Mehrwertsteuersenkung auf Gas: Wirtschaft reagiert mit Kritik – Sozialverbände wollen mehr
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/OMYROGTDXFDENCPIWSPOO4P3XI.jpeg)
Eine Gasrechnung wird vor einen Gaszähler in einem privaten Haushalt gehalten (gestellte Szene). Eine Senkung der Mehrwertsteuer soll die Verbraucher in der aktuellen Energiekrise entlasten.
© Quelle: Bernd Weißbrod/dpa
Berlin. Wirtschaftsverbände haben die von der Bundesregierung angekündigte Mehrwertsteuersenkung auf Gas als falsches Signal bezeichnet. Sie forderten zugleich zielgenaue Entlastungen für Firmen. „Gas zu sparen bleibt wichtig. Die Entlastung durch die angekündigte niedrigere Mehrwertsteuer geht an den Unternehmen vorbei, denn Unternehmen zahlen keine Mehrwertsteuer“, sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Unternehmen kämpften mit ausufernden Energiekosten, so Lösch. „Die Politik muss jetzt konsequent die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten und schutzbedürftige Unternehmen entlasten.“
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, kritisierte: „Gas ist momentan ein knappes Gut, daher ist der Preis hoch.“ Um gut durch die nächsten Winter zu kommen, müsse Gas eingespart werden. „Warum in dieser Situation der Preis über die Mehrwertsteuer gesenkt wird, erschließt sich aus ökonomischer Sicht nicht“, sagte Hüther der dpa. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setze damit keinen Anreiz zum Sparen, im Gegenteil. „Gleichzeitig lässt die Zielgenauigkeit dieses Instruments zu wünschen übrig. Statt der Bazooka brauchen wir gezielte Unterstützung, etwa bei Geringverdienern, die unter der Inflation am meisten leiden.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent
Die Bundesregierung will für einen befristeten Zeitraum die Mehrwertsteuer auf Erdgas senken, wie Scholz am Donnerstag sagte. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent soll so lange gelten, wie die staatliche Gasumlage erhoben wird, also bis Ende März 2024. Mit der Gasumlage können Importeure ab Oktober wegen des Ukraine-Kriegs erhöhte Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben.
Der Bund der Steuerzahler bewertete es als positiv, dass die Mehrbelastung für Gasverbraucher „etwas abgemildert“ werden solle. „Dennoch darf nicht vergessen werden: Insgesamt steigt durch die neue Gasumlage die Belastung der Verbraucher“, stellte Verbandspräsident Reiner Holznagel fest. Kanzler Scholz hatte hingegen davon gesprochen, die Gaskunden würden „mit diesem Schritt“ insgesamt deutlich stärker entlastet, als die Mehrbelastung durch die Umlagen betrage.
Die Familienunternehmer forderten eine Härtefallklausel für besonders betroffene Unternehmen durch eine vollständige Befreiung von der Umlage. Zudem müssten weitere Hilfen entwickelt werden. „Die aktuelle Regierung darf bei Ihren Entlastungsplänen die Unternehmen nicht aus dem Blick verlieren“, erklärte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Mit einer Senkung lediglich der Mehrwertsteuer für Gas sei der Wirtschaft überhaupt nicht geholfen. „Diese Steuer spielt für vorsteuerberechtigte Firmen als letztlich durchlaufender Posten keine Rolle.“ Die Gasumlage aber verursache eine erhebliche Schwächung des Wirtschaftsstandorts.
Lösch forderte, die Bundesregierung sollte die Höhe der Umlage senken und die Dauer der Erhebung zeitlich strecken. Der BDI verlange außerdem, die Stromsteuer auf das europäische Minimum zu senken, Netzentgelte für alle Verbraucher staatlich mitzufinanzieren und bisherige Energiesteuerentlastungen wie den Spitzenausgleich weiterzuführen.
Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion forderte unterdessen eine zeitgleiche Senkung der Energiesteuern. „Die Ampel muss die Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß senken. Damit bleiben Strom, Gas und Co. bezahlbar.“ Das sagte MIT-Bundesvorsitzende Gitta Connemann (CDU) im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dadurch würde die Inflation gedämpft. Aus Sicht Connemanns seien der größte Preistreiber die Kosten für Energie.
Kommunen rechnen mit Einsparungen
Die Kommunen in Deutschland rechnen mit erheblichen finanziellen Einsparungen durch die von der Bundesregierung geplante Absenkung der Mehrwertsteuer auf den Gasverbrauch. „Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Gas von 19 auf 7 Prozent ist ein wichtiges Signal und stellt eine spürbare Entlastung für Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und nicht zuletzt auch für die Kommunen selbst dar“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, den Zeitungen der Essener Funke-Mediengruppe (Freitag).
Scholz: Mehrwertsteuer auf Gas künftig 7 statt 19 Prozent
Angesichts der rapide gestiegenen Gaspreise will die Bundesregierung die Verbraucher bei der Mehrwertsteuer entlasten.
© Quelle: Reuters
Städte und Gemeinden seien „mit ihren Rathäusern, Schulen, Kitas, Verwaltungsgebäuden und Sportstätten einer der größten Immobilienbesitzer in Deutschland und damit von dem Anstieg der Energiepreise stark betroffen“, führte Landsberg aus. Die Kommunen begrüßten diese dringend notwendige Maßnahme, um den „dramatischen Anstieg der Energiepreise“ für die Bevölkerung und die Wirtschaft abzubremsen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke, nannte die Maßnahme einen „Schritt in die richtige Richtung“. Er hält aber eine zeitliche Absenkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas für nicht ausreichend. „Zusätzlich notwendig ist die Umsetzung des von uns geforderten Gaspreisdeckels auf den normalen Verbrauch, dieser liegt beispielsweise für eine vierköpfige Familie bei 12.000 Kilowattstunden pro Jahr“, sagte Werneke den Funke-Zeitungen. Die Kosten müssten auf dem Niveau von 2021 gedeckelt und für die Energieversorger ausgeglichen werden, schlug der Verdi-Chef vor.
Eon: Richtiger Schritt
Der Energiekonzern Eon nannte die Entscheidung der Bundesregierung einen richtigen und überfälligen Schritt, weil er zu einer spürbaren Entlastung der Gaskunden führe. „Er bleibt jedoch halbherzig, weil auch beim Strompreis die Notwendigkeit zu Entlastungen besteht und hier noch mehr Steuerlast auf den Endverbrauchern liegt. Daher sollte die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesenkt und ebenfalls ein reduzierter Mehrwertsteuersatz angewandt werden.“
Der Paritätische Gesamtverband wies darauf hin, dass die Mehrwertsteuersenkung alle entlaste, „also auch diejenigen, die es überhaupt nicht nötig haben“. Der Spitzenverband der Wohlfahrtspflege plädierte für gezielte Hilfen an Menschen, „die ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können“, hieß es in einer Stellungnahme, die die „Rheinische Post“ (Freitag) veröffentlichte.
Der Sozialverband VdK forderte zusätzliche Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger. Präsidentin Verena Bentele sagte der dpa, Finanzminister Christian Lindner (FDP) müsse endlich ernsthaft über eine Übergewinnsteuer und eine Vermögensabgabe nachdenken, um Geld für die Entlastung der Schwächsten zu haben. „Außerdem muss sichergestellt sein, dass dieses Mal die Steuersenkung bei den Menschen wirklich ankommt. Es darf nicht wieder so laufen wie beim Tankrabatt.“
Lindner lehnt eine Übergewinnsteuer krisenbedingt hoher Gewinne von Unternehmen ab. Bentele sagte, der Verband begrüße die von der Bundesregierung angekündigte Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas. Sie gleiche die Gasumlage ungefähr aus. „Das ist gut für die Haushalte, die unter den hohen Gaspreisen leiden. Das ist aber schlecht für den Staatshaushalt. Wir müssen jetzt ganz dringend über Einnahmen reden, sonst wird es keine Kindergrundsicherung, kein gutes Bürgergeld und keine Entlastung für pflegende Angehörige geben.“
Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, sagte: „Viele Menschen befinden sich bereits seit Wochen, teilweise sogar seit Monaten, in einer wirklich ernsten Lage. Sie brauchen jetzt schnell und unmittelbar Hilfe und können nicht warten, bis irgendwann einmal die Debatten über mögliche Entlastungsmaßnahmen abgeschlossen sind.“
RND/dpa/epd