Die dunklen Stunden von Brasilia
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Eine Woche nach dem Ende der Amtszeit Bolsonaros hatten radikale Anhänger des rechten Ex‑Militärs am Sonntag das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasilia gestürmt.
© Quelle: IMAGO/Fotoarena
Über dem Regierungsviertel kreist unablässig der Hubschrauber, während aufgeputschte euphorisierte Anhänger des abgewählten rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro die Gitter niederreißen und ihren Angriff auf die Demokratie und die staatlichen Institutionen beginnen.
Im Rest des Landes schauen die Menschen gebannt auf die TV‑Bildschirme und können nicht glauben, was sie da sehen. Das Vorgehen wirkt koordiniert und zielgerichtet. Innerhalb weniger Minuten dringen Mitglieder des rechtsextremen Flügels des Bolsonaro-Lagers in den Kongress, den Präsidentenpalast und den Obersten Gerichtshof ein. Schnell sprechen die führenden Medien des Landes von „terroristischen Aktionen“, von einem antidemokratischen Putschversuch.
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Bolsonaro-Anhänger fordern Absetzung von Lula
Viel zu wenige und zu schlecht ausgestattete Polizisten stellen sich den Angreifern entgegen. Sie versuchen, mit Tränengas die Attacke abzuwehren, andere Polizisten sind im Gespräch mit den Bolsonaristas, filmen lachend das Geschehen. Die Hauptforderung der Angreifer: Der linksgerichtete Wahlsieger Lula da Silva (77), erst vor sieben im Amt Tagen vereidigt, müsse aus dem Amt entfernt werden. Sie sind davon überzeugt, dass Bolsonaro die Wahl gewonnen hat.
An der Berechtigung des knappen Wahlsieges des Linkspolitikers, der das Land schon einmal von 2003 bis 2011 regierte, gibt es allerdings keine Zweifel. Stichhaltige Beweise, dass das Wahlergebnis manipuliert ist, gibt es nicht.
Sturm auf Kongress: Bolsonaro-Anhänger dringen in Regierungsgebäude in Brasilia ein
Tausende Demonstrierende hatten das Parlament und andere Regierungsgebäude zeitweise besetzt und verwüstet.
© Quelle: Reuters
Scharfe Kritik aus Deutschland
Die Bilder aus Brasilia erinnern frappierend an die Szenen vom 6. Januar 2021, als Anhänger von Donald Trump in Washington den Kongress stürmten und Jagd auf Polizisten machten. Deswegen zeigt sich auch das politische Berlin erschüttert: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte die Geschehnisse sofort: „Was in Brasilia passierte, war ein feiger und gewalttätiger Angriff auf die Demokratie.“
Der für Lateinamerika zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer kommentierte: „Die Ereignisse in Brasilia schockieren und wecken schlimmste Erinnerungen an den Sturm auf das Kapitol in Washington, D. C., vor genau zwei Jahren.“ Der Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Andrej Hunko sagte: „Der Bolsonarismus hat der ganzen Welt sein hässliches, antidemokratisches und damit faschistisches Gesicht gezeigt.“
„Versuch eines Staatsstreiches“
Brasiliens Präsident Lula, der zunächst nicht in Brasilia weilte, eilte an den Ort des Geschehens und versprach, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es gelte, jene ausfindig zu machen, die die koordinierten Reisen der rund 4000 Bolsonaro-Anhänger nach Brasilia finanziert hätten. Er hatte per Dekret das Eingreifen der Bundesbehörden angeordnet. Es dauerte einige Stunden, bis die Sicherheitskräfte die Kontrolle über das Regierungsviertel in Brasilia zurückerlangte.
Ins Visier der Ermittler gerät zunächst der Sicherheitsminister des Bundesdistrikts Brasilia, der sofort entlassen wurde und als enger Vertrauter von Bolsonaro galt. Der Oberste Gerichtshof suspendierte obendrein den Gouverneur von Brasilia, der für den Einsatz der Polizeikräfte an diesem Tag verantwortlich war. Am Montag veröffentlichten die drei betroffenen Gewalten eine gemeinsame Erklärung zu den Vorfällen in Brasilia und verurteilten die Aktionen als kriminelle Akte des Terrorismus, und Vandalismus. Es handele sich um den Versuch eines Staatsstreiches.
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Luiz Inacio Lula da Silva, Präsident von Brasilien, macht sich im Planalto-Palast ein Bild von der Lage, nachdem dieser von Anhängern des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro gestürmt wurde.
© Quelle: Eraldo Peres/AP/dpa
Welche Rolle spielt die Polizei?
Schwer einzuschätzen ist auf den ersten Blick die Rolle der Polizei. Einerseits ging die Militärpolizei in Brasilia mit Tränengas gegen die Randalierer vor, andererseits gab es Videos, die zeigten, wie Polizisten teilnahmslos den Angriff der Bolsonaro-Anhänger geschehen ließen oder freundlich mit den Angreifern sprachen. Zudem gab es Berichte über gewalttätige Attacken von Bolsonaro-Anhängern auf Journalisten, die versuchten, die Angriffe auf die Institutionen zu dokumentieren, also wichtiges Beweismaterial für eine juristische Aufarbeitung zu sichern. Einige Polizisten kamen betroffenen Journalisten zu Hilfe.
Dass die staatlichen Institutionen derart leicht zu erstürmen waren, dürfte noch eine breite politische Debatte nach sich ziehen und auch die neue Regierung vor eine Herausforderung stellen.