Italien: Eine Präsidentenwahl mit Nebenwirkungen

Mario Draghi kommt als Nachfolger von Sergio Mattarella infrage, wenn das italienische Parlament im Januar einen neuen Staatspräsidenten wählt.

Mario Draghi kommt als Nachfolger von Sergio Mattarella infrage, wenn das italienische Parlament im Januar einen neuen Staatspräsidenten wählt.

Rom. Mario Draghi wird derzeit mit Lob nur so überhäuft – in Berlin, in Brüssel und anderswo. „Italien kann sich glücklich schätzen, einen Mann wie Draghi an der Spitze der Regierung zu haben“, erklärte der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag bei seinem Antrittsbesuch in Rom.

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Einen Tag zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Mailand ebenfalls außerordentlich warme Worte für den italienischen Premier gefunden: „Unter Draghi wächst die italienische Wirtschaft wie noch nie im neuen Jahrtausend, die Impfkampagne geht vorwärts wie ein Schnellzug“, erklärte von der Leyen. So viel Anerkennung wirkt schon fast ein wenig verdächtig.

Bei seinem Antrittsbesuch in Italien hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schmeichelnde Worte für den italienischen Premierminister Mario Draghi mitgebracht.

Bei seinem Antrittsbesuch in Italien hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schmeichelnde Worte für den italienischen Premierminister Mario Draghi mitgebracht.

Viele entscheidende Fragen

Und tatsächlich schwingt bei den Lobeshymnen auch immer eine große Sorge mit: Was, so lautet die bange Frage in den europäischen Staatskanzleien, passiert in Italien, wenn Draghi plötzlich nicht mehr an der Spitze der Regierung stünde und die politischen Geschicke des Landes stattdessen, zum Beispiel, von einem Matteo Salvini oder von der postfaschistischen Giorgia Meloni geleitet werden sollten?

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Und was geschieht dann mit den 200 Milliarden Euro, die Italien aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhalten wird? Und aus dem betont europafreundlichen Kurs, den Italien unter Draghi seit zehn Monaten fährt? Und ganz generell aus der neuen, ungewohnten Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit Roms?

„Super Mario“ Draghi

Die Fragen sind berechtigt und auch sehr aktuell: Schon in wenig mehr als einem Monat könnte Draghi seinen Schreibtisch im Palazzo des Ministerpräsidenten räumen und auf den ehemaligen Papstpalast auf dem Quirinalshügel umziehen, den Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten.

Denn Ende Januar läuft die siebenjährige Amtszeit des derzeitigen Präsidenten Sergio Mattarella ab – und wer anders könnte den hochangesehenen und im Volk beliebten Sizilianer Mattarella besser und adäquater ersetzen als „Super-Mario“, der ehemalige EZB-Chef, der nach dem Euro nun auch noch Italien gerettet und an den Tisch der großen Nationen zurückgebracht hat?

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Würde sich der 73-jährige Draghi zur Verfügung stellen, dann wäre seine Wahl wohl gewiss. Den europäischen Partnern wäre es jedenfalls lieber, Draghi bliebe, wo er ist. Der Gelobte hat sich in der Sache noch nicht geäußert; er hat dazu nur gesagt, dass die Wahl des Staatsoberhaupts in die alleinige Kompetenz des Parlaments falle und die Regierung dazu nichts zu sagen habe.

Was Draghi zu einer möglichen Kandidatur sagt

Zwar gibt es kaum Zweifel daran, dass Draghi seine Karriere durchaus gerne mit dem Staatspräsidium krönen würde, aber auch am Mittwoch, bei der Pressekonferenz der Regierung zum Jahresende, enttäuschte der Premier alle, die gehofft hatten, dass er sich zu einer etwaigen Kandidatur äußern würde. „Mein persönliches Schicksal zählt absolut nichts, ich habe keine Ambitionen in die eine oder andere Richtung. Ich bin einfach ein Mann und ein ‚nonno‘ (Großvater) im Dienst der Institutionen.“ Die begonnene Arbeit der Regierung könne unabhängig von der Person des Premiers fortgeführt werden.

Das ist natürlich alles andere als ein klares Nein – und so bleibt die Wahl von Mattarellas Nachfolger die spannendste Staatspräsidentenwahl seit Jahrzehnten. Es steht viel auf dem Spiel, denn eines steht fest: Sollte Draghi in den Quirinal gewählt werden, würde er danach nicht nur als Regierungschef ausfallen, sondern seine Wahl würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gleichzeitig das vorzeitige Ende der Legislatur und Neuwahlen bedeuten.

Denn man darf nicht vergessen: Draghi steht an der Spitze einer äußerst heterogenen Koalition der nationalen Einheit, in der die rechtslastige Lega von Matteo Salini zusammen mit dem sozialdemokratischen PD und den linken „Liberi e Uguali“ (Freie und Gleiche) das Land regieren. Es ist schwer vorstellbar, dass ein anderer als Draghi ein solches Parteiensammelsurium zusammenhalten könnte – schon gar nicht in einem Wahljahr: Im Frühling 2023 wird das Parlament neu gewählt.

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Ein alter Bekannter

Aber auch die Wahl eines anderen Staatspräsidenten oder einer anderen Staatspräsidentin wäre mit Nebenwirkungen verbunden. Denn über der barocken Kulisse der Römer Palazzi der Macht schwebt wie ein großer Schatten die Kandidatur von Silvio Berlusconi. Trotz seines Alters von 85 Jahren, trotz seiner angeschlagenen Gesundheit und trotz seiner unzähligen früheren Skandale und Affären träumt der „Cavaliere“ immer noch davon, Italiens Staatsoberhaupt zu werden.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige italienische Präsident Silvio Berlusconi bei einem Treffen im Jahr 2011.

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige italienische Präsident Silvio Berlusconi bei einem Treffen im Jahr 2011.

Die Parteien des rechten politischen Spektrums – die Lega von Salvini, die Fratelli d‘Italia von Meloni und seine eigene Forza Italia – haben ihm bereits ihre Unterstützung zugesagt. Berlusconi fehlen dennoch rund 50 Stimmen – sie müssten aus dem politischen Zentrum oder von der Fünf-Sterne-Protestbewegung kommen. Sehr wahrscheinlich ist dies nicht – aber auch nicht völlig auszuschließen.

Sonst kaum Anwärter mit guten Aussichten

Neben Berlusconi und Draghi hat sich bisher noch kein anderer Kandidat in den Vordergrund schieben können. In den Medien erwähnt werden etwa Ex-Regierungschef Giuliano Amato, der frühere Präsident der Abgeordnetenkammer Pierferdinando Casini und Marta Cartabia: Die derzeitige Justizministerin war, wie Mattarella, auch schon Präsidentin des Verfassungsgerichts gewesen. Für die 58-Jährige spricht außerdem, dass sie die erste Frau im höchsten Staatsamt Italiens wäre.

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Die Wahl des neuen Staatspräsidenten wird in der zweiten Januarhälfte stattfinden und von den vereinigten Parlamentskammern (Senat und Abgeordnetenhaus) vorgenommen. Ebenfalls wahlberechtigt sind drei Vertreter der zwanzig italienischen Regionen. Das Wahlgremium umfasst somit 1009 Mitglieder. In den ersten drei Wahlgängen ist für die Wahl eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen erforderlich; ab dem vierten Wahlgang genügt die absolute Mehrheit (die Hälfte der Stimmen plus eins, also 505 Stimmen).

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