Amazon des Verbrechens: Wie die italienische Mafia von 750 EU-Milliarden Corona-Hilfe profitieren will
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Ein ausgebranntes Auto in Accano Allo Ionio, Kalabrien, im Jahr 2014. Damals soll es in dem Ort zum Streit rivalisierender ’Ndrangheta-Mafia-Banden gekommen sein. Für 2021 schwebt der italienischen Mafia ein sehr viel einträglicheres und unauffälligeres Verbrechen vor.
© Quelle: Francesco Arena/ANSA/EPA/dpa
Das Treffen fand im vorigen September statt, hinter verschlossenen Türen in einem Hotel in Rom.
Hochrangige Polizeibeamte aus ganz Europa hatten sich die italienische Hauptstadt ausgesucht als Ort einer Fachtagung, bei der – auf diskrete Art – auch viel über Italien selbst geredet wurde.
Das Thema: Wie kann man vermeiden, dass die 750 Milliarden Euro, die die EU von diesem Sommer an im Rahmen des europäischen Wiederaufbauprogramms ausgeben will, in den Taschen von Kriminellen landen?
Europol-Chefin Catherine De Bolle, aus Den Haag angereist, hatte schlechte Nachrichten mitgebracht. Die Mafia, berichtete die Belgierin, habe den Geldsack der EU bereits fest im Blick. Es liefen bereits diverse vorbereitende Aktivitäten mit dem Ziel, Mafiafirmen vom Sommer 2021 an in großem Stil europäisch finanzierte öffentliche Aufträge zuzuschustern.
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Catherine De Bolle ist seit dem Jahr 2018 Chefin von Europol in Den Haag.
© Quelle: Europol
Heute weiß man: Die Gefahr wurde beim damaligen Treffen in Rom zwar erkannt – aber nicht gebannt.
Die Banden haben seither unter anderem den Erwerb von Firmen im legalen Sektor vorangetrieben, etwa im Bauwesen und in der Logistik. Fahnder sprechen von einer gewachsenen „Infiltration“ quer durch die Branchen, begünstigt durch den Geldmangel anderer Investoren in der Pandemie.
Die Brisanz der offenen Fragen ist seither noch größer geworden.
Wer regiert eigentlich Italien?
Italien rechnet als einer der am schwersten von der Pandemie betroffenen EU-Staaten mit Zuschüssen und Krediten von zusammen 209 Milliarden Euro. Plötzlich werden für die Regierenden in Rom Projekte planbar, von Brückenbauten bis zu Hightechinvestitionen, die lange undenkbar erschienen. Italienische Planer lassen in Gedanken schon neue Hochgeschwindigkeitszüge durch ihr Land rauschen, auch ein Brückenbau zwischen dem Festland und Sizilien, seit Jahrzehnten umstritten, wird diskutiert.
Wer aber regiert eigentlich in Rom? In diesen Tagen lotet der frühere EZB-Präsident Mario Draghi aus, mit welcher Mehrheit er vielleicht Ministerpräsident werden könnte. Was aber, wenn Italiens Regierungskrisen sich am Ende wieder in einer Endlosschleife verlieren?
Manche beflügelt zwar die Aussicht, der international anerkannte Draghi könne es schaffen, eine ebenfalls international anerkannte Expertenriege zusammenzutrommeln, die dann – mit dem EU-Geld im Rücken – eine positive Wende in Italien hinbekommt, ökonomisch und psychologisch. Andere aber spekulieren auf Baisse: Draghi sei allzu elitär, er werde gewiss Fehler machen – und könne dann von einem Rechtsbündnis hinweggefegt werden, das seinerseits auch zur Mafia in Kontakt steht: eine Horrorvision.
Die Mafia geht unterdessen ihre ganz eigenen Wege. Sie stellt sich derzeit nach Erkenntnissen aus europäischen Sicherheitskreisen schon mal neu auf: als Ordnungsmacht, die zumindest das Organisatorische gut in den Griff bekommt.
In Rom braut sich etwas zusammen
IT-Spezialisten von ‘Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra sollen sogar schon mit Computerprogrammen hantieren, die am Ende nicht nur einen einzigen Betrug bewirken würden, sondern einen dauerhaften, strukturellen: Die Bosse der Banden wünschen sich eine Durchleitung von Hilfsersuchen und Hilfszahlungen über Portale, die von ihnen selbst gesteuert werden. Die Mafia soll auf diese Art zu einer Art Amazon des Verbrechens werden: Wer auch immer irgendetwas will, müsste mit ihr in Kontakt treten – und ihr etwas abgeben.
Italienische Medien zitierten im Januar aus einem 96 Seiten langen Bericht des Innenministeriums, wonach Corona zum Komplizen der Mafia geworden ist. Die römische Restaurantszene etwa, in der die Umsätze eingebrochen sind und die Wut auf die Regierenden gewachsen ist, sei für Vertreter der Mafia jetzt viel offener als vor der Pandemie. Die „Infiltration“ nehme zu, quer durch die Branchen. „Niemand ist dagegen immun“, warnt Roms Polizeipräfekt Vittorio Rizzi.
Erpressung und Raub gelten in Mafiakreisen inzwischen als Ausdruck alten Denkens. Der Trend gehe in Richtung Subventionsbetrug, sagen Fahnder. Das bringe erstens mehr ein und sei zweitens weniger riskant.
In Deutschland wird die Sache derzeit offiziell nicht zum Thema gemacht. Kanzlerin Angela Merkel, die lange auf den inzwischen zurückgetretenen Giuseppe Conte gesetzt hat, übt sich einstweilen in stillem Hoffen und Harren – und wünscht Draghi alles Gute. Doch auch Optimisten glauben nicht, dass der frühere EZB-Chef sein Land kurzfristig wundersam in einen einigermaßen korruptionsfreien Zustand versetzen könnte.
Risiko einer historischen Blamage Europas
Eine im Frühjahr drohende Mafiadebatte in Deutschland aber könnte nach den Aufwallungen rund ums „Impfdesaster“ dem gesamten Europagedanken einen zweiten Stoß versetzen. Die Neigung der Deutschen wird gering sein, in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten im eigenen Land EU-Programme mitzufinanzieren, deren Nutznießer am Ende zumindest teilweise Kriminelle sein könnten.
In Berlin fürchten einige Abgeordnete bereits das Risiko einer historischen Blamage Europas. Öffentlich aber halten die meisten, vor allem die aus dem Regierungslager, bislang den Ball flach.
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Einer, der sich gerade große Sorgen macht um Europa: Konstantin Kuhle, Jurist und innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
© Quelle: Thomas Koehler/photothek.net
Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, früherer Juli-Chef und ein großer Freund der EU, wagte indessen schon einmal einen Vorstoß: „Europäische und nationale Behörden müssen frühzeitig Informationen zur Verhinderung von Missbrauch austauschen“, mahnte Kuhle im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Eine Schlüsselrolle hätten jetzt Europol und die neu geschaffene Europäische Staatsanwaltschaft.
Tatsächlich hat die EU in letzter Zeit einiges nachgerüstet. Schon seit Jahren leistet eine Dienststelle namens Olaf Beiträge dazu, Korruptionsfälle aufzudecken. Eine bessere Verbindung zwischen Europol und den Staatsanwälten verspricht eine Ende Januar veröffentlichte Vereinbarung mit EPPO, dem European Public Prosecutor’s Office. Innerhalb von Europol wiederum gibt es neuerdings ein European Financial and Economic Crime Center (EFECC).
Besorgnisse jenseits der Buchstabensuppe
Doch das Erfinden immer neuer Bestandteile für die Brüsseler Buchstabensuppe ist leichter als die tatsächliche Polizeiarbeit. Das Problem von Europol liegt seit Jahrzehnten darin, dass die 1300 Mitarbeiter keine eigenen und unmittelbaren Eingriffs- und Zugriffsrechte auf dem Territorium der EU-Staaten haben.
„Diese Institutionen müssen schnellstmöglich scharfgeschaltet werden“, sagt jetzt der Jurist Kuhle – und liegt damit auf der Linie von Europol-Chefin De Bolle.
Europol, sagt Kuhle, müsse dringend zu einem europäischen Kriminalamt aufgewertet werden. Zu dem Thema hat er schon in den letzten beiden Jahren Reden im Bundestag gehalten und Initiativen eingebracht. Europas oberste Polizeibehörde brauche eine eigene Schlagkraft, nicht nur eine Koordinierungsfunktion. Anders als bisher müsse Europol zum Beispiel den Missbrauch von EU-Subventionen selbst untersuchen und verfolgen können.
In der CDU gibt es mit dem NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet jemanden, der es seit Langem ähnlich sieht. Weil Laschet neuerdings auch Bundesvorsitzender der CDU ist, hoben in Fachkreisen viele die Augenbrauen, als er am 11. Januar die Europol-Chefin De Bolle in einer von seiner Landesregierung veranstalteten Onlinekonferenz über Sicherheitsfragen sprechen ließ.
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Man müsse „Sicherheit europäischer und digitaler denken“, gab Laschet zu Protokoll. In die gleiche Richtung ging ein Vorstoß des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD), der schon letztes Jahr im „Handelsblatt“ für „ein europäisches FBI“ warb.
Quer durch die Parteien scheint mit Blick auf Europol gerade die Einsicht zu wachsen, dass man ähnlich wie bei der Corona-Krise bestimmte Dinge längst hätte regeln sollen.