Senioren-Dachverband: „Ältere Menschen werden faktisch ausgeschlossen“
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Senioren beklagen Altersdiskriminierung in vielen Bereichen.
© Quelle: Bernd Wüstneck/dpa
Frau Görner, eine ganz generelle Frage zuerst: Gibt es aus Ihrer Sicht Altersdiskriminierung in Deutschland?
Ja, sicher gibt es Altersdiskriminierung, und zwar in sehr unterschiedlichen Formen. Es gibt eine direkte Form, dass also Gesetze oder Verfahrensvorschriften ältere Menschen ausschließen von bestimmten Dingen, die sie gerne noch machen würden. Ich persönlich zum Beispiel würde gerne noch als Schöffin bei Gericht tätig sein. Doch ich bin jetzt 72, und über 70-Jährige werden da nicht mehr zugelassen. Dabei sollen Schöffen Lebenserfahrung mitbringen, und über die verfügen ältere Menschen ja gerade. Ein anderes Thema sind Versicherungsbeiträge, die ab einem bestimmten Alter steigen. Die indirekten Formen der Altersdiskriminierung sind jedoch viel wichtiger geworden. Dahinter stecken Altersbilder, die mit der Wirklichkeit sehr wenig zu tun haben.
Woran denken Sie da?
Es heißt zum Beispiel: „Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr.“ Das ist natürlich Unsinn, führt aber dazu, dass Qualifizierung für ältere Menschen gar nicht vorgesehen wird. Wenn man nicht (mehr) arbeitet, fällt man komplett durchs Bildungsnetz. Ältere können enorm profitieren, wenn sie mit digitalen Geräten gut umgehen können. Das muss man allerdings lernen, und dafür gibt es zu wenig Angebote. Tatsächlich wird in immer mehr Alltagsfällen Internetzugang verlangt, zum Beispiel für das 49-Euro-Ticket. Dazu bekomme ich gerade sehr viele Mails und Briefe. Es gibt unendlich viele weitere Beispiele, bei denen ältere Menschen faktisch ausgeschlossen werden.
Nimmt Altersdiskriminierung demnach zu?
Es sind jedenfalls immer mehr Menschen betroffen. In der Corona-Pandemie hieß es oft: Wendet euch mit Fragen und Problemen ans Rathaus. Und dann stellten viele Leute fest, dass das nur übers Internet ging. So ein Widersinn prägt ihren Alltag.
Wie sollte die Qualifizierung aussehen?
Für manche sind Volkshochschulkurse richtig, andere erreicht man da gar nicht. Die muss man dann da abholen, wo sie sind – zum Beispiel vor den Fernsehgeräten. Viele Ältere haben einen hohen Fernsehkonsum, aber in unseren Programmen gibt es für diese Gruppe keine Sendungen, die Grundkenntnisse der Digitalisierung vermitteln. Dabei gibt es erfolgreiche Beispiele, zum Beispiel den „7. Sinn“, mit dem früher die Bevölkerung über Verkehrssicherheit aufgeklärt wurde. So etwas lehnen die Rundfunkanstalten bisher ab. Damit wird eine große Chance verspielt.
Viele Ältere haben einen hohen Fernsehkonsum, aber in unseren Programmen gibt es für diese Gruppe keine Sendungen, die Grundkenntnisse der Digitalisierung vermitteln.
Wie drängend ist das?
Sehr drängend. Ältere Menschen wollen und müssen ihre Grundsteuerklärung machen. Sie müssen ihre Bankgeschäfte regeln oder wollen ein Bahnticket kaufen. All das funktioniert ohne digitale Grundkenntnisse nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten. Wir müssen deshalb grundsätzlich etwas ändern. Viele Leute werden mittlerweile regelrecht zornig, weil sie gezwungen werden, ohne Qualifizierung digitale Verfahren zu nutzen, obwohl es um ihre Rechte geht.
Sind Sie auch wie die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, der Meinung, dass eine Grundgesetzänderung hermuss?
Wir fordern, dass das Verbot der Altersdiskriminierung ins Grundgesetz aufgenommen wird. Denn schon die Benennung von Problemen im Grundgesetz löst eine Wirkung aus. Wenn Menschen wissen, dass sie einen Anspruch auf etwas haben, dann fordern sie das auch ein.
Nicht wenige Jüngere finden, dass aufgrund des immer größeren Anteils der Älteren an der Gesamtbevölkerung eigentlich sie selbst diskriminiert werden. Was sagen Sie denen?
Das nehme ich anders wahr. Viele ältere Menschen interessieren sich nicht in erster Linie für die eigene Rente. Sie sorgen sich vielmehr darum, wie die Zukunftsperspektiven der jungen Leute, ihrer Enkel, aussehen. Denen wollen sie eine lebenswerte Gesellschaft hinterlassen.