Corona-Ausbruch in Göttingen: Ein zufälliger Schauplatz
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QLTGDTQEWFAJBORJ5X4KQCQQGE.jpeg)
Das Iduna-Zentrum in Göttingen kennt durch den Corona-Ausbruch plötzlich ganz Deutschland.
© Quelle: Swen Pförtner/dpa
Göttingen. Auf einmal kannte ganz Deutschland das Iduna-Zentrum. Der Göttinger Wohnkomplex mit mehr als 600 Bewohnern war über Pfingsten zu einem Corona-Hotspot geworden. Als Auslöser dafür gelten unter anderem Familienfeiern, deren Teilnehmer Regeln zu Gruppengröße und Abstand untereinander nicht eingehalten hatten. Göttingen schien kurz vor dem regionalen Lockdown zu stehen.
Es war eine klassische Zwickmühle. Jedem war klar, dass die Beschränkungen im privaten wie im öffentlichen Leben, wie wir sie um Ostern herum hinnehmen mussten, nicht lange aufrechtzuerhalten waren. Dass eine Lockerung dieser Beschränkungen die Zahl der Corona-Infizierten nach oben treiben würde, war ebenso allen klar. Jedenfalls theoretisch. Deutschland hatte weder so hohe Fallzahlen wie Italien, noch mussten wir uns mit verstörenden Bildern vom pietätlosen Umgang mit Corona-Leichen wie in den USA auseinandersetzen.
Andere Corona-Ausbrüche werden folgen
Alles, was sich in Göttingen seit Pfingsten abgespielt hat, kann auch andernorts in Deutschland geschehen. Die Corona-Krise macht nur wie ein Brennglas Stärken und Schwächen gleichermaßen gut sichtbar. Göttingen war zufällig Schauplatz eines lokalen Corona-Geschehens. Derlei könne überall passieren, sobald ungehinderte Infektionsketten entstehen, konstatiert Prof. Eberhard Bodenschatz, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Getroffen hat es nun Göttingen. Andere lokale Corona-Ausbrüche werden ganz sicher folgen.
Austauschbar ist auch der „Hotspot“: 600 Menschen in einem Hochhaus – da bleibt „social distancing“ eine theoretische Idee, aber auch das hat Göttingen nicht exklusiv. Dazu kommt eine Bewohnerschaft, die eventuell auch wegen sprachlicher Barrieren nicht jede Feinheit einer Allgemeinverfügung zur Kenntnis nimmt.
Grenzen von Verwaltungshandeln werden sichtbar
Sichtbar werden auch die Grenzen von Verwaltungshandeln. Verwaltungen können Verwaltung. Kommunikation und Krisenstab sind zumindest in Göttingen eher nicht unbedingt Kernkompetenz. Bislang fiel das nicht weiter auf, jetzt aber wird es überdeutlich. Seit Anfang März haben die Verwaltungen von Stadt und Landkreis viel zusätzliche Arbeit erledigen müssen. Und es war viel Gutes dabei, wahrgenommen werden aber in der Regel nur Fehlleistungen. Dazu gehört etwa die Ankündigung der Leiterin des Krisenstabes der Stadt, Petra Broistedt, die am Freitag verkündete, dass die Schulen von Montag an wieder geöffnet sein sollten – nur um diese Ankündigung kurz vorm Wochenstart zu widerrufen. Das hat völlig unnötig für erhebliche Verwirrung und Verdruss gesorgt. Auch ihr „Lockdown“-Alarm am Wochenende wirkt im Nachhinein schriller, als es die Fakten hergaben. Gleich zu Wochenbeginn musste die Stadtverwaltung in dieser Frage deutlich zurückrudern.
Zu den fast pittoresken Facetten deutschen Verwaltungslebens gehört, dass sich Stadt und Landkreis jeweils einen eigenen Krisenstab leisten. Im hübschen Wechselspiel lenkt mal der eine, mal der andere die Corona-Geschicke der gesamten Region. Wer Abrüstungsgespräche oder die Brexit-Verhandlungen für vertrackt hält, kann hier sein Bewertungssystem noch einmal nachjustieren. Beide Krisenstäbe haben sogar noch eine gemeinsame Arbeitsgruppe, um das Handeln halbwegs synchron zu halten. Und uns lehrte man in der Schule, es gehe um die Einigung Europas…
Kein Königsweg aus der Zwickmühle
Es gibt keinen Königsweg aus der Zwickmühle. So lange nicht jedenfalls, wie Menschen nicht qua Impfstoff immun gegen das Virus sind. Bis dahin muss sich jeder gut informieren, Vorsicht walten lassen, auf Abstand halten, und wir müssen uns mehr als sonst um die Menschen um uns herum sorgen. Sonst droht doch noch die Gefahr eines lokalen Lockdowns. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung des Geschehens ist? Dazu noch einmal Prof. Bodenschatz: Diese könne man nicht benennen, „da sie von dem Verhalten von uns Menschen abhängt und dies schwer zu messen ist.“ Ihm falle dazu nur der Satz ein: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“