Festmahl ohne Liebe
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Nur noch einmal frische Luft: Ein Schwein steckt seinen Rüssel durch das Gitter eines Tiertransporters.
© Quelle: picture alliance / dpa
Im Autoradio lief „Driving Home for Christmas“. Schön heimelig. Auf der Gegenfahrbahn kam mir ein Tiertransporter entgegen. Die Lüftungsschlitze waren geöffnet, ich sah ein paar rosafarbene Rücken und an einer Öffnung einen Rüssel.
Diese Rüssel! Die armen Kerle, denen sie gehören, haben im Stall nie Frischluft geschnuppert. Jetzt stecken sie die Nasen ans Gitter. Kurz sieht man ein Auge, dem Menschenauge sehr ähnlich. Schweine sollen intelligenter sein als Hunde. Vielleicht ahnen sie das Ziel der Reise bereits.
In den Wochen vor Weihnachten scheinen besonders viele Schlachttransporter auf dem Weg zu sein. Man plant das große Mahl zum Fest der Liebe. Mit Kassler, Karpfen, Gänsebraten. Eben erst wurde über das Schlachten am zweiten Weihnachtsfeiertag gestritten. Die Arbeit in den Fabriken soll dann ruhen, aber etliche Fleischerzeuger kündigten Ausnahmen an. Zum Glück gab es Proteste, insbesondere von kirchlicher Seite: Die osteuropäischen Arbeiter, die in diesen Stätten voll Blut und Gestank schuften, sollen an Weihnachten heimfahren dürfen. Entschädigt das für all die anderen Tage gering bezahlten, entsetzlichen, Menschenseelen verhärtenden Tuns? Viele Landwirte sagen, sie haben Probleme damit, ein Ferkel „notzutöten“, es zu erschlagen, wenn es nicht lebensfähig ist. In den Schlachtfabriken müssen Menschen tagein, tagaus Lebewesen töten, die solche Augen haben, neugierig und gesellig sind.
Ihre letzte Fahrt geht für die Schweine der Elektrozange, dem Kohlendioxidschacht, dem Messer entgegen. So kann „Driving Home“ nicht gemeint sein.
Hilal Sezgin ist Publizistin und Veganerin.
Von Hilal Sezgin