CSU in Not: Wie Markus Söder vom Treiber zum Getriebenen wurde
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CSU-Chef Markus Söder beschwört bei einem Grußwort auf dem CDU-Parteitag im Januar die Gemeinsamkeit der Schwesterparteien, der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hört zu.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Berlin. Oft kommt es nicht vor, dass Markus Söder sich öffentlich entschuldigt. Vor zehn Tagen aber setzte sich der CSU-Vorsitzende in Nürnberg vor eine blaue Stellwand, eine CSU-Fahne zur linken und auch eine mit dem bayerischen Rautenmuster. Es habe Fehler im Bundestagswahlkampf gegeben, sagte Söder, weißes Hemd und Wärmeweste unterm dunklen Jackett. „Das tut uns leid. Das tut mir leid.“
400 Kilometer entfernt verfolgte ein großer schmaler Mann Söders Worte auf einem Bildschirm. Friedrich Merz war gerade von einem Onlineparteitag zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt worden, es war kein Konkurrent mehr in Sicht. Söders Entschuldigung, sanft und verbindlich im Ton, glich einer Ergebenheitsadresse. Ein Wahlergebnis wie Merz „hätte ich selbst gerne mal gehabt“, sagte Söder. „Lieber Markus, herzlichen Dank“, antwortete Merz in der Berliner CDU-Zentrale mit einem Lächeln. „Wir haben vieles geklärt.“
„Söder frisst gerade jeden Tag Kreide“, kommentierte ein Mitglied der CSU-Führung spöttisch.
Sticheln und Nachtreten
Es ist mal wieder eine Wende für den 55-Jährigen. Mehrfach standen CDU und CSU in den vergangenen Jahren kurz vor einer Spaltung, in der Flüchtlingspolitik zunächst, dann ging es um die Kanzlerkandidatur. Söder war immer einer derer, die die Konfrontation zuspitzten, nach dem Motto: sticheln, Nachtsitzung, nachtreten. Er war der Drängler, der Treiber, auch in der CSU: Dort saß er seinem Vorgänger Horst Seehofer im Nacken, bis der schließlich aufgab. Vier Jahre nach Amtsantritt als Ministerpräsident ist Söder nun selbst der Getriebene.
Das liegt an der Unionsniederlage bei der Bundestagswahl. Und es liegt an den Umfragewerten: Für die Union insgesamt sind diese weiter eher mittelprächtig. Die CSU kommt laut der Mitte Januar veröffentlichten Infratest-Dimap-Umfrage für den Bayerischen Rundfunk mit 36 Prozent zwar auf etwas mehr Rückhalt als bei der Bundestagswahl.
Aber das Landtagswahlergebnis von 2018 ist damit noch lange nicht erreicht – und das galt bereits als verheerend schlecht. Auch die Sympathie- und Zufriedenheitswerte von Söder sind deutlich abgesackt. In der Parteizentrale spricht man von einem Aufwärtstrend.
CSU-Spitzenleute aber konstatieren „hohe Nervosität“ in der Partei. Für die nächste Landtagswahl 2023 seien 36 Prozent zu wenig, sagt ein wichtiger CSU-Politiker. „Dann ist alles möglich.“ Die lange zementiert scheinende absolute Mehrheit hat die CSU bereits verloren.
Fokus auf die Landtagswahl
Nun halten es manche auch für möglich, dass die CSU künftig gar nicht mehr an der Regierung sein könnte. „Wenn gegen uns regiert werden kann, wird das gemacht“, prophezeien manche. Dass Freie Wähler und FDP sich an die CSU gebunden fühlen könnten, wie manche in der Partei versichern, glauben diese CSU-Leute nicht.
Es wäre ein historischer Vorgang, und zwar ein ganz anderer, als Söder ihn sich wohl noch vor Kurzem vorgestellt hatte. Da hatte er sich, getragen von guten Umfragewerten und Rufen auch aus der CDU, als ersten CSU-Kanzler der Republik gesehen. Wenn es 2023 schief geht für die CSU, wäre Söder ein anderer Superlativ sicher.
An der Hand von Merz
Er wäre der Architekt des Absturzes, ein „Master of Desaster“. Der Bruch der CSU-Dominanz wäre nicht nur das Ende einer Epoche. Es könnte in Folge auch die Union insgesamt treffen: Im Bundestag stellt die CSU ein Viertel der Unions-Abgeordneten.
Söder braucht also Merz genauso wie Merz Söder. Vorerst zumindest. So sehen sie es beide, gerade zumindest: Söder habe seine Hand ausgestreckt, „meine ergreift sie“, sagte Merz auf seinem im Online-Format so unspektakulären Parteitag.
Mit Merz eint Söder der Wechsel vom Treiber zum Getriebenen. Beide wollten gerne Kanzler werden, beide sind an Armin Laschet gescheitert. Merz ist elf Jahre älter, aber jetzt doch der Neue. Söder ist als Ministerpräsident der mächtigere, Merz hat die größere Partei hinter sich und als Oppositionschef mehr Freiheit.
Einigkeit am See
Beide eint wohl auch ein weiteres: Wenn sie Erfolg haben, wenn die CDU sich wieder erholt und die CSU in Bayern die Wahl gewinnt, dürften sie erneut die Kanzlerkandidatur in den Blick nehmen. Es ist die Frage, welche Hand dann als erstes loslässt. Als Söder und Merz sich Anfang Januar fototauglich an einem See in Bayern trafen, ließ der CDU-Mann hinterher wissen, die Kulisse habe er ausgesucht.
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CSU-Chef Markus Söder mit dem Vorsitzenden der großen Schwester CDU Friedrich Merz während eines Spaziergangs am Ufer des Kirchsee, südlich von München.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Aber vor der nächsten Kanzlerfrage steht anderes an: Merz muss sich auf den Weg machen. Söder muss aufpassen, dass sein Reich nicht ausfranst. Streng hat er es bisher geführt, im Kabinett die PR-trächtigsten Termine an Autobahnbaustellen und Krankenhäusern an sich gezogen.
Er ist ein guter Redner, was auch daran liegt, dass er Witzchen und Anekdoten auch beim x-ten Mal noch so erzählt, als seien sie ihm gerade eingefallen. Er reagiert schnell auf Trends, er ist da flexibel: Insektenschutz, Bäume umarmen – alles sind Söder-Themen, wenn die Grünen in den Umfragen zulegen und Volksbegehren Erfolg haben. Er streicht dann auch jahrelange CSU-Lieblingsprojekte wie Skilifte.
In der Flüchtlingspolitik hat Söder erst den Ton der AfD kopiert und gibt sich jetzt als deren entschlossener Gegner. In der Corona-Pandemie schloss er sich eng an den restriktiven Kurs von Kanzlerin Angela Merkel an. Er warnt seine Ministerpräsidenten-Kollegen vor Wettbewerb und ist doch stets dabei zu vergleichen: Bayern – besser als NRW, als Berlin sowieso.
Die ersten Bruchlinien
Aber die Bruchlinien zeigen sich bereits, Söder gilt als Führungsfigur, aber intern wird bereits gerempelt. Drei Wahlen sind unter Söders Führung bereits nicht richtig gut gelaufen für die CSU: die Landtagswahl 2018, die Kommunalwahl 2020 und nun auch noch die Bundestagswahl.
Und daran wird Söder auch in der CSU eine gehörige Mitschuld eingeräumt. Aus Oberbayern und Niederbayern, den mächtigsten CSU-Bezirken, melden die Kreise Frust der Mitglieder und Austritte. „Die Stimmung an der Basis ist ausgesprochen schwierig“, sagt ein Vorstandsmitglied. „Das Verhalten des Ministerpräsidenten im Wahlkampf wurde früh als ausgesprochen schädlich erkannt und benannt.“
Söder und seine Getreuen hatten immer wieder gegen Kanzlerkandidat Laschet gestichelt. „Kanzlerkandidat der Herzen“ sei eigentlich Söder, konstatierte CSU-Generalsekretär Markus Blume. „Söder hat es übertrieben“, sagt ein führendes CSU-Mitglied. In der Corona-Krise war es Söder gelungen, sein Image als berechnender Karrierist ein Stück weit in das eines umsichtigen Landesvaters zu wandeln. „Das ist dahin“, sagt ein weiterer CSUler.
Dem einen folgte das andere: Es sei problematisch gewesen, dass Söder nach der Wahl zunächst keine Fehler anerkannt habe, heißt es bei seinen parteiinternen Kritikern. Und nun sei die Union auch noch in der Opposition. Die Erkenntnis, dass die CSU in Berlin nichts mehr zu melden habe, habe „fatale Folgen für das Gesamtgefüge“, ist die Analyse.
Wenn der Ärger öffentlich wird
Auch inhaltliche Patzer fallen jetzt auf: Es werde zu sehr in Überschriften gedacht, bemängeln mehrere Spitzenleute. 10.000 neue staatliche Wohnungen bis 2025 hat die Landesregierung versprochen, zur Verfügung stehen laut Auskunft des Bauministeriums allerdings bisher gerade mal etwas über 200. Auch in der CSU wird das registriert.
Bei einer Versammlung der Jungen Union im Oktober entlud sich der Ärger auf offener Bühne. Die Delegierten strichen das „starke Zugpferd Markus Söder“ aus einem Antrag. Übrig blieb der Wunsch, dass „ein schlagkräftiges, frisches Team“ die CSU anführen möge. Der Egomanen-Ruf, auch so eine Parallele zu Merz.
Söder reagiert auf seine Weise. In der Corona-Politik ist er mittlerweile vom „Team Vorsicht“ ins „Team Augenmaß“ gewechselt, mit mehr Bereitschaft für Öffnungen. CSU-Politiker berichten, er lasse sich jetzt öfter – und vor allem auch länger – in Sitzungen und Schalten sehen. Er kümmere sich auch schneller mal um ein Problem vor Ort.
Außerdem hat Söder eine Kabinettsumbildung angekündigt. „Team verfeinern“, so nennt er das. Wissenschafts- und Sozialressort könnten neu besetzt werden und – Stichwort Wohnungen – das Bauressort. Das Signal: Was schlecht läuft, liegt an den Ministern. Der Umbau gäbe Söder auch die Möglichkeit, CSU-Generalsekretär Markus Blume durch Beförderung vom Wahlkampf abzuziehen, ohne dessen Heimatbezirksverband Oberbayern zu verärgern. Sie sind dort gerade, wie gesagt, besonders sensibel.
Im Entweder-Oder gefangen
Nach einer freundlichen Pressekonferenz mit dem neuen Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Windkraft-Ausbau versichert Söder am nächsten Tag eilig, dessen Charme nun sicher gar nicht erlegen zu sein. Er steckt im Entweder-Oder: Er warnt wieder vor Verspargelung der Landschaft, sagt aber Ausnahmen zu. Er sagt Nein zum Gendern, es ist ja so ein Lieblingsstichwort für Bierzelte, schränkt die Ablehnung aber ein mit dem Zusatz, es dürfe halt nicht übertrieben werden.
Am Mittwoch und Donnerstag wird Söder bei den CSU-Bundestagsabgeordneten in Berlin zu Gast sein, auch Friedrich Merz hat sich angesagt. Kritik an der Migrationspolitik der Ampelkoalition steht bei der Klausur auf der Tagesordnung – manchmal kann es einen, nicht mehr an der Regierung zu sein.