Die FDP als Partei der gelebten Narrenfreiheit
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5HXEWZRLJZHUTANF7TWJGHEMQY.jpeg)
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst des Aachener Karnevalsvereins.
© Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
eigentlich sind die Zeiten ja zu ernst, als dass man sich jetzt mit einer Karnevalswitzeaffäre beschäftigen sollte. Aber nun ja, eine gewisse Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat ihr graues Haupthaar zur Sturmfrisur gestylt, lange Nägel angeklebt, sich in dickes schwarz-lila Tuch gehüllt und einmal als „böse Königin“ zum verbalen Rundumschlag ausgeholt. Eines dieser Fotos von ihr bei der Aachener Karnevalssitzung haben Sie bestimmt gesehen. Eigentlich sollte ja Außenministerin Annalena Baerbock im Mittelpunkt stehen, die den Orden wider den tierischen Ernst verliehen bekam. Die hielt an diesem Abend aber ihre Zunge im Zaum.
Strack-Zimmermann sorgte hingegen für viel Furore. Die Frisur stand ihr übrigens gut. Sah nach „unter Strom“ aus, was bei der FDP-Frontfrau ja meistens der Fall ist. Aber um die Frisur geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, was „Panzer-Mariechen“ (O-Ton SPD-Chef Lars Klingbeil bei selbiger Sitzung über die Verteidigungspolitikerin) in ihrer Kostümierung zu sagen wagte.
Sie knöpfte sich alle möglichen Politiker vor, denen sie toxische Männlichkeit vorwarf. Dass sie dabei selbst zum Herrenwitz griff und unter dem Stichwort Ampelkoalition keine Pointe zum Thema flotter Dreier ausließ – ist halt Karneval. Dass sie aber von Merz bis Putin und von Xi bis Lindner alle diese Männer in eine Zwergenreihe stellte, sorgte nicht nur für Lacher. Dem im Publikum sitzenden Friedrich Merz gefroren regelrecht die Gesichtszüge. Strack-Zimmermann wärmte den „Sozialtourismus“ und die „kleinen Paschas“ in Reimform auf und meinte auch, die CDU müsse sich für Merz schämen. An diesen Stellen war die Darbietung mehr boshaft als witzig. Man fragt sich auch, wie sie überhaupt auf das Bild mit den Zwergen gekommen ist, schließlich erscheint aus Sicht der FDP-Umfragewerte eigentlich alles andere ziemlich groß.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/5WM6ED3QBRHKBOYRBYT5H25MEY.jpg)
Friedrich Merz und Hendrik Wüst bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst in Aachen.
© Quelle: Getty Images
Satirische Auftritte sind für Politiker ein Risiko
Ich komme ja aus dem Rheinland und habe auf meinem Bürostuhl ein wenig geschunkelt, als beim Sichten der zentralen Stellen dieser Sitzung immer mal wieder die vertrauten eingängigen Melodien erklangen. Ich war also eher milde gestimmt, was die Beurteilung von Strack-Zimmermann angeht. Zu ihrer Entlastung sei noch vorgetragen, dass sie ja aus Düsseldorf kommt. Allerdings muss man bei Strack-Zimmermann auch feststellen, dass sie den Liberalismus immer sehr rheinisch lebt und sich das ganze Jahr Narrenfreiheit herausnimmt.
Die Forderung nach einer Entschuldigung, die die CDU nun erhebt, finde ich übertrieben. Diese in den sozialen Medien geteilte Forderung hat übrigens den berühmten Streisand-Effekt ausgelöst. Vom Streisand-Effekt spricht man in Bezug auf die Schauspielerin und Sängerin Barbra Streisand, wenn jemand versucht, einen unliebsamen Vorgang zu unterdrücken und ihn damit größer macht. Streisand hatte einst mit der Klage gegen einen Fotografen alle Welt über den Standort ihrer Villa informiert. Hätte Merz die Schmähungen weggelächelt, würde sich dieser Newsletter wahrscheinlich um ein anderes, ein ernsthaftes Thema drehen.
Unter dem Strich hat sich Strack-Zimmermann mit diesem schrillen Auftritt keinen Gefallen getan. Seit knapp einem Jahr geht sie keinem Streitgespräch aus dem Weg, wenn es um Panzerlieferungen für die Ukraine geht. Nun haben ihre Gegner eine neue große Zielscheibe, ihre Ernsthaftigkeit wirkungsvoll infrage zu stellen. Für Politiker und Politikerinnen sind satirische oder komödiantische Auftritte immer ein großes Risiko. Man erinnere sich an die frühere CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit einem Karnevalswitz über genderneutrale Toiletten ihren politischen Abstieg einleitete. Klingbeil und Baerbock haben die schwierige Gratwanderung an diesem Abend mit eher feinsinnigem Humor und einem Schuss Selbstironie gelöst. Das passte.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Der Newsletter mit persönlichen Eindrücken und Hintergründen aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Bittere Wahrheit
Was unserer Geschlossenheit schadet ist ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert noch mehr?
Olaf Scholz,
Bundeskanzler
Der erste Kampfpanzer aus dem Westen hatte noch nicht den Weg in die Ukraine gefunden, da flammte schon die Debatte über Tornados auf. Allerdings ruderte in dieser Frage selbst die ukrainische Regierung wieder zurück. Das von Russland angegriffene Land ist aus Sicht seines Präsidenten Selenskyj aber dringend auf Kampfflugzeuge aus dem Westen angewiesen. Und das formuliert Selenskyj auch klar auf seiner kurzen Reise nach London, Paris und Brüssel. Scholz’ Worte im Bundestag waren außen- und innenpolitisch gemeint. Wie der Kanzler überhaupt am liebsten gar nicht über Waffenlieferungen sprechen würde. Dass Selenskyj einen Bogen um Berlin gemacht hat, hat auch mit dieser Haltung des Kanzlers zu tun. Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius hat er nun einen Aktivposten im Kabinett, der in Sachen Waffenlieferungen kommunikativ sehr viel offensiver auftritt und damit auch für mehr Anerkennung der Hilfen aus Deutschland auf internationalem Parkett sorgt.
Wie Demoskopinnen und Demoskopen auf die Lage schauen
Vor der Berlin-Wahl an diesem Sonntag zeigen die Umfragen ein weit auseinanderlaufendes Bild, was die Prognosen betrifft. Der aktuelle Forsa-Bericht erklärt das wie folgt: Die wegen des Unmuts über das „politische Angebot in der Stadt herrschende Ratlosigkeit vieler Berlin-Wahlbürger“ lasse in noch geringerem Maße verlässliche Aussagen über den Ausgang der Wahl zu, als es ohnehin bei den meisten Wahlen der Fall ist. Die vor der Wahl ermittelten Stimmungen in Berlin könnten daher noch stärker als sonst von den Stimmen abweichen, die die Parteien am Wahltag erhielten. Der Umfrage zufolge wohnen nur zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner gerne in ihrer Stadt. Eine weitere Umfrage vom 5. Februar sieht die CDU bei 26 Prozent, die Grünen bei 18 Prozent und die SPD bei 17 Prozent. Ziemlich sicher ist, dass wir am Sonntagabend noch nicht mit Gewissheit sagen können, wer Regierender Bürgermeister oder Regierende Bürgermeisterin in Berlin wird.
Bundesweit sieht die Stimmungslage wie folgt aus:
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/BN2F5CBKGVC5ZEDICLKWA6ARKE.png)
© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Eine besondere Leseempfehlung möchte ich für die Reiseschilderung von Can Merey geben, der zurzeit im Epizentrum des Katastrophengebiets in der Türkei unterwegs ist. Der Kollege schreibt mir stets über Whatsapp, wo er sich gerade aufhält und unter welchen Umständen er seine Reportagen liefern kann. Diese Mails waren in den vergangenen Tagen so eindrücklich, dass ich ihn gebeten habe, seine persönlichen Erfahrungen und Eindrücke auch für Sie aufzuschreiben. (+)
Und die dazugehörigen Reportagen von Can Merey aus Diyarbakir von Dienstag sowie aus Gaziantep von Mittwoch (+), wo sich die Verzweiflung und Wut der Opfer und ihrer Angehörigen auch bei unserem Reporter entlud, sollten Sie auch unbedingt lesen.
Außerdem:
Hintergrund zum drohenden Handelskrieg zwischen den USA und Europa
USA in Konfrontation mit China: der Abschuss eines Ballons und seine Folgen (+)
Wie Rechtsextreme gegen Flüchtlingsunterkünfte mobil machen
Das „Hauptstadt-Radar“ zum Hören
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von GetPodcast, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
Sie möchten uns Ihre Meinung zu den aktuellen Themen und Diskussionen in diesem Newsletter mitteilen? Oder möchten Sie Lob, Kritik und Anregungen mit uns teilen? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an hauptstadt-radar@rnd.de. Wir freuen uns auf Ihre Nachrichten. Wenn Sie keine Veröffentlichung wünschen, teilen Sie uns dies bitte in Ihrer E-Mail mit.
Abonnieren Sie auch
Der Tag: Das Nachrichten-Briefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr.
Unbezahlbar: Wertvolle Tipps und Hintergründe rund ums Geld – immer mittwochs.
Klima-Check: Erhalten Sie die wichtigsten News und Hintergründe rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.
Das Leben und wir: Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie – jeden zweiten Donnerstag.
What’s up, America? Der USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur – jeden zweiten Dienstag.
Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. – jeden Monat neu.
Mit RND.de, dem mobilen Nachrichtenangebot des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dem mehr als 60 regionale Medienhäuser als Partner angehören, halten wir Sie immer auf dem neuesten Stand, geben Orientierung und ordnen komplexe Sachverhalte ein – mit einem KorrespondentenNetzwerk in Deutschland und der Welt sowie Digitalexperten aller Bereiche.