Nancy Faeser: menschlich warm, machtpolitisch kühl
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Nancy Faeser als Fraktionsvorsitzende der SPD im hessischen Landtag.
© Quelle: Arne Dedert/dpa/Archivbild
Berlin. Ein Foto, das von Nancy Faeser gewiss bleiben wird, ist jenes vom Auftaktspiel der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Weil der Weltverband Fifa dem DFB-Team das Tragen der „One Love“-Binde unter Androhung von Strafen untersagt hatte, zog sich die aus Berlin eingeflogene Bundesinnenministerin den Ersatz für die Regenbogenbinde beim Kick gegen Japan kurzerhand selbst über ihren linken Oberarm. Alle Welt konnte es sehen.
Zwar mokierten sich zuletzt einige prominente Vertreter der Fußballbranche über Faeser. Auf andere wirkte die Aktion aber wie ein Zeichen der Standfestigkeit. Die SPD-Politikerin wurde kenntlich, kenntlicher als vorher. Das gilt nach ihrer Entscheidung, aus dem Amt der Innenministerin heraus als SPD-Spitzenkandidatin bei der hessischen Landtagswahl anzutreten, erst recht.
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20 Jahre in der hessischen Landespolitik
Die 52-Jährige aus dem Taunus, die in Hessen 20 Jahre lang Landespolitik gemacht hatte, war im Dezember 2021 eher überraschend auf die Bundesbühne gewechselt. Schließlich war ihre hessische Parteifreundin, die später spektakulär gescheiterte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, als Innenministerin gehandelt worden.
Die im Gegensatz zu Lambrecht sehr joviale Faeser tat sich denn auch schwer, Fuß zu fassen. Den Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine glaubte sie anfangs dem Selbstlauf überlassen zu können – und schwenkte erst mit Verzögerung auf eine zentrale Verteilung um. Als Faeser mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die ukrainische Hauptstadt Kiew besuchte, machte ein Foto mit Sektgläsern die Runde. Eine Entschuldigung folgte.
Rasch entstand zudem der Eindruck, dass die Bundesministerin des Innern zwar viel ankündigte, aber wenig umsetzte. Beobachter führten dies auf die Beschaffenheit des eher konservativen Hauses zurück, in dem Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter nicht so wollten wie ihre neue Chefin. Schließlich war deren Vorgänger Horst Seehofer von der CSU aus einem anderen Holz geschnitzt. Der grüne Koalitionspartner maulte ebenfalls über mangelndes Tempo – etwa beim sogenannten Dachgesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen. Eckpunkte bis zum Jahresende reichten nicht, verlautete von dort im September. Es müsse schon ein kompletter Gesetzentwurf her.
Gesetzesoffensive nach der Sommerpause
Nach der Sommerpause ging es dann Schlag auf Schlag. Derzeit befinden sich fünf zentrale Gesetze in der Abstimmung mit anderen Ministerien: das Gesetz zur erleichterten Fachkräfteeinwanderung, das Gesetz zum erleichterten Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft, die Verschärfung des Waffenrechts, das neue Bundespolizeigesetz sowie die Reform des Disziplinarrechts, um Extremisten schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen zu können. Das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht und das Gesetz zur Beschleunigung der Asylverfahren traten zum Jahreswechsel bereits in Kraft. Das Demokratiefördergesetz wird derzeit vom Bundestag beraten.
Ein FDP-Politiker, der der Bundesinnenministerin eher wohlgesinnt ist, sagt: „Es ist im ersten Jahr zu wenig passiert. Jetzt ballt es sich etwas.“ Das kann man als Lob verstehen. Er fährt indes mit Blick auf die Spitzenkandidatur fort: „Wenn sie da nur noch mit halber Kraft tätig wäre, dann wäre das schlecht.“ Das ist fraglos eine Mahnung.
Untätigkeit kann man Faeser jedenfalls nicht mehr vorwerfen. Einen Mangel an Flexibilität auch nicht. So hat die Ministerin mit dem eher linksliberalen Profil zweimal sichtbar dem Druck der konservativen Seite nachgegeben. Als neben den Geflüchteten aus der Ukraine wieder mehr Asylsuchende aus dem Mittleren Osten nach Deutschland gelangten, sagte sie: „Unser gemeinsames Ziel ist es, die steigende irreguläre Migration über die Westbalkanroute einzudämmen.“ Das schloss die Verlängerung von Grenzkontrollen ein. Zuvor hatten Länder, Städte und Gemeinden Alarm geschlagen.
Zur Not flexibel
Nach den Silvesterkrawallen tat die Sozialdemokratin kund: „Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden.“ Auch das hielten manche aus dem linken Spektrum für ein falsches Zugeständnis an die andere Seite. Fest steht: Die Frau aus Hessen hat kein Problem damit, Positionen bei Bedarf auch mal schnell zu räumen, wenn es ihr sachlich oder taktisch angebracht erscheint.
Dass Nancy Faeser menschlich sehr warm, machtpolitisch aber bisweilen sehr kühl sein kann, zeigt ihre Bereitschaft, das Ministerium und die Spitzenkandidatur gleichzeitig zu übernehmen – trotz aller Anwürfe, mit denen nun zu rechnen ist. Auf die Frage, ob sie auch im Falle einer Niederlage in den Landtag von Wiesbaden (zurück)gehe, sagte die Sozialdemokratin ungerührt: „Oppositionsführerin war ich schon.“