Angst vor Putins Giftgas: Was sind Bio- und Chemiewaffen?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FNQ3FXF2VBEQRF4GT6L2YDMQGA.jpg)
Der russische Präsident Wladimir Putin.
© Quelle: imago images/SNA
Hannover. Kurz nach einer russischen Drohung mit dem Einsatz von Chemiewaffen in Mariupol hat das ukrainische Asow-Regiment von einem angeblichen Angriff mit Giftgas berichtet. Eine unbekannte Substanz sei mit einer Drohne über der seit langem umkämpften Stadt abgeworfen worden, teilte Asow am Montagabend in seinem Telegram-Kanal mit. Eine unabhängige Bestätigung gab es zunächst nicht.
+++ Alle Entwicklungen im Liveblog +++
Der Kreml hatte der Ukraine zuletzt vorgeworfen, geheime Biowaffenlabors mit Unterstützung der USA zu betreiben. Die Vereinigten Staaten sehen die russischen Behauptungen allerdings als „Propaganda“ und als einen Vorwand, selbst Massenvernichtungswaffen im Ukraine-Krieg einzusetzen.
Was sind Chemiewaffen?
Chemische Waffen gehören zu den sogenannten Massenvernichtungsmitteln, genau wie nukleare, biologische und radiologische Kampfstoffe. Seit der Verabschiedung des Chemiewaffenübereinkommens, das 1997 in Kraft trat, sind die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und der Einsatz solcher Waffen verboten. Ihr Einsatz ist ein Kriegsverbrechen. Auch Russland hat diese Vereinbarung ratifiziert. „Chemiewaffen fordern als Massenvernichtungsmittel viele Tote und Verwundete, sind aber relativ billig in der Herstellung“, heißt es auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Daher galten sie lange Zeit als „Atombombe des kleinen Mannes“. Chemiewaffen wurden erstmals während des Ersten Weltkriegs entwickelt.
Was ist der Unterschied zwischen Biowaffen und Chemiewaffen?
Die Vereinten Nationen (UN) definieren biologische Waffen als „alle gezielt eingesetzten, (…) infektiösen Stoffe, die Krankheiten oder Tod bei Mensch, Tier oder Pflanzen verursachen“. Im Unterschied zu den chemischen Waffen werden dabei Viren oder Bakterien als Waffe benutzt. Den Angaben der bpb zufolge gibt es davon momentan ungefähr 200. Zu den gefährlichsten Erregern zählen demnach unter anderem Pocken, Pest und Milzbrand. Das Gelbfiebervirus und Tuberkulosebakterien werden hingegen als weniger gefährlich eingestuft, sie lassen sich relativ leicht behandeln.
Hat Russland bereits Chemiewaffen eingesetzt?
Eine vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte Unabhängige Internationale Untersuchungskommission kam zum Ergebnis, dass es zwischen 2013 und Ende 2017 mehr als 30 Chemiewaffenangriffe gegeben habe. Mindestens 25 sollen auf die Armee Syriens zurückgehen, die von Russland unterstützt wird. Der Kreml hat eine Beteiligung immer abgestritten. Dem „Guardian“ sagte Charles Lister vom Middle East Institute in Washington, dass Putin gelernt habe, chemische Waffe so einzusetzen, dass man ihn nicht belangen könne.
Die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Jen Psaki, schrieb auf Twitter, Russland habe eine „lange und gut dokumentierte Erfolgsbilanz beim Einsatz chemischer Waffen“.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Twitter, Inc., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Zuletzt kamen vor allem in Russland solche Chemiewaffen im Kampf gegen politische Gegner zum Einsatz. Im März 2018 ereignete sich ein mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok ausgeführter Anschlag auf den ehemaligen Spion Sergej Skripal. Zwei Jahre später kam es zum Versuch, den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ebenfalls mit Nowitschok zu ermorden.
Warum sind Chemiewaffen so gefährlich?
Die chemischen Kampfstoffe, aus denen Chemiewaffen neben einem Trägersystem (Minen, Granaten, Bomben oder Raketensprengköpfe) bestehen, entfalten eine erstickende, lähmende oder giftige Wirkung. Die bpb zählt Haut-, Lungen-, Nerven- und blutschädigende Gifte auf. Die ersten Chemiewaffen bestanden beispielsweise aus Chlor oder Phosgen. Diese giftigen Gase waren aus der chemischen Industrie schon bekannt. Erst später entwickelte man synthetische Kampfstoffe extra für die militärische Kriegsführung.
Ein Maß dafür, wie giftig eine chemische Waffe für den Menschen ist, gibt es indes nicht. Denn jeder Mensch reagiert anders auf Giftstoffe. Weil der Kampfstoff von chemischen Waffen nach dem Einsatz schnell vom Wind verweht wird, spielt es eine entscheidende Rolle, wie lange eine Person dem Gift ausgesetzt ist. In der Regel gelangen die Giftstoffe über die Haut oder den Mund in den Körper.
In der Praxis zeigt sich laut der bpb, „dass sich der meiste Kampfstoff auf Bäumen, Dächern und Wiesen niederschlägt“. Deshalb könne ein Angriff im Grunde nur dann sein Ziel erreichen, wenn etliche Tonnen Kampfstoff gleichzeitig zum Einsatz gebracht werden. Außerdem berge jeder Einsatz auch Risiken für die eigenen Truppen, wenn sich zum Beispiel der Wind drehe.
Nahe Kiew: Ukrainische Soldaten auf dem Weg ins Gefecht
Journalisten haben eine Einheit in der Nähe von Kiew begleitet und wurden dabei in ein Feuergefecht verwickelt.
© Quelle: Reuters
Wer besitzt Bio- und Chemiewaffen?
Laut der Arms Control Association, einer unabhängigen Organisation zur Rüstungskontrolle in Washington, besitzt Russland das größte Chemiewaffenarsenal der Welt: rund 40.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, darunter VX, Sarin, Soman, Senfgas, Lewisit, Senfgas-Lewisit-Gemische und Phosgen. Außerdem verfügt unter anderem der Sudan aufgrund eines ehemaligen Biowaffenprogramms möglicherweise über Restbestände chemischer Kampfstoffe.
Seit wann gibt es Chemiewaffen?
Die ersten Chemiewaffen sind nach ihrer Entwicklung noch während des Ersten Weltkriegs zum Einsatz gekommen. Aber auch im Zweiten Weltkrieg, im Vietnam-Krieg und im Ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) wurden chemische Kampfstoffe eingesetzt. Da die Kampfstoffe im Ersten Weltkrieg noch in Form von Gas verbreitet wurden, entstand auch die Bezeichnung „Giftgas“. Laut bpb verflüchtigt sich Gas aber sehr schnell, weshalb das Militär später den Kampfstoff als Aerosol einsetzte.