Krematorien laufen im Hochbetrieb

Pekings verheimlichte Covid-Todeswelle

Ein Patient vor einem Krankenhaus in Beijing (China) am 15. Dezember. Viele Kliniken sind am Limit.

Ein Patient vor einem Krankenhaus in Beijing (China) am 15. Dezember. Viele Kliniken sind am Limit.

Peking. Dieser Tage fühlt sich Peking wie eine regelrechte Zeitmaschine an: Wie zu Beginn der Pandemie sind die Straßen der Hauptstadt erneut gespenstisch leer. Und genau wie damals haben auch die offiziellen Regierungs­informationen ihren Bezug zur Realität vollkommen verloren: So meldete die nationale Gesundheits­kommission am Freitag keinen einzigen Corona-Toten. Mehr noch: Seit der Öffnung des Landes Anfang Dezember ist laut den Statistiken niemand an Covid verstorben.

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Dass die staatlichen Statistiken wenig glaubwürdig sind, ist noch überaus diplomatisch formuliert. Doch wie hoch die Dunkel­ziffer an Corona-Toten genau ist, lässt sich nach jetzigem Stand kaum seriös einschätzen.

Krematorien laufen bis 10 Uhr in der Nacht

Ein erster prominenter Fall, der überaus gut dokumentiert ist, wurde diese Woche selbst von den Partei­zeitungen aufgegriffen: Der ehemalige Fußball­spieler Wang Ruoji, der bereits seit Längerem an Diabetes litt, ist nach seiner Corona-Infektion mit nur 37 Jahren verstorben. Auch er taucht nicht in den Statistiken auf.

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Erstmals haben nun Reporter der „Financial Times“ ein Schlaglicht auf die wahren Ausmaße der Pekinger Corona-Welle geworfen. Mehrere Reporter der britischen Tages­zeitung haben sich in den letzten Tagen sowohl in den Covid-Spitälern als auch den Krematorien der Stadt umgeschaut. Was sie sahen, deutet ohne Zweifel auf eine signifikante Übersterblichkeit hin: Die Bestattungs­institute würden derzeit ein Vielfaches an Leichen beerdigen als sonst für die Saison üblich, viele seien „Corona-positiv“ vermerkt. Die Mitarbeitenden eines Krematoriums berichten zudem, sie würden derzeit bis nachts um 10 Uhr in Betrieb sein.

Nach einem Vorschlag des Apothekerverbands sollen bald auch Apotheken gegen Corona impfen dürfen. Dadurch könnte die Impfkampagne noch schneller umgesetzt werden. (Themenbild, Symbolbild) Köln, 28.04.2021

Wie es zur Medikamenten­knappheit kommen konnte – und welchen Ausweg es gibt

In vielen Regionen Deutschlands sind aktuell diverse Arzneimittel knapp, darunter Fiebersäfte und Antibiotika für Kinder. Wir erklären, wie es dazu kommen konnte und welche Lösungs­vorschläge auf dem Tisch liegen.

Auch die niederländische Tageszeitung „Volkskrant“ berichtet von ähnlichen Zuständen. Sie zitiert einen Pekinger Bestatter mit den Worten: „Wegen Covid ist diese Woche die Nachfrage viel höher. Wir haben bereits jetzt keinen Platz mehr“. Und laut Radio Free Asia ist die Wartezeit für einen Termin bei den Pekinger Krematorien auf über sechs Tage angestiegen.

Peking: von der Null-Covid-Festung zum Corona-Hotspot

In den nächsten Wochen werden wohl weitere solcher Enthüllungs­berichte folgen, doch derzeit ist es vor allem das Virus selbst, welches Recherchen im Feld unmöglich macht: Genau wie die meisten Pekinger ist auch das Gros aller Korrespondentinnen und Korrespondenten derzeit mit Corona-Symptomen in Heim­isolation. Oder, wie es Stephen McDonell von der BBC auf seinem Twitter-Account formuliert: „Es ist schwer, jemanden in der Stadt zu finden, der sich in den letzten Wochen nicht mit Covid angesteckt hat.“

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„Es ist schwer, jemanden in der Stadt zu finden, der sich in den letzten Wochen nicht mit Covid angesteckt hat.“

Stephen McDonell

von der BBC

In nur wenigen Tagen ist die chinesische Hauptstadt von einer nahezu uneinnehmbaren Null-Covid-Festung mit rigiden Lockdowns zum weltweiten Corona-Hotspot avanciert. Die Öffnung erfolgte nicht nur plötzlich, sondern auch vollkommen unvorbereitet: Nach wie vor sind Selbsttests und fieber­senkende Medikamente auf dem freien Markt ausverkauft, und auch in den Kranken­häusern haben sich große Teile des Personals infiziert.

Ende von „No-Covid“: Heftige Infektionswelle in China befürchtet
BEIJING, CHINA - DECEMBER 08: An epidemic control worker wears PPE as he sanitizes an area outside a local health office that was giving out medications and rapid antigen tests in a traditional neighbourhood on December 8, 2022 in Beijing, China. As part of a 10 point directive, Chinas government announced Wednesday that people with COVID-19 who have mild or no symptoms will be permitted to quarantine at home instead of at a government facility, testings requirements are reduced, people are permitted to buy over the counter medications, and local officials can no longer lock down entire neighbourhoods or cities, a major shift in its zero COVID policy.  (Photo by Kevin Frayer/Getty Images)

Die große Mehrheit der 1,4 Milliarden Chinesen wird sich nach Einschätzung eines führenden chinesischen Experten letztlich mit dem Coronavirus infizieren.

Corona-Welle wäre wohl auch ohne Öffnung kaum zu verhindern gewesen

Der Grund für Pekings radikale Kehrt­wende ist vielfältig: Einerseits wurde der öffentliche Druck, der in einer landes­weiten Protest­welle gipfelte, immer größer. Gleichzeitig waren auch die wirtschaftlichen Indikatoren für dieses Jahr katastrophal. Der schluss­endliche Auslöser könnte jedoch ein trivialer gewesen sein: Wie der Epidemiologe Mike Ryan von der Weltgesundheits­organisation WHO am Mittwoch sagte, habe sich die derzeitige Covid-Welle in China bereits lange vor der Öffnung zusammen­gebraut. Die Regierung habe also einsehen müssen, dass sie trotz der rigiden Maßnahmen eine weitere Ausbreitung nicht mehr hätte stoppen können.

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Wie viele Personen in den nächsten Wochen und Monaten an Covid sterben werden, versuchen Forscher in unterschiedlichen Modell­rechnungen zu prognostizieren. Eine aktuelle Studie der Universität Hongkong geht von knapp einer Million Toten aus – es sei denn, die Senioren würden zeitnah eine vierte Booster­impfung erhalten und hätten Zugang zu ausreichend Medikamenten. Doch beides scheint derzeit utopisch: Zwar werden derzeit bereits über 200.000 Impfspritzen täglich verabreicht, doch auch das ist nach wie vor zu wenig.

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