstag. Damit aber auch wirklich alle verstehen, wer der Mann da ist, den der Udo so toll findet, schiebt er noch eine Erklärung zu der Beziehung der beiden hinterher, die sich dröge wie ein Wikipedia-Eintrag liest. Ist es die Angst vor dem Undefinierten, die die Herren aufs Smartphone einhämmern lässt? Ist es die Angst, nur das Bild sprechen zu lassen? Die Angst vor mehreren Interpretationen?
Außerdem sind sie offenbar bewegt von ihren eigenen Leistungen, insbesondere den sportlichen. Kai Pflaume rennt, fährt Fahrrad, cruist auf Skiern in der Wintersonne sanfte Hügel hinunter. Ralf Moeller, der Hüne, zeigt auf jedem zweiten Foto seinen Oberarm oder hängt an einem Trainingsgerät. Auch Jan Josef Liefers tritt in die Pedale und listet brav Länge, Dauer, Höhenmeter und Pulsschlag auf.
Es gibt eine Sache, die die ganze Welt bewegt, und so auch die Herren von Instagram: Geld. Sie sind bewegt von dem Geld, was sie dort verdienen. Lothar Matthäus wirbt für einen Wettanbieter, Til Schweiger wirbt, klar, für seine Filme und seine Tochter. Reiner Calmund macht Werbung für ein Hotel in Abu Dhabi mit dem Hashtag #paradisfürkinder. Arnold Schwarzenegger bastelt Memes, um Follower dazu zu bringen seinen Fitness-Newsletter zu abonnieren. Ralf Moeller hält sein veganes Fitnesskochbuch in die Kamera, die Muskeln selbstverständlich angespannt. Boris Becker wirbt für seine Doku, in der er den geläuterten Mann gibt, und für seinen Sportmoderatorenjob und, oh ja, auch für seine Kinder.
Sprezzatura – die ungezwungene Leichtigkeit
Und sie sind natürlich bewegt von der Zeit, als sie ganz Große waren, von ihrer eigenen Jugend: Lothar Matthäus zeigt am liebsten seine eigenen genialen Tore, als er in der Fußballwelt noch Spitze war. Boris Becker zeigt körnige Fotos, als er noch die Welthoffnung im Tennis war. Til Schweiger zeigt ein überbelichtetes Foto mit Moritz Bleibtreu in jungen Jahren. Auch auf dem Profil von Thomas Gottschalk sieht man alte TV-Aufnahmen, als der Meister des Samstagabends noch längere, oder mehr, Locken hatte. Udo Lindenberg zeigt sich in Schwarz-Weiß mit ikonischem Hut und Fluppe – aber ohne Sonnenbrille und Falten.
Wenn der Herrencontent so an einem vorbeiflirrt, in der etwas staksigen Aufmachung, dann fragt man sich: Was zeigen sie nicht? Sie zeigen selten, was sie sehen oder wie sie die Welt sehen. Sie zeigen wenig Fehler oder Selbstironie und schon gar nicht die Vergänglichkeit des eigenen Fleisches. Instagram ist die Verlängerung ihrer PR-Abteilung – und kein persönlicher Fotoblog. Keine Frage, mit oder trotz ihrer Strategie sind die Herren bei Instagram sehr erfolgreich, haben teils 500.000 Follower oder 1,5 Millionen.
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„Sprezzatura“ beschreibt eine gewisse ungezwungene Leichtigkeit, Dinge zu tun – und zwar so, dass man die Anstrengungen und Arbeit dahinter nicht sieht. Erst dann kann man von vollendeter Kunst sprechen. Einem Tänzer, der leichten Fußes dahinschwebt, sieht man die vielen harten Trainingsstunden nicht an. Der italienische Begriff geht auf das Buch „Der Hofmann“ von Baldassare Castiglione aus der Renaissance zurück. Ein zeitgemäßerer Begriff dafür wäre vielleicht Coolness. Doch bei der Herrenriege von Instagram sprezzat nix. Ganz im Gegenteil, sie wirken im digitalen Kaleidoskop der Peinlichkeiten stets bemüht.
Warum also will der gestandene Thomas Gottschalk dort mitmischen? Er muss durch bezahlte Werbung keinen Lebensunterhalt mehr generieren, wie andere Altstars. Bisher hat sein fremdgeführtes Account mit Minimalaufwand auch Werbung für seine Projekte betrieben. Doch jetzt greift Gottschalk selbst zum Smartphone. Warum begibt er sich in den Sog der vielen roten Herzchen? Dabei ist unlängst bekannt, dass die vielen schönen Bildchen bei Instagram nicht nur Freude bringen. Gottschalk schreibt, er will anderen Mut machen bei Instagram. Aber ist die Plattform 13 Jahre nach ihrer Gründung noch eine Mutmacherin?
Wer muss wem Mut machen?
Die amerikanische Vereinigung von Psychologen (APA) warnt: Instagram sei schlecht für die psychische Gesundheit – und zwar auch unabhängig von den dort geposteten Inhalten. Denn die App sei nun mal so entworfen, dass man nicht mehr aufhört zu scrollen, wenn man erst einmal angefangen hat. Insbesondere dann, wenn man die App nutze, um online populär zu werden oder sich mit anderen vergleiche – und das über alle Altersgruppen hinweg.
Ach Gott, Thomas Gottschalk. Du konntest doch 72 Jahre ohne die App leben.