„Ihr Spritfresser ist tödlich“

Platte Reifen: Radikale Klimaaktivisten lassen die Luft aus SUV-Rädern

Ein Skoda steht mit platten Reifen in der Straße Holtkoppel in Langenhorn. Die Zahl der rund um den Hamburger Flughafen beschädigten Autos ist auf 219 gestiegen. 

Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten haben den SUV zum Feindbild erklärt. Die Tyre Extinguishers wollen die großen Fahrzeuge „entwaffnen“ (Symbolbild).

Hannover. In den Wohnvierteln der früheren Bundes­haupt­stadt Bonn herrscht Ärger. Gleich mehrere Nächte hintereinander haben sich Aktivistinnen und Aktivisten an den SUV von Anwohnerinnen und Anwohnern vergriffen und die Luft aus den Reifen der großen Geländewagen gelassen. Zurück­gelassen wurde jeweils ein Bekenner­schreiben an den Wind­schutz­scheiben der Fahrzeuge. Darin macht die Gruppe The Tyre Extinguishers (Die Reifenlöscher) unmissverständlich deutlich, was sie von den Fahrzeugen hält.

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„Achtung – Ihr Spritfresser ist tödlich“, steht in großen Buchstaben auf den ausgedruckten Zetteln. „Wir haben bei einem oder mehreren Ihrer Reifen die Luft abgelassen. Sie werden wütend sein, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto.“ SUV und Geländewagen seien eine „Katastrophe“ für das Klima – und nebenbei die „zweitgrößte Ursache für den weltweiten Anstieg der Kohlen­dioxid­emissionen in den letzten zehn Jahren“.

Weiter heißt es: „Bei Zusammen­stößen mit SUVs werden eher Menschen getötet als bei normalen Autos. Psychologische Studien zeigen, dass SUV-Fahrer im Straßenverkehr eher zu Risiken neigen. SUVs sind unnötig und reine Eitelkeit.“ All das kollidiere mit dem Klimanotstand, in dem sich die Welt befinde. Also habe man diese Maßnahme ergriffen. Auch vor Elektro­fahrzeugen machen die „Reifenlöscher“ keinen Halt. „Diese Fahrzeuge sind immer noch umweltschädlich, gefährlich und verursachen Verkehrsstaus“, heißt es in dem Schreiben.

Das sagen die Aktivistinnen und Aktivisten selbst

All das ist eine neue Form des Protests: Erstmals richten sich Aktionen gegen den Klimawandel und die Klimapolitik direkt gegen Privatpersonen – und deren Eigentum. Wo ist also die Grenze? Und ist diese Art von Aktivismus noch moralisch zu begründen?

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Die Aktivistinnen und Aktivisten von Tyre Extinguishers erklären sich schriftlich auf Anfrage des RND und schreiben, dass die Klima­proteste „im Allgemeinen“ nicht auf Privat­personen abzielen sollten. „Es gibt jedoch einen Punkt, an dem der Konsum eines Individuums so massiv ist, so ungeheuerlich, so unnötig, dass sie zur Zielscheibe werden. Wir glauben, die Besitzer von massiv spritfressenden Todes­maschinen fallen in diese Kategorie. SUV sind ‚Luxus-Emissionen‘ – völlig unnötige Emissionen der Reichsten der Welt.“

Das langfristige Ziel der Aktion sei nicht, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Man wolle es schlichtweg „unmöglich machen, einen riesigen umwelt­schädlichen 4 × 4 in den städtischen Gebieten der Welt zu besitzen.“ Darum lasse man die Luft aus den Reifen, damit niemand mehr damit herumfahren kann. All das geschehe, weil die Politik bei dem Thema „versagt“ habe. Vier mal vier ist eine Bezeichnung für den für SUV typischen Allradantrieb.

Mehrere Fälle in deutschen Städten

Anwohnerinnen und Anwohner sind von der Aktion erwartungs­gemäß wenig begeistert. Mehrere Anzeigen seien bei der Bonner Polizei eingegangen, berichtet der Bonner „Generalanzeiger“. In gleich mehreren Stadtteilen hätten die Tyre Extinguishers ihr Werk verrichtet, darunter in Beuel, Gronau, Limperich und in der Bonner Weststadt. Die Gruppe selbst spricht auf Twitter von insgesamt 25 SUV, die man in der Stadt „entwaffnet“ habe – gleichzeitig kündigt man weitere Aktionen an.

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Die Sabotage von Sport­gelände­wagen in Bonn ist eine der ersten Aktionen ihrer Art in Deutschland. Vereinzelte Fälle gab es zuletzt aber auch in Berlin, Dortmund und in Essen. Auch in Hannover ließen Aktivistinnen und Aktivisten die Luft aus den Reifen mehrerer SUV. Dort wurde ein Bekenner­schreiben jedoch mit „Anti-Fossile Aktion“ unterschrieben, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtet. Die „Schwäbische Zeitung“ berichtet derweil über Fälle in Ulm, bei denen sogar Schrauben unter Autoreifen gefunden worden seien. Die Bekenner­schreiben seien anonym gewesen.

Deutlich größer ist die Bewegung der Tyre Extinguishers in Großbritannien, wo sie bereits seit dem Frühjahr in mehreren Großstädten für Ärger sorgt – und seither Polizei und SUV-Besitzer auf Trab halten. Auf ihrer Website bezeichnen sich die Aktivistinnen und Aktivisten als „Menschen aus allen Gesellschafts­schichten“. Man lasse die Luft aus den Reifen der Autos, weil „Regierungen und Politiker es versäumt haben, uns vor diesen riesigen Fahrzeugen zu schützen“. Jeder hasse SUV –„abgesehen von den Leuten, die sie fahren“.

Twitter-Account sammelt „Entwaffnungen“

Einen Anführer der Gruppe gibt es nicht, man sei dezentral organisiert. Jeder könne mitmachen, ganz egal, wo man wohne. Man müsse nur die einfachen Anweisungen auf der Website befolgen. Dort wiederum gibt es nicht nur eine genaue Anleitung, wie man einen Autoreifen entleert – sondern auch eine Anleitung mit Bildern, was eigentlich ein SUV ist. Verschiedene größere Automodelle werden vorgestellt, etwa der Landrover Discovery sowie Modelle von Volvo, Jeep, Nissan und Toyota.

Auf einem Twitter-Account dokumentiert die Gruppe sämtliche „Entwaffnungen“ europaweit: Die letzten fanden demnach auf der Île de Ré (Südfrankreich), Brüssel und Den Hague statt. Geteilt werden gelegentlich auch Beschädigungen von Fahrzeugen. In Brüssel hatten Menschen offenbar mit einem Schlüssel „SUV Klimakiller“ in Autos geritzt. „Es wäre doch abscheulich, wenn andere Leute das auch tun würden. Abscheulich“, kommentiert die Gruppe süffisant.

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Wenn der Protest Privat­personen trifft

Die Protestform trifft einen Zeitgeist. Zuletzt hatten Klima­aktivistinnen und ‑aktivisten immer wieder mit Aktionen auch die normale Bevölkerung in die Verantwortung genommen – ganz anders als ihre vergleichsweise braven Vorgänger von Fridays for Future. Die Verantwortlichen der Letzten Generation sorgten zuletzt insbesondere im Raum Berlin für Ärger bei Autofahrerinnen und Autofahrern. Mehrfach wurden hier wichtige Verkehrsknoten blockiert, indem man sich auf den Asphalt legte oder klebte. Auf Videos im Netz ist zu sehen, wie wütende Verkehrs­teilnehmer aus ihren Fahrzeugen stürmen und die Protestierenden von den Straßen ziehen.

Zuletzt klebten sich Vertreterinnen und Vertreter der Gruppe auch an Kunstwerke in Museen – und störten damit den Kunstgenuss der Anwesenden. Fälle gab es zuletzt in Berlin, Frankfurt und Dresden. Museums­verantwortliche kritisierten die Aktion später: Die Gefahr, eines der historischen Kunstwerke nachhaltig zu beschädigen, sei groß. Beim Fußball-Bundesliga-Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem SC Freiburg im April rannten zwei Männer aufs Feld und banden sich am Torgestänge fest. Auf T‑Shirts trugen sie die Aufschrift: „Letzte Generation – stoppt den fossilen Wahnsinn“.

Und nun also der Protest gegen SUV. Die Aktionen der Tyre Extinguishers wirken wie eine logische Fortsetzung: Erst trifft es das Privatvergnügen, nun auch das Hab und Gut von Privatpersonen – im Auftrag des Klimaschutzes.

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Wenn Fridays for Future nicht mehr reicht

Christian Volk, Protestforscher an der Humboldt-Universität Berlin, glaubt, dass vielen Klima­aktivistinnen und ‑aktivisten der „gemäßigte Protest“, der einst von Fridays for Future geprägt worden war, nicht mehr reicht. Das habe nicht zuletzt mit der Corona-Pandemie zu tun, die den Demonstrationen auf den Straßen 2020 ein jähes Ende gesetzt hatte. „Die Bewegung sieht sich im Leerlauf, man kommt nicht voran und kann die Politik nicht so beeinflussen, wie man es sich vielleicht gewünscht hätte“, so Volk gegenüber dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Also greife man zu drastischeren Mitteln.

Die Proteste auf der Straße hätten zwar „Aufmerksamkeit generiert, aber aus Sicht einiger Aktivistinnen und Aktivisten keine tiefgreifenden Veränderungen angestoßen“, analysiert Volk. Die Klimakatastrophe jedoch rücke immer näher. „Viele Protestierende handeln aus der tiefen Überzeugung, ihr Leben so nicht weiterführen zu können.“ Die Beteiligten würden sich daher explizit Aktionen aussuchen, die deutlich machten, „dass man sich gegen den gesellschaftlichen, sozialen und politischen Gang der Dinge stellt.“

Mit einer Protestaktion gegen den SUV funktioniere all das ziemlich gut. Man erreiche Aufmerksamkeit bei mehreren Zielgruppen gleichermaßen: Den wütenden SUV-Fahrern, Medienvertreterinnen und ‑vertretern, die über das Thema berichten – und dadurch schließlich die breite Öffentlichkeit. „Ich glaube nicht, dass die Gruppe SUV-Fahrerinnen und ‑Fahrer bekehren will“, sagt Volk. Ihr gehe es vermutlich eher darum, das Thema auf den Tisch zu legen und deutlich zu machen, dass unverantwortliche Autos ein Baustein der Klimakrise seien.

Konsequenzen sind überschaubar

Die Protestform hat aber noch einen anderen Vorteil: Die Konsequenzen für das reine Luftablassen von Reifen sind überschaubar. Ganz anders, als wenn die Beteiligten in ein Autohaus einbrechen oder die Produktion eines Autokonzerns lahmlegen würden, sagt Volk. Bei der SUV-Sabotage befinden sich die Aktivistinnen und Aktivisten rein rechtlich in einer Grauzone – ganz ähnlich übrigens wie die Letzte Generation mit ihren Straßenblockaden.

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„Ob das Herauslassen der Luft aus einem PKW eine Sach­beschädigung darstellt, ist umstritten und kommt auf die konkreten Umstände an“, sagt der der Fachanwalt für Strafrecht Benjamin Grunst aus Berlin dem RND. „Die Rechtsprechung beschäftigt sich schon seit den Sechziger­jahren mit dieser Frage.“ Unterschieden werde nach aktueller Rechtssprechung des BGH danach, ob sich das Fahrzeug mühelos wieder funktionstauglich machen lasse. In den meisten Fällen sei das der Fall.

Werde dennoch eine Sach­beschädigung festgestellt, rechnet Grunst mit „niedrigen Geldstrafen“ für die Täterinnen und Täter. Anders sehe es aus, wenn durch das Luftablassen nachweisbare Schäden entstünden. „Dann könnten diese gegen die Schädiger geltend gemacht werden.“

Die Chance, Täterinnen und Täter zu schnappen, sei aber gering, weiß Grunst. „Wenn die Personen nicht vor Ort gefasst werden und keine Spuren wie Finger­abdrücke hinterlassen, wird die Verfolgung sich als äußerst schwierig darstellen.“ Allerdings glaubt Grunst, dass sich die Aufmerksamkeit der Polizei erhöhen könnte, sollten die Fälle zunehmen – dann könnten die Täterinnen und Täter auf frischer Tat ertappt werden.

Droht eine Radikalisierung?

Klar ist: Dieses Büßen von Privat­personen ist eine deutliche Verschärfung der Proteste. Was bedeutet das für ihre Zukunft? Und könnte sich die Bewegung langfristig radikalisieren?

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„Ich glaube schon, dass die Störung des öffentlichen Lebens durch die Aktivistinnen und Aktivisten zunehmen wird“, sagt Protest­forscher Christian Volk. Das Wort „radikal“ will er in diesem Zusammenhang aber nicht verwenden. Volk geht nicht davon aus, dass die Bewegung rote Linien überschreiten wird. Die direkte Gefährdung von Menschenleben etwa schließt der Protestforscher aus. „Das sehe ich in dieser Bewegung nicht.“

Die Anwendung von Gewalt allerdings werde innerhalb der Szene durchaus diskutiert. Dabei gehe es jedoch um Gewalt gegen Gegenstände. Dass irgendwann brennende SUV in den Straßen stehen, glaubt Volk aber nicht. Es habe seinen Grund, warum bei den Fahrzeugen nur die Luft heraus­gelassen und sie nicht ernsthaft beschädigt würden.

Das schreiben auch die Tyre Extinguishers. „Wir sind nicht dagegen, SUV zu zerkratzen, aber wir lassen die Luft aus den Reifen, weil es sie unfahrbar macht. Das ist beim Zerkratzen der Fahrzeuge nicht der Fall“, schreiben die Aktivistinnen und Aktivisten auf Anfrage.

Christian Volk erklärt: „Der Beweggrund der Gruppe ist nicht die Verletzung eines Statussymbols. Der Beweggrund ist klimapolitischer Natur und fokussiert auf SUV als klimaschädliche Objekte.“ Das Luftablassen sei „eine völlig andere Symbolsprache“.

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