Newsletter „Krisen-Radar“

Warum uns Taiwan nicht egal sein darf

Zwei Soldaten senken die Nationalflagge während der täglichen Flaggenzeremonie auf dem Freiheitsplatz der Chiang Kai-shek Memorial Hall.

Zwei Soldaten senken die Nationalflagge während der täglichen Flaggenzeremonie auf dem Freiheitsplatz der Chiang Kai-shek Memorial Hall.

Liebe Leserin, lieber Leser,

zwölf Stunden und 20 Minuten dauert der Flug von Frankfurt nach Taipeh, wo ich derzeit den Besuch von Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger für das RND begleite. Das ist etwas länger, als der Zug von Kiew zur polnischen Grenze benötigt, in dem ich vor knapp zwei Wochen gereist bin (ich kann jetzt bezeugen, dass Liegewagenplatz 35 komfortabler als Economy-Class-Sitz 47D ist). Taiwan ist geografisch weit entfernt, die wenigsten Deutschen dürften einen Bezug zu der ostasiatischen Insel haben. Dennoch ist Taiwan von großer Bedeutung für uns – weswegen uns auch die Drohungen der kommunistischen Volksrepublik China, sich die demokratische Inselrepublik notfalls mit Gewalt einzuverleiben, alarmieren müssen.

Genau genommen ist die gesamte moderne Welt von Taiwan abhängig, für uns als führendes Industrieland gilt das aber in besonderem Maße. Der Grund: Taiwan ist mit großem Abstand Weltmarktführer bei Halbleitern, dem zentralen Bestandteil von Mikrochips – ohne die das moderne Leben weitgehend zum Stillstand käme. Mikrochips halten alle möglichen Geräte am Laufen, ob Handys oder Computer, Kühlschränke oder Toaster, Pkw oder Panzer.

Ministerin Bettina Stark-Watzinger in einem Nanotechnologie-Labor zur Halbleiterforschung in Taipeh

Ministerin Bettina Stark-Watzinger in einem Nanotechnologie-Labor zur Halbleiterforschung in Taipeh

Wie sehr die Welt auf die Chips angewiesen sind, zeigte sich bei den Lieferengpässen während der Coronavirus-Pandemie – plötzlich stockte die globale Autoproduktion. Wichtigster Lieferant der deutschen Automobilindustrie ist die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), der größte Chipauftragsfertiger der Welt. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sah sich während der Pandemie gezwungen, die taiwanische Regierung per Brief um Hilfe bei der Lösung der Versorgungsprobleme zu bitten.

Taiwan setzt schon seit den 1970er-Jahren auf Halbleitertechnologie, es ist eine gigantische Erfolgsgeschichte. Die US-Denkfabrik CNAS nennt Taiwan „den zentralen Knotenpunkt in der Halbleiterlieferkette“. Bei hochmodernen Halbleitern hat Taiwan nach Angaben der Regierung in Taipeh einen Weltmarktanteil von rund 90 Prozent.

Für die rund 23 Millionen Taiwanerinnen und Taiwaner ist diese Vormachtstellung ein „Silicon Shield“, ein Silizium-Schutzschild. Zwischen westlichen Ökonomen, Politikern und Nachrichtendienstlern herrscht in einem Punkt Einigkeit: Ein Angriff Chinas auf Taiwan hätte weitaus katastrophalere Folgen für die Weltwirtschaft als der russische Überfall auf die Ukraine. Es ist eine brandgefährliche Eskalation: Das Säbelrasseln Pekings ist in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. US-Präsident Joe Biden hat Taiwan mehrfach militärischen Beistand für den Fall einer Invasion zugesagt.

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine herrscht in Taiwan Alarmstimmung

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine herrscht unter den Taiwanern Alarmstimmung (und übrigens auch eine große Solidarität für das weit entfernte europäische Land) – sie befürchten, dass nun auch die Drohungen ihres großen Nachbarn Wirklichkeit werden könnten. Im Dezember traf ich in Taipeh Mikrochippionier Robert Tsao, einst Gründer des Halbleiterherstellers United Microelectronics Corporation (UMC). Heute widmet der 76-Jährige mit den schlohweißen Haaren seine Energie nicht mehr Mikrochips, sondern der Bedrohung seiner Heimat durch China.

Taiwans Mikrochippionier Robert Tsao sagt: „Ich denke, Krieg ist nicht vermeidbar.“ Auch deswegen verlässt sich Taiwan nicht auf sein „Siliziumschutzschild“, sondern hält immer wieder Militärmanöver ab – um sich für eine mögliche Invasion zu wappnen.

Taiwans Mikrochippionier Robert Tsao sagt: „Ich denke, Krieg ist nicht vermeidbar.“ Auch deswegen verlässt sich Taiwan nicht auf sein „Siliziumschutzschild“, sondern hält immer wieder Militärmanöver ab – um sich für eine mögliche Invasion zu wappnen.

Tsao sagte bei dem Gespräch Ende vergangenen Jahres: „Ich denke, Krieg ist nicht vermeidbar.“ Der Bundesrepublik riet Tsao damals, Lehren aus dem Ukraine-Krieg und der Energieabhängigkeit von Russland zu ziehen – und ihre Wirtschaft von der Chinas zu entkoppeln. Überfällig ist eine China-Strategie der Bundesregierung, die die Ampel im Koalitionsvertrag angekündigt, aber immer noch nicht vorgelegt hat. Immerhin hat die Bundesregierung schon wissen lassen, dass die Verringerung „übermäßiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten“ eine maßgebliche Rolle in dieser Strategie spielen wird.

Auch wenn die geplante China-Strategie der Bundesregierung auf sich warten lässt, ist es richtig, dass Stark-Watzinger jetzt Taipeh besucht. Schon zum Auftakt der Visite haben Deutschland und Taiwan den Ausbau bei der Hightech-Forschung vereinbart, besonders bei Halbleitern, Batterien, grünem Wasserstoff und künstlicher Intelligenz. Die verstärkte Kooperation ist ebenso im deutschen Interesse wie der Aufbau unabhängiger China-Kompetenz, ein weiteres Ziel des Besuchs. Als digitales Schwellenland kann Deutschland zudem viel von Taiwan lernen, wo Internetzugang als Grundrecht betrachtet wird.

Der Taiwan-Trip von Bettina Stark-Watzinger wird von der Bundesregierung immer wieder als „Fachbesuch auf Ministerebene“ definiert – um Peking nicht zu sehr zu verprellen.

Der Taiwan-Trip von Bettina Stark-Watzinger wird von der Bundesregierung immer wieder als „Fachbesuch auf Ministerebene“ definiert – um Peking nicht zu sehr zu verprellen.

Die Bundesregierung ist darum bemüht, Stark-Watzingers Reise als „Fachbesuch auf Ministerebene“ zu definieren, um Peking nicht zu sehr zu verprellen. Auch die Ministerin selbst spielt die Bedeutung der Visite in Taipeh herunter - zumindest dann, wenn sie mit uns Reporter spricht.

Dennoch setzt der Besuch natürlich ein starkes politisches Zeichen, es ist schließlich der erste einer Bundesministerin in Taiwan seit 26 Jahren – zuletzt machte 1997 Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) seine Aufwartung in Taipeh. Kaum verwunderlich also, dass Stark-Watzinger in Taipeh begeistert empfangen wird: Bei Terminen heute in einer Berufsfachschule und im Bildungsministerium hat es sogar Beifall für den „sehr wichtigen Gast“ gegeben.

Taiwan mag weit entfernt sein, uns eint mit der Inselrepublik aber noch mehr als nur wirtschaftliche und wissenschaftliche Kooperation: Wir teilen das Engagement für Demokratie und Menschenrechte, wir setzen uns für die gleichen Werte ein. Dass Peking wegen des Besuchs scharf protestiert hat, ist zu erwarten gewesen. Gut, dass Stark-Watzinger sich davon nicht hat beeindrucken lassen. Autokratien haben demokratischen Partnern nicht vorzuschreiben, ob sie sich besuchen dürfen.

Bis zur nächsten Ausgabe

Ihr Can Merey

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

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Was gerade passiert

Ein ukrainischer Polizist, der in Awdijiwka vor einem brennenden Gebäude in Deckung geht.

Ein ukrainischer Polizist, der in Awdijiwka vor einem brennenden Gebäude in Deckung geht.

  • In den kommenden Wochen werden voraussichtlich Tausende russische Gefangene begnadigt und freigelassen – davor warnen britische Geheimdienste. Die oft gewalttätigen früheren Straftäter waren vor allem im vergangenen Herbst von der russischen Wagner-Gruppe als Söldner direkt aus den Gefängnissen rekrutiert worden. Nun läuft für viele die sechsmonatige Frist ab, die sie an der Front verbringen mussten. Die plötzliche Eingliederung der verurteilten Verbrecher mit kürzlichen traumatischen Kampferfahrungen werde eine große Herausforderung für Russlands Gesellschaft darstellen, heißt es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.
  • Dmitri Medwedew, Vizechef des russischen Sicherheitsrats, rät den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofs: „Beobachten Sie sorgfältig den Himmel.“ Per Hyperschallwaffe könne Russland das Gericht mit einem Schlag auslöschen. Was steckt hinter solchen Vernichtungs­fantasien, die in Moskau derzeit immer wilder werden? Eine Analyse von meinem Kollegen Matthias Koch.
  • Derzeit treffen sich die beiden Regierungschefs Xi Jinping und der russische Präsident zu Gesprächen in Moskau. Im Gegenzug lädt der chinesische Staatschef nun Wladimir Putin nach Peking ein. Und das, obwohl gegen den Kremlchef ein internationaler Haftbefehl erlassen wurde.

Alle Entwicklungen zum Krieg im Liveblog

 

Die Story des Tages

Japans Premierminister Fumio KIshida am 21.03.2023 in Butscha, Ukraine

Japan – der unterschätzte weltweite Spieler

Schon das Timing zeigt Unerschrockenheit. Japans Regierungschef Fumio Kishida besuchte die Ukraine, als in Moskau gerade die Präsidenten Chinas und Russlands zusammenhockten. Die Botschaft aus Tokio an den Rest der Welt ist klar: Auf der Seite Kiews steht nicht nur die Nato, sondern auch eine asiatische Wirtschafts- und Technologienation, mit der nicht zu spaßen ist.

 

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Klare Ansage

Es ist ein gutes Signal, dass die Entscheidung für eine gemeinsame Munitionsbeschaffung an dem Tag gefallen ist, an dem der chinesische Präsident Xi Moskau besucht.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, zur Entscheidung der EU

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Vorschau

Hält am Donnerstag eine Rede, welche Erfahrungen man im „Krisenwinter“ für die kritische Infrastruktur gemacht habe: Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur.

Hält am Donnerstag eine Rede, welche Erfahrungen man im „Krisenwinter“ für die kritische Infrastruktur gemacht habe: Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur.

„Eine Welt in Aufruhr“: Das Bundesamt für Verfassungsschutz lädt am Donnerstag zu einer Konferenz über die Krisen dieser Welt und wie sie sich auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Zusammen mit dem Bundesverband Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft sprechen Führungskräfte von der Post über VW bis zu Klaus Müller, dem Chef der Bundesnetzagentur, über internationale politische Krisen und was sie für Lieferketten bedeuten. Ein Thema auch dort: die Abhängigkeit von Halbleitern aus Taiwan.

 

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