Bundestag debattiert nach Antiterroreinsatz gegen „Reichsbürger“
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Sebastian Hartmann (SPD) spricht im Bundestag in der aktuellen Stunde zur Bedrohung durch Netzwerke von „Reichsbürgern“ und Rechtsextremisten.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Wäre die Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag an diesem Mittwoch ein Wettbewerb im Brüllen – die AfD-Fraktion hätte ihn schon in den ersten Minuten gewonnen. Gleich beim ersten Redebeitrag fährt der AfD-Abgeordnete Bernd Baumann aus der Haut. Unterstützt von Fraktionskollegen pöbelt er von seinem Sitz lauthals in Richtung des Rednerpults. Dort hat der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, gerade den Tagesordnungspunkt eröffnet, bei dem es um den bundesweiten Antiterroreinsatz gegen eine „Reichsbürger“-Gruppe in der vergangenen Woche geht.
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„Dieser Rechtsstaat, er ist wehrhaft“, sagt Hartmann. „Er lässt sich von Nazis – alten und neuen – und auch den Milieus der AfD und der „Reichsbürger“-Szene nicht auf der Nase herumtanzen.“
„Schämen Sie sich“, erwidert Hartmann Bernd Baumann, als der ihn unterbricht. „Ihre AfD-Kollegin gehört zu den Festgenommenen“ ruft er. Auf Birgit Malsack-Winkemann kommen die Redner mehrerer Fraktionen in dieser Aktuellen Stunde immer wieder zu sprechen. Die AfD-Politikerin saß bis 2021 als Abgeordnete im Bundestag. In der vergangenen Woche wurde sie als eine der mutmaßlichen Rädelsführerinnen der Gruppe festgenommen, der die Bundesanwaltschaft terroristische Bestrebungen vorwirft. „Dort sitzen die Verharmloser rechtsradikalen Terrors“, sagt SPD-Politiker Hartmann mit Blick auf die AfD-Fraktion.
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Anwalt aus Hannover bei „Reichsbürger“-Razzia festgenommen: Wer ist Tim Paul G.?
Bei der „Reichsbürger“-Razzia am 7. Dezember geriet auch der Anwalt Tim Paul G. aus Hannover ins Visier der Fahnder. Wer ist dieser Mann, der sich mutmaßlich an einem gewaltsamen Umsturz beteiligen wollte und nach dem Putsch Außenminister werden sollte? Eine Spurensuche in Hannover.
Zwischen zaghafter Abgrenzung und Verharmlosung
Deren innenpolitischer Sprecher, Gottfried Curio, versucht sich einige Minuten später in einer Mischung aus Abgrenzung und Verharmlosung. Zwar sei es gut, wenn Gruppen, die die staatliche Ordnung der Bundesrepublik mit Gewalttaten angreifen wollen, entwaffnet und festgesetzt würden, sagt er. Sodann weist er aber darauf hin, dass die Festgenommenen Lichtjahre von der Umsetzung eines Putsches entfernt gewesen seien. Neben „etwa beabsichtigten Straf- und Gewalttaten“ habe keine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands bestanden. Die Razzien und Festnahmen stellt Curio – weil einige Journalistinnen und Journalisten schon frühzeitig über sie Bescheid wussten – als Inszenierung dar, er spricht von einem „Fake-Staatsstreich“.
Bereits in den Tagen davor hatten mehrere AfD-Politikerinnen und Politiker versucht, die Gefahr, die von den Festgenommenen offenbar ausging, herunterzuspielen. AfD-Chefin Alice Weidel sprach etwa von einem „Rollator-Putsch“.
Nach der Rede des AfD-Mannes Gottfried Curio tritt Bundesjustizminister Marko Buschmann (FDP) ans Rednerpult. Die festgenommenen Reichsbürger hätten in ihren Plänen mindestens billigend in Kauf genommen, dass Polizisten getötet werden, die sich ihnen in den Weg stellen, erklärt Buschmann. „Ich will Ihnen mal berichten, welcher Gefahr sich unsere Polizistinnen und Polizisten aussetzen, wenn sie gegen radikalisierte „Reichsbürger“ vorgehen, die Zugang zu Waffen haben“, sagt der Minister. Buschmann erinnert an den Einsatz eines Sondereinsatzkommandos gegen den „Reichsbürger“ Wolfgang P. im bayerischen Georgensgmünd im Jahr 2016. Als die Polizisten dessen Waffen beschlagnahmen wollten, schoss P. durch eine geschlossene Tür auf sie und tötete einen Beamten.
Faeser will Waffenrecht verschärfen - Beuth auch
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ergreift in der Aktuellen Stunde das Wort und bekräftigt ihr Vorhaben einer Verschärfung des Waffenrechts. Eine ähnliche Forderung erhebt auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), der als Mitglied des Bundesrats spricht. Außer Ankündigungen Faesers habe sich seitens der Bundesregierung nichts getan kritisiert Beuth. Im kommenden Jahr wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt – es wird seit längerem darüber spekuliert, Faeser konnte als SPD-Spitzenkandidatin gegen Beuth antreten.
Buschmann zur AfD: „Dafür sollten Sie sich schämen“
Wer die Razzia gegen die „Reichsbürger“-Szene ins Lächerliche zieht, versuche, diese Gefahr kleinzureden, kritisiert Justizminister Marco Buschmann die AfD.
© Quelle: Reuters
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) nutzt ihre Rede vor allem, um das am Mittwoch vom Bundeskabinett auf den Weg gebrachte neue Demokratiefördergesetz zu loben. Abgeordnete von Grünen und SPD werfen der Union in der Debatte unterdessen vor, ihr Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz habe fünf Tage zu den neuen Erkenntnissen über die Reichsbürgerszene geschwiegen. Unions-Abgeordnete fordern dagegen Aufklärung darüber, warum Medienvertreter schon frühzeitig über die Polizeimaßnahmen informiert waren und werfen der Bundesregierung eine schlechte Informationspolitik vor.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Martine Renner, nutzt ihre Rede für Kritik an der Einstufung der Reichsbürger durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Amt hält nur rund fünf Prozent der Reichsbürger für rechtsextrem. Das sei eine „irrige Annahme“, sagt Renner. „Ist wirklich so schwer zu verstehen, wer diese Leute sind, was sie wollen?“, fragt sie. Es handele sich um bewaffnete Rechte, die eine Gefahr für viele Menschen und die Demokratie seien.