Deutsche Jugendliche als Vorbilder im „Hochkonsumland für Alkohol“
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Alkoholkonsum ist in der jungen Generation weniger verbreitet als bei Älteren, auch das Rauchen nimmt stark ab (Symbolbild).
© Quelle: Silas Stein/dpa/Symbolbild
Deutschland ist nach wie vor „Hochkonsumland für Alkohol“: So steht es im am Mittwoch veröffentlichten „Jahrbuch Sucht 2023″ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Demnach hat der Alkoholkonsum hierzulande zwar abgenommen, doch noch immer konsumierten rund 7,9 Millionen Deutsche Alkohol „in gesundheitlich riskanter Weise“. „Obwohl der Alkoholkonsum im Vergleich zu den Vorjahren weiter gesunken ist, wird in Deutschland immer noch deutlich mehr Alkohol getrunken als im weltweiten Durchschnitt“, sagte der DHS-Vorstandsvorsitzende Norbert Scherbaum. Um noch deutlicher zu werden: In Deutschland beträgt die durchschnittliche Trinkmenge mehr als das Doppelte der durchschnittlichen Trinkmenge weltweit, heißt es in dem Bericht.
Besonders gesundheitsschädlich ist Alkohol für Jugendliche und junge Erwachsene, etwa wegen der unabgeschlossenen Hirnreifung, die dadurch beeinflusst werde. Hinzu komme das besonders hohe Risiko bei Beginn des Konsums im Jugendalter, eine Suchterkrankung, wie etwa eine Alkoholabhängigkeit, zu bekommen, worauf auch Prof. Klaus Hurrelmann gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) verweist. Er ist Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler und arbeitete lange an der Universität Bielefeld und nun seit 2009 als Professor of Public Health and Education an der Hertie School in Berlin.
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Er gilt als einer der führenden Experten für die Jugend: Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann untersucht seit vielen Jahren die politischen Einstellungen Jugendlicher. Nach langjähriger Tätigkeit an der Universität Bielefeld arbeitet er seit 2009 als Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin.
© Quelle: dpa
Experte „positiv überrascht“ vom geringen Alkoholkonsum Jugendlicher
Doch er zeigt sich mit Blick auf die Jugendlichen „positiv überrascht“ von dem neuen Suchtbericht. „Ich hatte befürchtet, dass sich durch die Pandemie und die Krise die Trends verändern und der Alkoholkonsum zunehmen würde“, sagt er. Doch das sei nicht der Fall. „Wir haben weiterhin den Trend, dass die jungen Generationen, vor allem die unter 25-Jährigen, beim Konsum der ‚Volksdrogen‘ Alkohol und Tabak ganz weit hinten liegen und die Tendenz weiter nach unten geht. Wir haben weiterhin eine junge Generation, die in dieser Hinsicht gesundheitsbewusster ist als die älteren.“ Das merke man auch im Alltag, betont der Experte, wo man kaum noch junge Menschen rauchen sehe und wo es mittlerweile auch Partys gebe, auf denen kein Alkohol getrunken werde.
Ganz weg vom Alkohol sind aber auch die jungen Menschen nicht. Im Bericht steht auch: „Unter 14- bis 15-Jährigen gaben 55 Prozent an, sie hätten in den letzten 30 Tagen fünf oder mehr Gläser alkoholischer Getränke zu sich genommen.“ Auch sogenannten „Rauschkonsum“ gibt es noch: Als solcher wird es laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert, wenn Jugendliche fünf oder mehr Getränke zu je zehn Gramm Reinalkohol bei einer Gelegenheit konsumieren. Laut „Jahrbuch Sucht 2023“ gaben 37 Prozent der 15- bis 16-jährigen Jugendlichen in Europa an, mindestens einmal Rauschkonsum in den letzten 30 Tagen vor der Befragung praktiziert zu haben. Die Daten wurden demnach zusammengestellt aus Befragungen über 25 Länder der Europäischen Union hinweg. Während etwa in Schweden und Finnland der Anteil von 15- bis 16-Jährigen mit Rauschkonsum bei weniger als 25 Prozent lag, waren es in Deutschland und Dänemark mehr als 55 Prozent.
Komasaufen war lange ein Problem, ist aber mittlerweile stark zurückgegangen.
Prof. Klaus Hurrelmann,
Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler
Den Rauschkonsum, früher oft auch als „Komasaufen“ bezeichnet, sieht Experte Hurrelmann aber ebenfalls in einem Abwärtstrend. „Komasaufen war lange ein Problem, ist aber mittlerweile stark zurückgegangen“, sagt er. Auch dadurch, dass es in der Öffentlichkeit stark thematisiert und kritisiert worden sei, etwa durch die „Kenn dein Limit“-Kampagne. Laut dem Professor gab es in Deutschland lange die Tradition, dass der Alkoholkonsum im Elternhaus vorbereitet worden sei. „Da wurde dann mal ein Schlückchen Sekt erlaubt und erklärt, wie man damit umzugehen hat.“ Das habe dann stark abgenommen, sodass der Umgang mit der Volksdroge eher in Gleichaltrigengruppen „erlernt“ worden sei, wo es dann nicht um einen gemäßigten Umgang gegangen und zum Komasaufen gekommen sei. Doch auch das gehe nun wieder stark zurück.
Trend zum Nichtrauchen bei Jugendlichen
Beim Thema Rauchen zeichnet sich bei den Jugendlichen laut dem „Jahrbuch Sucht 2023“ ein noch wesentlich besseres Bild ab. So ist das Rauchen in der Gesamtbevölkerung zwar rückläufig, aber nach wie vor verbreitet – nach Angaben des Mikrozensus, auf den sich der Report beruft, rauchten 2021 rund 16 Prozent der Frauen und 22 Prozent der Männer. Bei den Jugendlichen zeichne sich aber bereits seit rund 15 Jahren ein Trend zum Nichtrauchen ab. Dort lagen die Zahlen der Rauchenden 2021 unter den Zwölf- bis 17-Jährigen bei den Jungen bei 6 Prozent und bei den Mädchen bei 7 Prozent.
Rauchen ist heute out bei Jugendlichen.
Prof. Klaus Hurrelmann
„Rauchen ist heute out bei Jugendlichen“, kommentiert Hurrelmann das. Gründe dafür sieht er auch in Prävention und politischen Maßnahmen, die es bei Alkohol kaum oder wesentlich zurückhaltender gebe. Als Beispiele nennt er die Verteuerungen von Zigaretten, Rauchverbote in öffentlichen Bereichen, den schwierigeren Zugang durch die Altersgrenze, eingeschränkte Werbung und die Warnbildchen auf den Zigarettenschachteln. „Da gab es eine ganze Palette an Maßnahmen, die Wirkung zeigen.“
Tabakkontrollpolitik führte zu Rückgang des Rauchens
Auch im Suchtbericht heißt es zu dem Thema: „Die Zahlen belegen, dass die in den letzten Jahren umgesetzten Maßnahmen der Tabakprävention und Tabakkontrollpolitik zu einem Rückgang des Rauchens geführt haben, und zwar insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.“ Warum passiert dasselbe nicht beim Thema Alkohol? „Alkohol gilt immer noch als ‚schick‘ und im öffentlichen Raum als geschätzte Droge“, so Hurrelmann. Das sehe man auch daran, dass der Konsum im öffentlichen Raum fast überall erlaubt sei, bei Verboten gebe es immer wieder Debatten und Kritik. „Alkohol ist eine Mittelschichts- und Oberschichtsdroge, das macht es schwieriger.“
Das ist beim Rauchen anders. Am stärksten verbreitet ist das Rauchen laut dem Suchtbericht nach wie vor in sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Demnach gebe es auch signifikante Unterschiede im Rauchverhalten je nach besuchter Schulform. Bei zwölf- bis 17-jährigen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten werde signifikant weniger geraucht als bei Jugendlichen, die eine Haupt-, Real-, Gesamt- oder andere Schule besuchten oder eine Ausbildung machten. Aus dem Grund müsse man gerade in den Schulen mehr Prävention betreiben, so Experte Hurrelmann. Er betont auch: „Es ist vor allem wichtig, den jungen Menschen andere Angebote zu machen, um Spannungen abzubauen – zum Beispiel Sport treiben.“
Suchtverhalten als Kompensation
Denn regelmäßiger Drogenkonsum, ob nun von legalen oder illegalen Drogen, diene oft auch zum Abbau von Spannungen und sei ein Kompensationsverhalten. „Es steckt immer ein Problem dahinter, das man dann versucht mit Alkohol oder Tabak zu lösen.“ Oder auch mit anderen Abhängigkeiten, wie der Experte beobachtet. Während die junge Generation kaum noch rauche und weniger Alkohol trinke als ältere Generationen, flüchte sie sich oft in „nicht substanzorientierte“ Abhängigkeiten, etwa von Videospielen oder dem Smartphone. Zudem hätten die psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen zugenommen.
Mit dpa