Italiens Fünf-Sterne-Bewegung versinkt im Chaos
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Der ehemalige italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte.
© Quelle: imago images/ZUMA Wire
Rom. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechnet der Rechtsprofessor Giuseppe Conte, der sich bei seiner Ernennung zum italienischen Ministerpräsidenten im Jahr 2018 als „Anwalt des Volks“ empfahl, muss sich nun von einem Gericht als Parteichef der Fünf Sterne absetzen lassen.
Bei seiner Wahl zum Politikchef der Protestbewegung im August des vergangenen Jahres, bei der gleichzeitig auch die Parteistatuten geändert wurden, sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, urteilte ein Zivilgericht in Neapel am Montag. Zehntausende Aktivisten der Fünf Sterne seien zu Unrecht von der Onlineabstimmung ausgeschlossen worden. Die Folge des Urteils: Die „Grillini“ haben keinen Vorsitzenden mehr und auch keine gültigen Regeln, nach denen man nun verfahren könnte.
Gerichtsentscheid kommt zur Krise
Der Gerichtsentscheid trifft die Protestbewegung in ihrer schwersten Krise seit ihrem Bestehen. Seit der mühseligen Wiederwahl von Staatspräsident Sergio Mattarella herrscht in den Führungsgremien der größten italienischen Partei ein offener Krieg zwischen dem bisherigen Leader Conte und Außenminister Luigi Di Maio.
Conte hatte erfolgreich verhindert, dass Mario Draghi, sein Nachfolger als Premier, zum Staatsoberhaupt befördert wird; auch sonst geht Conte oft auf Distanz zu Draghi. Di Maio wiederum gehört innerhalb der Protestbewegung dem Flügel der „governisti“ an, also zu denjenigen Exponenten, die klar zur Regierungsbeteiligung stehen.
Letztlich handelt es sich um einen seit Jahren ungelösten Richtungsstreit einer Partei, die das alte System sprengen wollte und selber Teil des Systems und der „Kaste“ geworden ist. Nach der Absetzung Contes muss nun der Gründer und Guru der Fünf Sterne, der Ex-Komiker Beppe Grillo, wieder das Zepter innerhalb der Bewegung übernehmen – obwohl er eigentlich gerade andere Sorgen hat: Gegen den 73-Jährigen wird seit Mitte Januar wegen Korruption ermittelt; sein Sohn wiederum steht wegen einer Gruppenvergewaltigung vor Gericht.
Grillo verhängt Maulkorb
„Wir können es nicht bestreiten: Die Situation ist sehr kompliziert geworden“, erklärte Grillo nach dem Gerichtsentscheid. Und er verhängte erst einmal einen Maulkorb an alle Abgeordneten und Senatoren: „Ich fordere alle auf, still zu bleiben und keine gewagten Initiativen zu ergreifen, die nicht mit den anderen abgestimmt sind“, schrieb Grillo in seinem Blog.
Wie es in der Chaostruppe nun weitergehen soll, weiß im Moment niemand so genau. Fest steht jedoch, dass das Regieren für Mario Draghi aufgrund der Krise des größten Koalitionspartners nicht einfacher geworden ist. In den Reihen der Parlamentarier herrscht Ratlosigkeit und Verunsicherung.
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Ex-Komiker Beppe Grillo ist Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung.
© Quelle: Antonia Melita/Pacific Press
Aber immerhin: Dass die „Grillini“ vollends die Nerven verlieren und die Regierungskoalition platzen lassen, ist zumindest vorläufig nicht sehr wahrscheinlich. Der Grund: Die Legislatur muss noch mindestens ein halbes Jahr andauern, sonst verspielen all jene Abgeordneten und Senatoren, die 2018 zum ersten Mal gewählt worden sind, ihre Parlamentarierrente. Und das wollen – bei aller Anti-System-Rhetorik – die wenigsten von ihnen riskieren.
Vielen „Grillini“ droht das Aus
Für viele Fünf-Sterne-Parlamentarier neigt sich das privilegierte Leben in den barocken Römer Macht-Palazzi so oder so dem Ende zu: Im Frühling 2023 wird das Parlament neu gewählt, und vielen „Grillini“ droht das Aus. Voraussichtlich wird höchstens jeder Dritte der über 300 Fünf-Sterne-Abgeordneten und -Senatoren ihren Sitz im Parlament verteidigen können.
Denn erstens ist die Protestbewegung in den Umfragen auf 15,6 Prozent der Stimmen abgesackt – bei den Wahlen im Jahr 2018 hatte sie noch 32 Prozent der Stimmen erzielt. Und zweitens ist in der Zwischenzeit – auf Initiative der Anti-System-Bewegung – die Zahl der Parlamentssitze von insgesamt 945 auf 600 reduziert worden.
Angesichts dieser Zahlen wird kaum einer auf die Idee kommen, die noch laufende Restlegislatur künstlich abkürzen zu wollen. Unter den Anhängern und Wählern der Fünf Sterne macht sich derweil immer mehr Enttäuschung und Wut breit: „Streitereien, Machtkämpfe und Gerichtshändel: Ihr seid das Schädlichste für Italien geworden. Lasst es doch einfach bleiben und überlasst das Land wieder Leuten, die etwas von Politik verstehen“, hieß es nach dem Gerichtsentscheid etwa in den sozialen Medien. Und der Aktivist Roberto schrieb: „Basta, basta, basta: Nie mehr Cinque Stelle!“