Prozess gegen ehemalige KZ-Sekretärin

„Es war die Hölle“: KZ-Überlebende berichtet von Kannibalismus in Stutthof

Die Angeklagte Irmgard F. wird zu Beginn des Prozesstages in den Gerichtssaal gebracht.

Die Angeklagte Irmgard F. wird zu Beginn des Prozesstages in den Gerichtssaal gebracht.

Itzehoe. Im Prozess gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin vor dem Landgericht Itzehoe hat eine Überlebende von der Unmenschlichkeit im Lager Stutthof bei Danzig berichtet. „Stutthof war die Hölle“, sagte die 93 Jahre alte Risa Silbert am Dienstag über eine Videoverbindung an ihrem Wohnort in Australien. Es habe Kannibalismus im Lager gegeben, weil die Menschen hungrig gewesen seien, sagte die Zeugin und Nebenklägerin nach den Worten einer Dolmetscherin. „Das war jeden Tag“, fügte Silbert hinzu. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters Dominik Groß sowie des Nebenklagevertreters Günter Feld bekräftigte die Überlebende ihre Schilderung.

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Sie habe sich 1944 als 15-Jährige zusammen mit ihrer älteren Schwester unter Leichen vor den SS-Aufseherinnen versteckt, erklärte die Zeugin. Wegen einer Typhus-Epidemie hätten überall Tote herumgelegen. Die russischen Kriegsgefangenen, die die Leichen einsammeln mussten, hätten sie und ihre Schwester gesehen und in Ruhe gelassen.

Angeklagt in dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe ist die 97 Jahre alte Irmgard F.. Sie soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers gearbeitet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, durch ihre Schreibarbeit Beihilfe zum systematischen Mord an mehr als 11 000 Gefangenen geleistet zu haben.

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„Wir wurden nur ‚Schweinehunde‘ genannt“

Risa Silbert, 1929 in Memel (Klaipeda) geboren, wuchs in einer jüdischen Familie auf. Ihr Vater und ihr Bruder seien 1941 von Kollaborateuren der Deutschen in Kaunas ermordet, sagte sie. Zusammen mit ihrer Mutter und Schwester sei sie in ein Ghetto gekommen. Im August 1944 sei sie von Estland aus nach Stutthof gebracht worden.

Jeden Morgen hätten die Gefangenen um 4.00 oder 5.00 Uhr zum Appell antreten müssen. Wer dabei nicht stillstand, sei von den SS-Aufseherinnen mit der Peitsche geschlagen worden. „Keine von uns wurde mit dem Namen angeredet. Wir wurden nur „Schweinehunde“ genannt“, sagte Silbert. Jeden Tag seien Menschen weggebracht worden und man habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Am 25. Januar 1945 sei ihre Mutter an Typhus gestorben. Mitte April 1945 hätten die Gefangenen nach Danzig marschieren müssen, von da aus seien sie mit Lastkähnen über die Ostsee nach Holstein gebracht worden. In Neustadt seien sie am 3. Mai von britischen Soldaten befreit worden. Von den Schlägen im Lager habe sie bis heute Narben zurückbehalten.

Auf die Frage ihres Anwalts Christoph Rückel, ob sie der Angeklagten etwas sagen wolle, erklärte Silbert, dass diese sich schuldig bekennen sollte. „Wenn sie als Sekretärin des Kommandanten gearbeitet hat, dann wusste sie ganz genau, was passiert ist.“

Appell an Angeklagte

Rückels Kollege Stefan Lode verlas im Anschluss eine Erklärung, in der er im Namen auch der anderen Nebenkläger die Angeklagte aufforderte, ihr Schweigen zu brechen. Sie habe für den KZ-Kommandanten Paul Werner Hoppe gearbeitet und sei eine Zeitzeugin. Daraus erwachse eine Verantwortung. Alle im Gerichtssaal seien sich einig, dass sich die Verbrechen von Stutthof nicht wiederholen dürften. „Schweigen wird der Sache nicht gerecht“, erklärte Lode. Nebenklagevertreter Onur Özata appellierte an die Angeklagte: „Offenbaren Sie sich! Tun Sie Ihren Dienst an der Menschheit, solange Sie noch leben!“

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Verteidiger Wolf Molkentin sagte, aus Respekt vor der gerade gehörten Zeugin wolle er sich einer Stellungnahme enthalten. Vielleicht werde er sich zu einem späteren Zeitpunkt dazu äußern. Der Angeklagten selbst war keine Regung anzusehen.

RND/dpa

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