Die Steinmetze von Notre-Dame: „Wir sind Teil von etwas Großem“
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João Texeira (rechts) und Hugo Braz auf der Baustelle von Notre-Dame.
© Quelle: Lisa Louis
Paris. Seit zwei Jahren ist Notre-Dame de Paris von meterhohen Palisaden umgeben. Passanten können die Kathedrale nur von Weitem bestaunen, wie sie dasteht, eingerüstet, teilweise mit Plastikplane überzogen. Ein gewaltiger Kran ragt neben ihr hoch, als ob er auf sie aufpassen wollte. Sie scheint friedlich. Doch hinter den Absperrungen herrscht seit dem verheerenden Feuer emsiges Treiben. Dabei wurden die Turmspitze und große Teile des mittelalterlichen Dachstuhls sowie 15 Prozent des Gewölbes des Hauptschiffs zerstört. Rund 200 Personen von einem Dutzend Unternehmen arbeiten nun darauf hin, den Zeitplan des Präsidenten einzuhalten, das Monument innerhalb von fünf Jahren wieder zu eröffnen. Während die Augen der Welt auf ihnen ruhen, fühlen die Arbeiter vor allem eins: Stolz, Teil eines Jahrhundertprojekts zu sein.
Die Steinmetze der Firma Pierrenoel gehörten zu den Ersten vor Ort. „Damals im April 2019 war unser Unternehmen eigentlich gerade dabei, eine andere Baustelle einzurichten – wir sollten einige Pinakel, kleine Spitztürmchen am oberen Ende einer Stützmauer, restaurieren“, erinnert sich João Texeira, einer der Mitarbeiter des Unternehmens, während er an einem weißen Tisch in einem der Arbeiterbungalows sitzt. Drei Türme solcher Containerbüros stehen auf dem Gelände der Kathedrale – hinter den Palisaden, aber dennoch getrennt von dem Monument selbst, dessen Zugang strikt begrenzt ist, auch für Journalisten.
„Manchmal hab ich Angst, das nicht alles hinzubekommen“
Doch nach dem Feuer am 15. April, einem Montagabend, änderte sich der Aufgabenbereich von Pierrenoel schlagartig. Die Steinmetze packten mit an, halfen den Feuerwehrmännern bei der Beseitigung von Schutt. Zusammen mit den Architekten gingen sie durch die zahlreichen Steinbrocken, die durch das Feuer und die Löscharbeiten heruntergefallen waren, und versuchten, diese den entsprechenden Stellen im Gebäude zuzuordnen. „Das war nicht immer sehr glamourös, aber jeder half mit, so gut es ging“, erinnert sich Texeira. Er selbst stieß am Samstag nach dem Feuer hinzu – und ist seitdem Mitglied des Teams vor Ort.
An große Projekte ist Texeira gewöhnt, hat zum Beispiel 2009 bei der Restaurierung der Kathedrale in der Schweizer Stadt Lausanne mitgeholfen. Aber so ein Megaprojekt sei schon etwas anderes, gibt er leise zu: „Das ist ganz schön stressig – manchmal hab’ ich Angst, das nicht alles hinzubekommen.“ Dennoch überwiegt ein anderes Gefühl: „Ich bin wirklich froh, hier dabei sein zu dürfen – meine ganze Familie, auch in Portugal, ist stolz auf mich und sagt mir immer wieder, wie beeindruckend das ist“, meint der 40‑jährige Portugiese, der seit 2012 in Frankreich lebt.
Kathedrale hat 24 Kapellen
Stolz ist fast eine Untertreibung für Hugo Braz, der schräg gegenüber von seinem Landsmann Texeira sitzt und Leiter von Pierrenoels rund zwölfköpfigem Team bei Notre-Dame ist. Der 36‑Jährige arbeitete bis 2019 für eine andere Firma als Bauleiter und bewarb sich extra für die Baustelle von Notre-Dame: „Ich glaube an Gott und wollte einfach beim Wiederaufbau mithelfen,“ sagt er mit ehrfürchtigem Blick. „Dieses Monument steht seit Jahrhunderten. Immer wieder haben Menschen versucht, die Kathedrale zu zerstören, aber sie hat standgehalten. Nun ist es an uns, Notre-Dame zu erhalten – wir sind Teil von etwas Großem!“
Ein Mitarbeiter der Steinmetzfirma Pierrenoel reparierte Risse in den Mauern.
© Quelle: Pierrenoel
Sein Team half in den Wochen nach dem Brand mit, zahlreiche Statuen vom Dach zu entfernen, damit sie während der Arbeiten nicht vom Gebäude fallen. Und dabei, das Gewölbe des Gebäudes durch Holzstützen zu sichern. Außerdem füllten sie Risse in den Mauern mit heißem Kalk auf. Pierrenoel hat zudem ein Protokoll aufgesetzt für die Säuberung der insgesamt 24 Kapellen der Kathedrale. „Das ist nicht immer alles ganz einfach – wir müssen schnell sein, aber gleichzeitig sorgfältig, damit wir nichts übersehen“, erklärt Braz.
„Man hat das Gefühl, man arbeitet auf dem Mond“
Weiter erschwert werden die Arbeiten durch einen gewissen Grad an Bleiverschmutzung, den Umweltschützer rund ein Jahr nach dem Brand anprangerten. Die Behörden trafen daraufhin strikte Maßnahmen für die Baustelle: Arbeiter müssen durch eine spezielle Schleuse, sie tragen Schutzkleidung, an der ein Bleimessgerät hängt. Übersteigt das Bleimaß eine gewisse Schwelle, müssen die Handwerker zudem Atemmasken benutzen. Damit Luft zu holen ist so anstrengend, dass die Arbeiter alle zweieinhalb Stunden eine halbe Stunde Pause machen müssen. „Man hat das Gefühl, man arbeitet auf dem Mond!“ kommentiert Braz. „Es ist wirklich schwierig, in einen Arbeitsrhythmus zu kommen, wenn man immer wieder Pause machen muss.“
Dennoch neigt sich die erste Phase der Arbeiten an Notre-Dame inzwischen ihrem Ende zu. Das Gebäude sollte diesen Sommer komplett einsturzgesichert sein. Labore sind im Moment noch dabei, die gefallenen Steine zu analysieren, um zu entscheiden, welche davon wiederverwendet werden können und welche neu in Minen abgebaut werden müssen. „Es wird auch darum gehen, Steinadern auszuwählen, in denen man Material mit der gleichen Festigkeit und Porosität findet“, erklärt Braz.
Die öffentlichen Ausschreibungen für den Wiederaufbau gehen dieses Jahr raus. Für die nächste Phase müssen die Unternehmen sich allerdings neu bewerben. Gebraucht werden außer Steinmetzen und Maurern auch Zimmerer, Industriekletterer, Glasmaler, Gemälderestaurierer und Bildhauer. Das Verwaltungsorgan für den Wiederaufbau von Notre-Dame hat 833 Millionen Euro an internationalen Spenden gesammelt, um die Arbeiten zu finanzieren. Pierrenoel bereitet schon sein Dossier vor. Sowohl Texeira als auch Braz hoffen, dass sie auch weiterhin an diesem Jahrhundertprojekt werden mitarbeiten dürfen.