Wo Habeck wirklich recht hat
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Platzte in dieser Woche gleich zweimal der Kragen: Wirtschaftsminister Robert Habeck.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Liebe Leserin, lieber Leser,
wer aktuell die Ampelkoalition beim Regieren beobachtet, fühlt sich auf die Zuschauerränge eines Tenniscourts versetzt. Harter Schlagabtausch zwischen FDP und Grünen. Man dreht nur noch staunend den Kopf hin und her. Den letzten wirklich heftigen Aufschlag machte gerade Wolfgang Kubicki, seines Zeichens Bundestagsvizepräsident, also einer der obersten Repräsentanten unseres Staates. Er war sich nicht zu schade, Vizekanzler Robert Habeck mit dem russischen Despoten Wladimir Putin zu vergleichen. Ernsthaft.
Der FDP-Politiker hatte dem Infotainmentportal „Massengeschmack.TV“ ein Interview gegeben, in dem Kubicki erklärte: „Putin und Habeck haben eine ähnliche Überzeugung davon, dass der Staat, der Führer, der Auserwählte besser weiß als die Menschen, was für sie gut ist.“ Der Unterschied zwischen dem Grünen-Politiker und dem Kremlchef bestehe lediglich in der Umsetzung dieser Vorstellung. Habeck würde dies „nicht mit Gewalt“ machen, anders als Putin, sagte Kubicki. „Der Habeck würde es aber durch Verbote machen.“
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Wolfgang Kubicki, stellvertretender FDP-Parteivorsitzender und Bundestagsvizepräsident, hat Robert Habeck mit Putin verglichen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Kubicki ist dann doch aufgefallen, dass ein solcher Vergleich unter Demokraten nicht geht, unter Koalitionspartnern schon einmal gar nicht. Über die Deutsche Presse-Agentur ließ er sich daher mit einer Entschuldigung zitieren und sagte nun über Habeck: „Ihn in eine Reihe mit einem gesuchten Kriegsverbrecher zu stellen, ist völliger Quatsch und eine Entgleisung. Das geht so gar nicht.“ Er versicherte, Habeck sei ein aufrechter Demokrat.
Die Entschuldigung war dringend notwendig und überfällig. Bestehen bleibt das Problem, dass die Ampel eine Koalition ist, die sich selbst auf den Keks geht. Mehr noch: Die Fronten zwischen FDP und Grünen, insbesondere zwischen ihren Galionsfiguren Christian Lindner und Robert Habeck, sind derart verhärtet, dass nicht mehr möglich ist, was sich die Regierungskoalition zum Start auf die Fahnen geschrieben hatte: Fortschritt.
Robert Habeck platzte in dieser Woche gleich zweimal der Kragen
Zwischen FDP und Grünen herrscht eine Atmosphäre von gegenseitigem Belauern, Geläster und Verachtung – die boshaften Äußerungen von Kubicki bilden nur die Spitze des Eisbergs. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist in dieser Woche gleich zweimal der Kragen geplatzt. Während der Fraktionsklausur der Grünen in Weimar polterte er, es könne nicht sein, dass nur ein Teil in der Koalition für Fortschritt sorge und die anderen auf der Bremse stünden. Damit meinte er, dass nur die Grünen beim Thema Klima vorangingen.
Am Abend in den Tagesthemen legte er nach und beklagte, dass die Koalition ihre Projekte nicht „über die Ziellinie“ bekomme. Er machte auch öffentlich, dass sein umstrittener Gesetzentwurf zum Heizungsaustausch „bewusst“ geleakt worden sei, „um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“. Aus diesem Grund seien Gespräche mit den Koalitionspartnern „wahrscheinlich mit Absicht zerstört worden, des billigen taktischen Vorteils wegen“. Weil so etwas nicht zufällig passiert, sei er „ein bisschen alarmiert, ob überhaupt Einigungswille da ist“.
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Die Liste der Themen, die in der Koalition auf eine Einigung warten, ist sehr lang. Am Sonntag wird sich zeigen, ob es noch Einigungswillen gibt.
© Quelle: IMAGO/Fotostand
Ob es noch Einigungswillen gibt, wird sich am Sonntag zeigen. Dann kommen die Spitzen von SPD, Grünen und FDP zu einem Koalitionsausschuss zusammen. Die Liste der Themen, die auf eine Einigung warten, ist sehr lang. Der dickste Brocken sind der von Finanzminister Lindner vertagte Bundeshaushalt 2024 und die mittelfristige Finanzplanung. Der Haushalt hätte längst im Kabinett verabschiedet sein sollen. Die Ressorts haben aber Finanzbedarf von 70 Milliarden Euro über den Durst angemeldet.
Zu den großen Posten gehören: 10 Milliarden Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt – on top zu dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen. Die Familienministerin braucht für ihr Konzept der Kindergrundsicherung künftig 12 Milliarden Euro zusätzlich. Die Pflegeversicherung benötigt trotz Beitragssatzerhöhung weitere rund 8 Milliarden Euro Zuschuss. Zudem schlagen allein die gestiegenen Zinsen mit 40 Milliarden Euro zu Buche. Es gibt also handfeste Probleme, die nur eine pragmatische handlungsfähige Regierung lösen kann. Davon aber ist die Ampel derzeit weit entfernt.
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Der innerdeutsche Zank über E‑Fuels und das Aus für Verbrennermotoren ist schon peinlich.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Gestritten wird ja nicht nur ums Geld. Wie wenig das deutsche Regierungsbündnis zusammenhält, demonstrieren Grüne und Liberale auch gerade auf europäischer Ebene mit ihrem Streit um das Aus für Verbrennermotoren, wo sich am Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel treffen. FDP-Verkehrsminister Volker Wissing beharrt darauf, dass auch nach 2035 noch Neuwagen mit Verbrennermotor zugelassen werden – mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E‑Fuels. Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke wiederum stellt sich auf die Seite der EU. So muss sich also nicht nur der Kanzler als Schiedsrichter, Schlichter, Vermittler und Richtlinienkompetenz-Anwender zwischen Grünen und Liberalen betätigen. Gerade trifft es auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans, der versucht, den innerdeutschen Zank in eine gütliche Einigung zu führen. Das ist schon peinlich.
Da ich Sie wirklich nicht langweilen möchte, erspare ich Ihnen an dieser Stelle die Geschichten über die weiteren strittigen Ampelprojekte Planungsbeschleunigung, Windkraftausbau, neue Autobahnen, China-Strategie, Aktienrente, Klimaschutzsofortprogramm, Breitbandausbau, tierfreundliche Ställe und Wohnungsbau. Nur so viel: An einem Punkt hat Habeck wirklich recht – die bringen ihre Vorhaben nicht über die Ziellinie.
Bittere Wahrheit
„Ich empfinde wirklich große Wut über diese Gräueltat, wenn ich diesen Ort hier besuche.“
Fumio Kishida,
Ministerpräsident Japans
Wenn von der westlichen Allianz oder dem demokratischen Westen die Rede ist, gehört Japan in der Regel gedanklich dazu. Das Land in Fernost ist Teil der G7, jener mächtigen Industriestaatengruppe, die sich als demokratische Wertegemeinschaft versteht und zu der auch noch die USA, Kanada, Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland gehören. Russland war aus dem exklusiven Club 2014 nach der Annexion der Krim ausgeschlossen worden. Seine Wut hat Kishida während seines Solidaritätsbesuchs in der Ukraine zum Ausdruck gebracht.
Er reiste am Dienstag nach Butscha, jener Kiewer Vorstadt, in der die russische Armee fürchterliche Kriegsverbrechen begangen hat. Der Besuch Kishidas ist etwas Besonderes. Japan hat als Konsequenz aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem es an der Seite von Nazi-Deutschland kämpfte, den Pazifismus in seiner Verfassung verankert. Das verbietet den Japanern heute Waffenlieferungen an die Ukraine. Seine eigene Verteidigungsstrategie hat Japan angesichts des Ukraine-Kriegs mit einem Aufrüstungsprogramm bereits verändert.
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Fumio Kishida (links), der Premierminister von Japan, legt Blumen an einer Kirche in Butscha nieder.
© Quelle: Iori Sagisawa/Kyodo News via AP/
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Das desolate Bild, das die Ampel aktuell in Berlin abgibt, spiegelt sich auch in der Wochenanalyse des Meinungsforschungsinstituts Forsa wider. Dass es in diesem Winter zu keinen Engpässen bei der Energieversorgung gekommen ist, liegt demnach aus Sicht von 38 Prozent der Bürgerinnen und Bürger am relativ warmen Winter. Nur 30 Prozent meinen, dass dies das Verdienst der Bundesregierung ist. 26 Prozent wiederum glauben, dass der Mix aus mildem Winter und der Arbeit der Regierung uns Ausfälle beim Gas erspart haben.
Die AfD, die bei der Bundestagswahl knapp über 10 Prozent gekommen war, steht inzwischen bei satten 14 Prozent. Sie profitiere vor allem von Abwanderungen von der FDP. „So würden derzeit 7 von 100 FDP-Wählern bei der Bundestagswahl 2021 der AfD ihre Stimme geben“, heißt es in der aktuellen Forsa-Analyse. Die Abwanderung von der Union, der SPD, der Linken und vor allem der Grünen hin zur AfD sei deutlich geringer.
Der Sonntagsfrage zufolge verfügt die Ampel aktuell über keine eigene Mehrheit:
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© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Schon das Timing zeige Unerschrockenheit, schreibt mein Kollege Matthias Koch über den Besuch von Japans Regierungschef Fumio Kishida in der Ukraine. Er tauchte dort auf, während in Moskau gerade die Präsidenten Chinas und Russlands zusammensaßen. Matthias, der seinen analytischen Blick stets rund um den Globus schickt, beschreibt den japanischen Premier als unterschätzten weltweiten Spieler.
Die Chinesen reagierten empört, für die Taiwanesen war es ein „historisches Ereignis“: Der Besuch von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in Taiwans Hauptstadt Taipeh. Vordergründig kam die FDP-Politikerin, um ein Forschungsabkommen zu unterzeichnen. Politisch war der Besuch dennoch Provokation und Statement gegenüber Peking. Unser Krisenreporter Can Merey hat die Visite aus der Nähe beobachtet. (+)
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Seit einem Jahr baut Tesla in Brandenburg Autos.
© Quelle: picture alliance/dpa
Erinnern Sie sich noch an die Szene im Bundestagswahlkampf, als der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet mit Elon Musk im Brandenburgischen Grünheide stand und Musk – damals im Gegensatz zu dem CDU-Mann auf dem Höhepunkt seiner Popularität – alle Bedenken lachend wegwischte? Nun ja, das Tesla-Werk, das damals gerade entstand, läuft seit einem Jahr. Unser Reporter Jan Sternberg war vor Ort und hat ausgeleuchtet, wie es tatsächlich läuft. (+)
Wie tief steckte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, tatsächlich in einem Sumpf aus Abhängigkeiten von Russland? Meine Kollegen Andreas Meyer und Frana Pubantz von der Ostsee-Zeitung haben hunderte Dokumente gesichtet und eine Chronologie des Baus von Nord Stream 2 aufgeschrieben. Das ist sehr spannend. (+)
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
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